Inflation:Alles wird immer teurer? Leider nein

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Teuerungsrate: In Barcelona, Spanien, betrachtet eine Frau die Auslage eines Juweliers (Archiv) (Foto: REUTERS)
  • Mit milliardenschweren Programmen kämpft die Europäische Zentralbank gegen die Mini-Inflation. Davon profitieren Verbraucher im täglichen Leben - Benzin oder die Kosten für Heizung werden günstiger.
  • Im März sind die Verbraucherpreise nur leicht um 0,3 Prozent zum Vorjahr gestiegen. Das teilte das Statistische Bundesamt nach vorläufigen Zahlen mit.

Von Benedikt Müller, Frankfurt

Wenn die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins auf null senkt und von dieser Woche an noch mehr Anleihen aufkauft, begründet sie diese Politik vor allem mit der Inflationsrate für die Eurozone. Minus 0,2 Prozent beträgt sie im Moment; das heißt, zwischen Februar 2015 und Februar 2016 sind die Waren und Dienstleistungen des täglichen Lebens ein bisschen günstiger geworden. Auch für die nächsten Monate erwartet die EZB eine negative Inflationsrate. Dabei lohnt sich ein Blick hinter die Kulissen dieser entscheidenden Zahl. Denn je nachdem, wo man wohnt und wie man lebt, nimmt man die Preisentwicklung vielleicht ganz anders wahr. Es sind vor allem zwei Effekte, die den Durchschnitt unter die Nulllinie drücken.

Inflation: Wie sich der Warenkorb für die Teuerungsrate zusammensetzt. (Foto: SZ)

Fallen wirklich in ganz Europa die Preise?

Normalerweise sinken Preise dort, wo die Nachfrage schwächer ist als das Angebot. Übertragen auf die Inflation heißt das: Wo die Arbeitslosigkeit hoch ist und die Einkommen kaum steigen, können die Menschen nicht so viel Geld ausgeben, fragen also weniger Güter nach. Tatsächlich sind die Verbraucherpreise am stärksten in Zypern zurückgegangen, um 2,2 Prozent, gefolgt von Spanien. "Schwach ist die Inflation zurzeit vor allem in den Staaten, die stark von der Euro-Krise betroffen waren", sagt Michael Holstein, Volkswirt der DZ Bank. Dagegen sind die Verbraucherpreise in acht von 19 Euro-Staaten in den vergangenen zwölf Monaten gestiegen, etwa in Österreich und in den Niederlanden. Doch selbst Spitzenreiter Belgien erreicht mit 1,1 Prozent noch lange nicht das EZB-Ziel von knapp zwei Prozent Inflation. Deutschland liegt mit minus 0,2 Prozent im Mittelfeld der Eurozone.

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Wie ermitteln Staaten die Inflationsrate?

Jeder Euro-Staat hat einen sogenannten repräsentativen Warenkorb gebildet. Dieser setzt sich aus sämtlichen Waren und Dienstleistungen zusammen, für die Verbraucher Geld ausgeben. Beispielsweise machen Nahrungsmittel im Schnitt 15 Prozent des Warenkorbs aus; Ausgaben für Post und Telekommunikation drei Prozent. Jeden Monat ermitteln Statistiker, wie sich die Preise im Vergleich zum Vorjahr entwickelt haben: Werden Kartoffeln teurer, wirkt das zu einem ganz kleinen Teil auf die Inflationsrate. Sinken die Spritpreise, macht das einen größeren Teil aus. Die Luxemburger Behörde Eurostat trägt die Länderergebnisse schließlich zusammen und errechnet daraus die Inflationsrate der Eurozone.

Welche Preise fallen in ganz Europa?

In allen Euro-Staaten sind in den vergangenen zwölf Monaten die Preise in der Kategorie Verkehr zurückgegangen, nämlich um 2,6 Prozent. Das liegt daran, dass die Tankstellen den niedrigen Ölpreis wenigstens zum Teil an die Kunden weitergeben. Fast in allen Staaten ist zudem das Wohnen günstiger geworden. Damit sind freilich nicht die Immobilienpreise gemeint; der Kauf einer Immobilie zählt nicht als Konsum, sondern als Investition. Vielmehr schlägt auch hier der niedrige Ölpreis durch; er zieht mit Verzögerung die Gaspreise, somit die Heizkosten, nach unten. Beide Kategorien machen einen großen Teil des Warenkorbs aus; deshalb ziehen sie die gesamte Inflationsrate ins Negative (siehe Grafik). "Eine gefährliche Deflation geht von den gesunkenen Rohstoffpreisen aber nicht aus", sagt Ökonom Holstein. Schließlich verzichtet heute kaum jemand aufs Tanken oder Heizen, nur weil er darauf wettet, dass Öl morgen noch günstiger werden könnte.

Wie sich die Verbraucherpreise entwickeln. (Foto: SZ)

Warum die Aufregung?

Selbst wenn sie den Ölpreis-Effekt und stark schwankende Lebensmittelpreise heraus rechnen, kommen die Statistiker nur auf eine sogenannte Kerninflation von 0,8 Prozent in der Eurozone. Das ist immer noch deutlich weniger als die zwei Prozent, die laut EZB wünschenswert wären. Ökonomen deuten dies als Zeichen dafür, dass die Wirtschaft zu schwach ausgelastet ist. "Die mangelnde Nachfrage führte auch im März zu einem insgesamt fallenden Preisniveau", schätzt Chris Williamson, Chefökonom der Finanzagentur Markit. Beispielsweise sind in den vergangenen zwölf Monaten in Finnland und Irland die Preise für Anschaffungsgüter wie Möbel, Kleidung oder Schuhe zurückgegangen; zudem in Griechenland, Spanien und Zypern die Preise für Freizeitangebote. "In den Krisenländern ist eine gewisse Deflationsgefahr nicht von der Hand zu weisen", sagt DZ-Volkswirt Holstein.

Warum strebt die EZB zwei Prozent Inflation an?

Ein bisschen Inflation ist für Notenbanker besser als ein bisschen Deflation. Denn wenn Verbraucherpreise anhaltend sinken, zögern die Menschen Anschaffungen hinaus, weil sie erwarten, dass die Ware bald noch günstiger sein könnte. Dann droht eine Abwärtsspirale: Die Firmen verdienen weniger, entlassen Arbeitskräfte oder senken Löhne. Dadurch haben die Menschen noch weniger Geld zur Verfügung. Die Nachfrage sinkt weiter. Diesen Teufelskreis will die EZB mit Ihrer Politik verhindern.

Welche Kritik gibt es an der Euro-Inflationsrate?

Das größte Problem: Wie sich der Konsum genau zusammensetzt, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Wer nie mit dem Auto fährt, hat nichts von gesunkenen Spritpreisen. Für ihn fühlt es sich nicht so an, als lebe er in deflationären Zeiten. Zudem fordern Kritiker, die EZB dürfe ihr mittelfristiges Inflationsziel von zwei Prozent nicht zu scharf interpretieren. "Mittelfristig" heiße nicht in ferner Zukunft - aber auch nicht so schnell wie möglich und zu jedem Preis, sagt Bundesbank-Präsident Jens Weidmann: "Der Begriff 'mittelfristig' enthält bewusst eine gewisse Unschärfe bezüglich des exakten Zeithorizonts."

© SZ vom 30.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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