Süddeutsche Zeitung

Flughafen Heathrow:Die dritte Startbahn

Die Wirtschaft will sie, aber viele Bürger und Politiker sind dagegen: London-Heathrow soll eine dritte Startbahn bekommen.

Von Björn Finke, London

Die Flughafengegner liegen still auf einer Wiese gegenüber dem britischen Parlament. Das soll versinnbildlichen, dass Luftverkehr Menschenleben kostet, weil der den Klimawandel befeuert. Oben, hinter der dichten Wolkendecke, sind Flugzeuge zu hören. Die Maschinen steuern Heathrow oder einen der anderen fünf Flughäfen an, die London im Namen tragen. Demnächst soll am selten blauen Himmel über der Metropole noch mehr los sein. Denn Heathrow, Europas größter Flughafen, erhält eine dritte Startbahn. Das verkündete Verkehrsminister Chris Grayling am Dienstag, gänzlich unbeeindruckt von den Protesten draußen.

Im vergangenen Jahr starteten oder landeten 75 Millionen Passagiere auf dem Flughafen im Westen der Stadt. Damit ist Heathrow nahezu komplett ausgelastet. Über einen Ausbau wird seit Jahrzehnten diskutiert, aber bisher wollte keine Regierung das umstrittene Projekt genehmigen. Ex-Premier David Cameron betraute eine Expertenkommission mit dem Thema. Die sprach sich 2015 für eine dritte Piste aus, doch Cameron verschob die Entscheidung.

Nachfolgerin Theresa May scheint die Sache nun schnell vom Tisch haben zu wollen. Eine Arbeitsgruppe des Kabinetts segnete das Vorhaben am Dienstag ab. Ende 2017 soll das Parlament darüber abstimmen. In frühestens neun Jahren wird die neue Bahn fertig sein. Außenminister Boris Johnson - ehemals Bürgermeister von London - sagte jedoch nach der Entscheidung, die Pläne seien undurchführbar: "Der Tag, an dem die Planierraupen anrücken, ist noch weit entfernt, wenn sie denn überhaupt mal kommen." Der jetzige Bürgermeister Sadiq Khan von der Labour-Partei kritisierte den Beschluss ebenfalls.

Auch Bildungsministerin Justine Greening sprach sich gegen die dritte Startbahn aus. Die konservative Premierministerin May wusste, dass der Widerstand in den eigenen Reihen groß ist. Darum erlaubte sie ihren Ministern ausnahmsweise, diesen Beschluss des Kabinetts öffentlich anzugreifen. Im Parlament wollen Dutzende konservative Abgeordnete gegen den Ausbau stimmen. Weil aber die Fraktion der schottischen Nationalisten und viele Labour-Parlamentarier für die Erweiterung sind, gilt eine Mehrheit als sicher.

Gewerkschafter und Wirtschaftsverbände loben die Entscheidung. Sie hatten die ewigen Verzögerungen kritisiert. Dass Politiker einen Beschluss lange scheuten, liegt an den Folgen für die Anwohner. Heathrow befindet sich nahe an der Stadt, und darum müssen für die dritte Piste 783 Häuser abgerissen werden. Bis zu 180 000 Menschen mehr als heute würden unter Fluglärm leiden. Deswegen wird der Ausbau mit Sicherheit die Gerichte beschäftigen.

Die Fluggesellschaften freuen sich, warnen aber: Die Gebühren dürfen nicht steigen

Der zweitgrößte Flughafen der Stadt, Gatwick, möchte ebenfalls eine neue Startbahn errichten, die zweite. Doch die Regierung wollte nur eins der beiden Vorhaben genehmigen. Hätte sie sich für Gatwick entschieden, wären viel weniger Bürger betroffen, weil der Flughafen weit entfernt südlich der Stadt liegt. Gatwick ist allerdings kein internationales Drehkreuz und hat keinen U-Bahnanschluss.

Die Fluggesellschaften British Airways und Virgin Atlantic begrüßten den Beschluss, warnten aber, der Ausbau dürfe nicht zu höheren Gebühren führen. Willie Walsh, Chef der British-Airways-Muttergesellschaft IAG, klagt, Heathrow sei bereits der teuerste Flughafen der Welt: "Daher ist es wichtig, dass die neuen Kapazitäten bezahlbar sind." Insgesamt soll die dritte Piste 20 Milliarden Euro kosten.

Michael O'Leary, Chef von Ryanair, hält es für einen Fehler, dass die Regierung bloß den Ausbau eines Flughafens erlaubt. Neben Heathrow sollten auch Gatwick und Stansted - die Basis der Billiglinie - eine weitere Piste bekommen dürfen. "Die Bedrohung durch zusätzliche Landebahnen bei den Rivalen würde Heathrow zwingen, die Kosten niedrig zu halten", sagt er.

Premierministerin May dürfte allerdings schon froh sein, wenn sie die Erweiterung nur eines Flughafens halbwegs unbeschädigt durchs Parlament und die Gerichte bekommt.

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Quelle:
SZ vom 26.10.2016
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