Süddeutsche Zeitung

Folgen der Finanzkrise:Die Fusionswelle ebbt ab

Die Finanzkrise bremst das Geschäft mit Firmenverkäufen im Mittelstand - denn viele Banken schrecken wegen des Risikos vor Übernahmefinanzierungen zurück.

Martin Hesse

Peter Löw liegt auf der Lauer. Zwei bis sechs Unternehmen wolle er mit seiner neuen Beteiligungsfirma BluO noch in diesem Jahr übernehmen, kündigte der Ex-Chef des Finanzinvestors Arques kürzlich an. So kaufwütig wie Löw ist derzeit allerdings kaum ein Finanzinvestor. Jahrelang hatten sie den Markt für Firmenkäufe dominiert, auch im deutschen Mittelstand.

Doch die Kreditkrise hat die Beteiligungsfirmen ausgebremst. Fusionsexperten erwarten, dass jetzt strategische Käufer, also Unternehmen, den Markt für Fusionen und Übernahmen (genannt M&A, kurz für Mergers & Acquisitions) dominieren werden.

"Finanzinvestoren sehe ich jetzt und auch 2009 praktisch nicht mehr als Käufer", sagt Michael Keller, Teilhaber von Klein & Coll., einer auf kleine und mittlere Unternehmen spezialisierten M&A-Beratung.

Vor allem deshalb werden im deutschen Mittelstand derzeit viel weniger Firmen verkauft als im vergangenen Jahr. Nach Angaben des Datenanbieters Thomson Reuters wurden in den ersten neun Monaten dieses Jahres 952 deutsche Firmen mit einem Preis von bis zu 500 Millionen Euro veräußert. Im Vorjahreszeitraum waren es noch 1347. Der Gesamtwert der verkauften Firmen halbierte sich sogar auf 11,4 Milliarden Euro.

Zähe Kreditvergabe

Schuld ist die Finanzkrise. "Die Banken sind wie paralysiert", sagt Michael Drill, Deutschlandchef der Investmentbank Lincoln. Bis zum Sommer 2007 hatten Banken Kredite, die sie für Übernahmen vergaben, problemlos an Investoren weitergereicht. Entsprechend spendabel waren sie bei der Finanzierung.

Seit der Markt für Kredite weggebrochen ist, hat sich das Bild grundlegend gewandelt: "Für Übernahmen nördlich von 500 Millionen Euro ist derzeit kein Finanzierungsmarkt vorhanden", sagt Wolfgang Kazmierowski, Geschäftsführer in Deutschland bei der britischen M&A-Beratung Close Brothers.

Selbst wenn eine Firma nur 100 oder 200 Millionen Euro koste, müsse man mehrere Banken zusammentrommeln und für den Fall vorsorgen, dass ein Kreditinstitut sich aus dem Konsortium zurückzieht. "Es gibt Banken, die bereits jetzt keine Übernahmefinanzierungen für dieses Jahr mehr ausgeben, weil sie keine Risiken mehr eingehen wollen", sagt Kazmierowski.

Besonders hart trifft das Finanzinvestoren. Bis zum Sommer 2007 finanzierten sie ihre Zukäufe bis zu 80 Prozent aus Fremdmitteln. "Finanzinvestoren müssen heute ihre Übernahmen mit wesentlich mehr Eigenkapital finanzieren", sagt Drill. Die Quote liege meist bei mehr als 50 Prozent. Weil viele Investoren Probleme haben, erobern Firmen den Markt für Übernahmen nach und nach zurück. "Bei unseren Kunden waren in diesem Jahr 90 Prozent aller Käufer Unternehmen, die Übernahmen aus bestehenden Kreditlinien oder dem Kassenbestand bezahlen konnten", sagt Keller.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wieso die Asiaten auf dem Vormarsch sind.

Doch wer verkauft derzeit überhaupt seine Firma? Die Zahlen von Thomson Reuters zeigen, dass sich kleinere Firmen leichter veräußern lassen als große. Keller bestätigt das. "Wir haben derzeit mehr als 30 Verkaufsmandate, und es ist wegen der Krise noch keine Transaktion zurückgezogen worden."

Dagegen beobachten Kazmierowski von Close Brothers und Drill von Lincoln, dass es immer häufiger Probleme gibt, grundsätzlich beschlossene Transaktionen auch abzuwickeln. "Das Hauptproblem ist derzeit, dass es unterschiedliche Auffassungen über die erwartete Geschäftsentwicklung zwischen Verkäufer und Käufer gibt", erklärt Drill. Während mancher Käufer auf ein Schnäppchen hofft, sind viele Verkäufer noch nicht von ihren Preisvorstellungen abgerückt.

Dabei sind die Preise für mittelständische Firmen seit Sommer 2007 schon um etwa 20 Prozent gefallen, schätzt Keller. "Der Bewertungsrückgang wird sich noch beschleunigen", erwartet Kazmierowski. Am wenigsten ficht diese Entwicklung offenbar Familienunternehmer an. Keller erklärt das so: "Familien, die sich jahrelang mit der Entscheidung gequält haben, ihre Firma zu verkaufen, entscheiden weitgehend losgelöst von Börsenabschwung und Rezession."

Nun kommen die Asiaten

Insgesamt rechnet Drill damit, dass sich das Fusionsgeschäft normalisiert, wenn sich die Situation bei den Banken beruhigt. Nach wie vor gelte, dass die deutsche Wirtschaft restrukturiert werden müsse. "Der deutsche Mittelstand schreit nach neuen Eigentümerstrukturen."

Nur: 25 Prozent Rendite seien für Firmenkäufer eben nicht mehr drin. "Käufer werden 2009 etwa zur Hälfte aus Asien kommen", glaubt Keller. Lincoln und Close Brothers sehen den Asienanteil am mittelständischen M&A-Geschäft nur langsam wachsen; sie beraten allerdings größere Firmen. "Asiaten kaufen in Deutschland eher kleinere Firmen, weil ihnen die Erfahrung im hiesigen Mittelstand fehlt und sie die Risiken begrenzen wollen", erklärt Keller.

Schließlich dürften auch Finanzinvestoren bald wieder ins Spiel kommen. Dafür könnte ausgerechnet die Branche selbst sorgen: "Wir werden viele Beteiligungsgesellschaften und Hedgefonds sehen, die Firmen verkaufen müssen, um an Liquidität zu kommen", sagt Kazmierowski. Von 2010 an müssen viele Firmen die hohen Schulden refinanzieren, die ihnen im Zuge von Übernahmen durch Finanzinvestoren in den vergangenen Jahren aufgebürdet wurden. Vielen dürfte das nicht gelingen.

Spätestens dann schlägt die Stunde von Peter Löw. Restrukturierer wie BluO oder die amerikanische Cerberus erstellen bereits lange Listen möglicher Pleitekandidaten.

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Quelle:
SZ vom 06.11.2008/ld/mel
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