Süddeutsche.de: Durch das Freihandelsabkommen TTIP würden 800 Millionen der reichsten Konsumenten der Welt einer gemeinsamen Freihandelszone angehören - und womöglich noch reicher werden. Wer sind die Verlierer in diesem Szenario?
Clara Brandi: EU und USA gewinnen auf Kosten der anderen - vor allem der Entwicklungs- und Schwellenländer. Einer Studie des Ifo-Instituts zufolge gehören Mexiko, Niger und Algerien zu den größten Verlierern durch TTIP. Mexiko würde nach dieser Prognose 7,2 Prozent des realen Pro-Kopf-Einkommens einbüßen. Gerade in politisch instabilen Staaten birgt ein solcher Einbruch große Risiken.
Dr. Clara Brandi ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn. Die Ökonomin und Politikwissenschaftlerin ist Expertin für Weltwirtschaft und Entwicklungsfinanzierung. Die 34-Jährige erforscht die Positionen der Entwicklungsländer in der Welthandelsordnung sowie die Auswirkungen von Handelsabkommen auf Drittländer.
TTIP hätte Auswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft, am Verhandlungstisch sitzen aber nur die USA und die EU. Wer vertritt hier die Perspektive der armen Länder?
Niemand. Die Interessen der Entwicklungsländer werden in der Debatte kaum wahrgenommen. Dabei sind sie unmittelbar und ganz existenziell betroffen.
Welche konkreten Nachteile müssten Entwicklungs- und Schwellenländer durch TTIP befürchten?
Zum einen sollen Zölle für den Handel zwischen USA und EU gesenkt werden. Das macht Drittstaaten weniger konkurrenzfähig, weil ihre Produkte im Vergleich teurer würden. Der Ifo-Studie zufolge würde der Handel zwischen Deutschland und den BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) um zehn Prozent, zwischen den BRICS-Staaten und den USA sogar um 30 Prozent des bisherigen Handelsvolumens sinken.
Bei den meisten Produkten sind die Zölle zwischen der EU und den USA aber bereits sehr niedrig.
Ja, aber es gibt Ausnahmen. Ein Beispiel sind Textilien. Als Folge von TTIP könnte sich der Handel mit Textilien und Kleidung zwischen der EU und den USA verstärken. Eventuell würde die EU mehr Kleidung importieren, die in den USA statt in Entwicklungsländern wie Kambodscha oder Bangladesch gefertigt wurde. Die niedrigeren Zölle könnten die dort höheren Lohnkosten zum Teil ausgleichen. Damit gerieten diese Länder stärker unter Wettbewerbsdruck und müssten womöglich noch günstiger produzieren. Das könnte die Arbeitsbedingungen dort weiter verschlechtern, obwohl auch TTIP die aktuell starke Wettbewerbsposition der südostasiatischen Produzenten nicht vollkommen unterwandern können wird.
Es geht aber nicht nur um die Senkung von Zöllen. Welche Folgen hätte der Abbau sogenannter nichttarifärer Handelshemmnisse wie die Vereinheitlichung von Standards?
Hier wären die Folgen für Entwicklungsländer noch drastischer. Was in TTIP vereinbart wird, würde zur Norm für einen großen Teil des globalen Handels. Nehmen wir das Beispiel Fischerei: Wenn Fischer aus Mosambik ihren Fang in die EU oder USA exportieren wollen, muss die Ware den dort geltenden Hygiene-Standards entsprechen. Je nachdem, ob diese hoch oder niedrig sind, ist es entsprechend leichter oder schwieriger für die Fischer, sie zu erfüllen und ihre Ware zu exportieren.
Aus Sicht der Entwicklungsländer wären also niedrigere Standards positiv, weil sie den Absatz erleichtern. Verbraucherschützer hierzulande laufen aber gegen die befürchtete Aufweichung von Standards Sturm. Ein Dilemma?
Ein schwieriger Verhandlungspunkt. Aus globaler Sicht wäre es am besten, wenn sich EU und USA auf eine gegenseitige Anerkennung von Standards statt auf eine Vereinheitlichung einigen. Diese könnte man so gestalten, dass Entwicklungsländer weniger ausgegrenzt und trotzdem die Standards nicht aufgeweicht werden. Dazu müsste man gleichwertige Standards aus Drittländern anerkennen, um den Markt für diese Produkte zu öffnen. Allerdings ist Anerkennung aus Drittländern eher nicht im Sinne der Produzenten aus EU und USA.