Flugzeughersteller in Erklärungsnot:Boeings Desaster

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Unendlich stolz war Boeing auf seinen Dreamliner: So leicht, so sparsam, so elegant. Und nun? Erneut musste eines dieser Flugzeuge notlanden. Fluchtartig verließen Passagiere den Dreamliner und die ganze Flotte der japanischen ANA bleibt vorerst am Boden. Womöglich ist Boeing bei der Entwicklung des Flugzeugs zu ehrgeizig gewesen.

Von Hans von der Hagen

Luftfahrtexperten sind Meister des Beschwichtigens. Pannen werden zu Kinkerlitzchen, und kaum ein Wort fällt öfter als "Kinderkrankheit". Nicht selten haben sie Recht.

Doch wenn es zu unplanmässigen Landungen kommt, wenn Bilder die Runde machen, auf denen an den Eingängen des Flugzeugs die Notrutschen baumeln - spätestens dann ist klar: Die Probleme könnten doch ernster sein. So ist es auch jetzt beim Dreamliner, der Boeing 787, die sowohl dem Image als auch der Bilanz des Flugzeugherstellers schweren Schaden zuzufügen droht.

Bei dem jüngsten Vorfall an diesem Mittwoch - ein Dreamliner musste auf dem westjapanischen Flughafen Takamatsu notlanden - war etwa 35 Minuten nach dem Start in der Maschine ein seltsamer Geruch bemerkt worden, heißt es in den Meldungen. Daraufhin habe der Pilot die Notlandung eingeleitet. Unklar ist, ob der Geruch nur von den Piloten oder auch in der Kabine wahrgenommen wurde. Japanische Medien zitierten einen Fluggast, der einen ungewöhnlichen Geruch bemerkt haben wollte. Ein Löscheinsatz sei zwar nicht nötig gewesen, doch alle 137 Passagiere und Besatzungsmitglieder mussten das Flugzeug über Notrutschen verlassen. Größere Blessuren gab es dabei wohl nicht.

"Fehlermeldung einer Batterie"

Was dort geschmort haben könnte, ist unklar. Doch der Pilot erwähnte, dass ein Instrument im Cockpit Batterieprobleme angezeigt habe. Eine Airline-Sprecherin erwähnte ebenfalls eine "Fehlermeldung einer Batterie". Die Instrumente hätten Rauchentwicklung in einer Kammer mit Elektronik gemeldet. Wie All Nippon Airways (ANA) später berichtete, wurde unter dem Cockpit eine verfärbte Batterie entdeckt, die Flüssigkeit verlor.

Der Fall reiht sich ein in eine Kette von Zwischenfällen in den vergangenen Wochen:

  • Anfang Dezember musste ein Dreamliner in New Orleans wegen Problemen mit der Elektrik außerplanmäßig landen.
  • Kurz darauf ordneten US-Behörden wegen möglicher Lecks in den Treibstoffleitungen die Inspektion von Maschinen an. Ferner meldeten weitere Fluggesellschaften Probleme mit der Elektrik.
  • Am 7. Januar bricht nach der Explosion einer Batterie ein Brand in einer geparkten Maschine der Japan Airlines (JAL) aus.
  • Schon einen Tag drauf musste ein weiterer Dreamliner dieser Gesellschaft wegen eines Lecks am Treibstofftank den Start abbrechen.
  • Und wiederum nur einen Tag später streicht ANA einen Flug der Boeing 787 wegen Problemen an den Bremsen.
  • Zwei Tage später gibt es einen Riss im Cockpit-Fenster, und ein Triebwerk verliert Öl.

Und nun die Notlandung. Sollte es sich bewahrheiten, dass die Ursache des Zwischenfalls wie schon Anfang Januar an der Batterie lag, könnte das grundlegende Probleme Boeings bei der Fertigung des Flugzeugs offenbaren. Es heißt, dass es sich bei der Batterie um das gleiche Modell handele, das in der vergangenen Woche in Brand geriet.

Die Energiespeicher könnten sich als gefährlicher Schwachpunkt im Flugzeug erweisen. Die Batterien im Dreamliner sind teilweise nur noch halb so schwer wie die in den früheren Flugzeugen, sagen Experten. Boeing hat viele herkömmliche Batterien durch Lithium-Ionen-Akkus ersetzt. Auch wurden - ebenfalls aus Gewichtsgründen - hydraulische in elektrische Systeme getauscht. Möglicherweise geht die Gewichtsersparnis nun auf Kosten der Funktionsfähigkeit - offensichtlich hat Boeing die Batterien nicht mehr unter Kontrolle.

In dem Fall müsste Boeing sie ersetzen - was aber nicht ohne weiteres möglich ist, weil neue Modelle erst in einem zeitraubenden Verfahren zertifiziert werden müssten. Der scheinbar harmlose Mangel der Batterie könnte für Boeing also teuer werden, vor allem wenn die Flugzeuge auf längere Sicht am Boden bleiben müssten.

"Ernster Zwischenfall"

Die Gefährlichkeit der Lage verschweigen die Behörden nicht: Japans Verkehrsminister Akihiro Ota sprach von einem "ernsten Zwischenfall, der zu einem schweren Unfall hätte führen können". Sowohl ANA als auch JAL, die beiden größten japanischen Airlines und die wichtigsten Kunden Boeings, kündigen ein vorläufiges Flugverbot für all ihre Maschinen dieses Typs an. ANA hat 17 Dreamliner in Betrieb, JAL sieben. Nach Angaben von Boeing wurden weltweit bisher 49 Dreamliner ausgeliefert, 850 Bestellungen liegen noch vor.

Schon wenige Tage zuvor hatte nach der Serie von Pannen die US-Luftfahrtbehörde FAA Untersuchungen eingeleitet. Die japanische Zivilschutzbehörde hat ihre Ermittlungen nach der Notlandung vom Mittwoch noch einmal ausgeweitet. Auch die Behörden in Indien kündigten eine Sicherheitsüberprüfung an.

Nicht nur für die Fluggesellschaften, sondern auch für die neben Boeing am Bau des Flugzeugs beteiligten Unternehmen ist das ein schwerer Rückschlag. Dabei hatten doch die Amerikaner mit dem Dreamliner einen Meilenstein setzen wollen und das auch mit viel Getöse der Öffentlichkeit deutlich gemacht: Mutige Fertigungskonzepte und der angeblich 20 Prozent geringere Verbrauch sollten das Flugzeug sowohl für Boeing als auch für die Luftfahrgesellschaften außergewöhnlich attraktiv machen, und den großen Rivalen Airbus aus dem Rennen schlagen.

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Die Arbeiter sehen im Vergleich winzig aus: Aufnahmen aus den Produktionshallen des Flugzeugherstellers Boeing zeigen, wie die großen Maschinen zusammengeschraubt werden.

Anders als bei früheren Flugzeugen hatte Boeing dabei nicht nur die Produktion des Dreamliners in aller Welt verteilt, sondern den Lieferanten auch mehr Entwicklungsarbeit überlassen. Viele Teile kommen aus Japan: Rund ein Drittel der Produktion des Rumpfs und 15 Prozent der Motoren liegt in japanischen Händen. Beteiligt sind unter anderem Mitsubishi, Kawasaki und Fuji. Daneben liefert Bridgestone Reifen und Kobe Steel den Werkstoff Titan. Der Elektronik-Hersteller Panasonic kümmert sich um das Unterhaltungssystem an Bord - und GS Yuasa um die Batterien.

Möglicherweise hat allein schon die Entwicklungsarbeit manche Gesellschaften überfordert. Die Dreamliner wurden jedenfalls erst mit dreieinhalbjähriger Verspätung ausgeliefert. Seither drücke Boeing - wohl auch angesichts der hohen Zahl der Bestellungen - bei den Auslieferungen aufs Tempo, heißt es. Einige Experten sehen in diesem Verhalten die Ursache für die Zwischenfälle. Boeing weist diesen Vorwurf natürlich entschieden zurück.

Doch wo auch immer die Ursachen am Ende liegen mögen: Schon jetzt ist die Pannenserie mehr als Ärgerlich für die Amerikaner, an den Börsen brachen sowohl die Papiere von Boeing als auch die einiger Zulieferer ein.

"Wir nähern uns dem Punkt, ab dem sie es als ernsthafte Krise betrachten müssen", zitieren Nachrichtenagenturen Analyst Richard Aboulafia vom Luftfahrt-Spezialisten Teal Group. Dieser Einschätzung pflichtet Robert Stallard von RBC Capital Markets bei: "Was zunächst als eine Serie relativ kleiner und isolierter Zwischenfälle begann, könnte nun so lange auf Boeing lasten, bis sie das Vertrauen wiederherstellen können."

Dabei geht es nicht nur um das Vertrauen der Fluggesellschaften, sondern auch um das der Passagiere. Wenn schon nach so kurzer Zeit im Dreamliner so viel kaputt geht - was passiert erst alles, wenn die Maschinen länger im Einsatz sind, mag sich mancher denken?

Ganz gleich ob ein Flugzeug wegen einer Kinderkrankheit oder wegen eines brennenden Triebwerkes den Flug unterbrechen muss - aus Sicht des Passagiers gilt: Notlandung bleibt Notlandung, selbst wenn sie ohne Not und nur sicherheitshalber erfolgte.

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