Fluggesellschaften:Machtkampf bei Air France-KLM

Air France-KLM Group CEO Ben Smith Calms Dutch Rift
(Foto: Marlene Awaad/Bloomberg)

Die Niederlande steigen offenbar heimlich bei der Fluggesellschaft ein, um den staatlichen Einfluss zu sichern. Das ärgert Frankreichs Finanzminister Le Maire.

Von Jens Flottau und Leo Klimm, Frankfurt/Paris

Ben Smith war Ende vergangenen Jahres unter anderem deswegen als neuer Chef von Air France-KLM ausgewählt worden, weil er als Kanadier Neutralität zwischen den verfeindeten Lagern im französisch-niederländischen Konzern garantieren sollte. Er war mit drei klaren Zielen angetreten: Bei Air France sollte er Frieden mit den Gewerkschaften schließen und das Geschäft im französischen Teil des Flugkonzerns effizienter machen. Und dann wollte er Strukturen vereinfachen, Doppelfunktionen abbauen und mehr Aufgaben zentralisieren - eben das erledigen, was andere anderswo längst abgearbeitet haben.

Drei Monate nach seinem Start kann man feststellen, dass Smith eine Entwicklung losgetreten hat, über die er die Kontrolle verloren hat. Am Dienstagabend gab die niederländische Regierung überraschend bekannt, dass sie einen Anteil von 13 Prozent an dem Unternehmen gekauft habe und diesen noch auf 14 Prozent erhöhen wolle. "Wir hatten einfach zu wenig staatlichen Einfluss auf KLM, um die Interessen der Niederlande zu wahren und aus KLM einen Erfolg zu machen", sagte Finanzminister Wopke Hoekstra.

Der Streit wächst sich schon zur Staatsaffäre aus - denn um den Einfluss der zwei eigentlich befreundeten EU-Staaten Frankreich und Niederlande geht es ja. Der französische Präsident Emmanuel Macron forderte den niederländischen Premierminister Mark Rutte am Mittwoch auf, seine Absichten bei Air-France-KLM "klarzustellen". Es gelte, "die Interessen des Unternehmens zu schützen". Ende der Woche sollen sich die Finanzminister beider Länder zu einem Krisengespräch treffen, bei dem es, so ein Regierungssprecher in Paris, "eine offene und freundschaftliche Diskussion" geben werde. Ob das gelingt?

Finanzminister Bruno Le Maire stellte schon pikiert fest, seine Regierung sei über den Schritt nicht vorab informiert worden. Die Prinzipien guter Unternehmensführung müssten beachtet werden, es dürfe "keine staatliche Einmischung" geben. In Le Maires Umfeld wird man besonders deutlich: Dass die Niederlande in den vergangenen Tagen heimlich ein Aktienpaket zusammengekauft hätten, sei ein "unfreundliches, überraschendes und sehr anfechtbares" Vorgehen. Solche Methoden erinnerten eher an die Techniken von Aktienhändlern als an einen staatlichen Aktionär, hieß es im Finanzministerium. Die Niederländer schadeten dem Unternehmen und den übrigen Aktionären massiv.

Der Ärger in Amsterdam über den Partner währt schon lange

Ein enger Mitarbeiter Le Maires wirft den Niederländern sogar "Doppelzüngigkeit" vor. Demnach hätten sie die Chance gehabt, mehr Einfluss im Konzern zu bekommen. Doch KLM-Chef Pieter Elbers habe 2018 das Angebot ausgeschlagen, an die Spitze des Gesamtunternehmens zu rücken. Nun sei er kürzlich immerhin zum Vize-Chef berufen worden. Eine Vereinbarung, mit der die Belange des Amsterdamer Flughafens Schiphol innerhalb der Flugallianz gegenüber dem Pariser Drehkreuz Charles de Gaulle vertreten werden sollten, sei unterschriftsreif. "Die Holländer müssen uns erklären, welche ihrer Interessen eigentlich übergangen werden", heißt es in Paris.

Und es droht eine weitere Eskalation des Konflikts: Frankreich hält es "nicht für akzeptabel", sollte die niederländische Regierung nach ihrem Einstieg bei Air-France-KLM Sitze im Verwaltungsrat beanspruchen. Von den vier Niederländern im obersten Konzerngremium werde bereits einer von der Regierung in Den Haag bestimmt. Offen blieb am Mittwoch die Frage, ob Frankreich nun selbst mit einer Aufstockung seines Anteils an Air-France-KLM reagieren könnte, um sich die Kontrolle über das Unternehmen zu sichern. Denn die vermeintlichen Börsenraider-Methoden, die von den Franzosen nun so heftig kritisiert werden, sind ihnen selbst durchaus vertraut: Kein geringerer als der Staatspräsident und Ex-Banker Emmanuel Macron griff in der Vergangenheit selbst auf sie zurück, als er - etwa beim Autohersteller Renault - die Macht des Staats bedroht sah.

Die Börse reagierte schockiert: Der Kurs der Air France-KLM-Aktie sank am Mittwochmorgen um fast 15 Prozent. "Wir sorgen uns, dass unterschiedliche nationale Interessen die dringend nötige Restrukturierung verlangsamen", schieb Bernstein Research-Analyst Daniel Röska. Der Verwaltungsrat wollte kurzfristig zu einer Sondersitzung zusammenkommen.

Der Schritt der niederländischen Regierung hat viel mit der Angst zu tun, dass Smiths geplanter Umbau zu Lasten von KLM gehen könnte. Seit Jahren fühlt sich der niederländische Teil des Unternehmens beschädigt durch den französischen Partner, der schlechtere wirtschaftliche Ergebnisse abwirft: 2018 machte KLM einen operativen Gewinn von rund einer Milliarde Euro. Die deutlich größere Air France kam nur auf 266 Millionen Euro.

Eine wichtige Rolle in dem Konflikt spielt KLM-Chef Pieter Elbers. Im Zuge der Umbaupläne sickerten in den vergangenen Wochen Informationen durch, Smith wolle Elbers ablösen. Doch dieser gilt als kompetent und den Mitarbeitern als Garant für den Erfolg von KLM. Hunderte KLM-Angestellte demonstrierten für Elbers' Verbleib. Und sie hatten Erfolg: Elbers bleibt nicht nur an der Spitze von KLM, sondern ist im Konzern aufgestiegen. Im Gegenzug bekommt Smith allerdings einen Posten im KLM-Aufsichtsrat.

Der niederländische Staat hielt bislang nur knapp sechs Prozent an KLM und hatte zudem keine Anteile am Gesamtunternehmen, an dem Frankreich mit 14,3 Prozent beteiligt ist. Die amerikanische Fluggesellschaft Delta und China Eastern halten zusammen rund 17 Prozent der Aktien an Air France-KLM.

Für die europäische Flugbranche ist die Entscheidung der Niederlande in Zeiten des wiedererstarkenden Nationalismus ein Einschnitt. In den vergangenen Jahrzehnten hatten sich die Regierungen immer stärker aus der Branche zurückgezogen und die einst staatlichen Airlines weitgehend privatisiert. Ausnahmen gibt es noch: Italien sorgt weiterhin mit Krediten dafür, dass Alitalia nicht vom Markt verschwindet. Kleinere europäische Länder versuchen, ihre nationalen Airlines zu stützen. Air France-KLM ist aber der erste Fall, bei dem ein Staat in großem Stil (für fast 700 Millionen Euro) Aktien kauft, um seinen Einfluss zu sichern.

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