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Unterkünfte nach Katastrophen:"Jeder kann diese Zelte herstellen"

  • Acht Millionen Menschen sind in Nepal, Indien und China von dem schweren Erdbeben betroffen. "Die Menschen brauchen vor allem etwas über dem Kopf", sagt Grishma Raj Aryal von der internationalen Hilfsorganisation Care zur SZ.
  • Nach Katastrophen entstehen oft Camps aus weißen Zelten mit einem blauen Logo. Diese Unterkünfte kommen vom Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR). Shaun Scales leitet das Fachreferat für Flüchtlingsunterkünfte.

Interview von Katharina Brunner

SZ: Das UN-Flüchtlingswerk ist auch in Nepal, um zu helfen. Wie bringt das UNHCR die Betroffenen unter?

Shaun Scales: Zelte haben für uns große Vorteile: Sie sind leicht und können in großer Menge mit Flugzeugen transportiert werden. 2014 waren das 70 000 Stück. Es gibt aber auch sogenannte "Emergency Kits". Das ist eine Grundausrüstung aus Plastikplanen, Holzbalken und Seilen, mit denen sich die Flüchtlinge selbst einen Unterschlupf bauen können. Mit einem Vorrat an Hilfsgütern und Mitarbeitern auf der ganzen Welt können wir immer kurzfristig reagieren.

Das UN-Flüchtlingswerk

Die UN-Flüchtlingsorganisation (UNHCR) gehört zu den Vereinten Nationen und hat ihren Sitz in Genf. Mit ihrem Budget von knapp sieben Milliarden US-Dollar für 2015 gehört sie zu den größten humanitären Organisationen. Sie unterstützt betroffene Menschen und Staaten materiell und finanziell.

Auf Fotos sehen die UN-Zelte immer ähnlich aus: weiß mit großem blauen Logo.

Wir haben nur wenige Modelle, aber die kommen von verschiedenen Zulieferern. Ein Standard-Modell heißt "UNHCR Family Tent". Die Vorgaben und das Design entwickeln wir zusammen mit anderen humanitären Organisationen und unseren Lieferanten. Wenn Firmen mit uns zusammenarbeiten, gelten andere Regeln als in der Privatwirtschaft: Sie bekommen kein Geld für die Forschung und haben kein Urheberrecht auf das Design.

Die UN-Notfallzelte sind lizenzfrei?

Ja, jeder kann sofort anfangen, diese Zelte zu produzieren. Das ist gut für uns: So können wir sicherstellen, dass wir auch die Mengen kaufen können, die wir brauchen. Gleichzeitig gibt es einen höheren Wettbewerb. Wir vergeben unsere Aufträge weltweit, nach Pakistan oder China, aber auch den Nahen Osten und Europa. Wir sind also nicht von einigen wenigen Anbietern abhängig - das spüren wir im Preis und der Qualität.

Doch Zelte halten nicht ewig.

Genau, höchstens ein Jahr. Deshalb haben wir noch zwei weitere Stufen nach den Notfallzelten: Provisorische Unterkünfte, die robuster sind und bis zu drei Jahren verwendet werden können, und feste Unterkünfte, also richtige Häuser.

Eine solch provisorische Unterkunft hat das Flüchtlingswerk zusammen mit dem "Better Shelter"-Projekt entwickelt. 10 000 davon hat das UNHCR bestellt, bauen soll sie Ikea, deren Stiftung der größte private Geldgeber der UNHCR ist.

Das stimmt so nicht. Ikea macht nur besonders gute Öffentlichkeitsarbeit, stellt diese Unterkünfte aber nicht her. "Better Shelter" wird nur von der Ikea-Stiftung unterstützt. Auch diese Unterkünfte sollen nach drei Jahren lizenzfrei werden, noch befinden wir uns in der ersten Fertigungsstufe und es müssen bestimmt noch Fehler ausgemerzt werden.

Es heißt, diese Unterkünfte seien teurer.

Ja, ein Notfallzelt kostet etwa 300 Dollar ohne den Transport. Die "Better Shelter"-Unterkünfte kosten etwa dreimal so viel - aber sie halten auch dreimal so lange. Sie sind nicht für akute Krisen gedacht. Man vergleicht also Äpfel mit Birnen. Die Einzelteile kommen in zwei flachen Boxen. Darin ist eine leichte, haltbare und feuerbeständige Unterkunft mit Solarpanel und Lampe. Und das "Better Shelter" hat ein ganz einfaches, aber sehr wichtiges Bauteil, das Diebstähle verhindert und Privatsphäre herstellt: ein Türschloss.

Spüren Sie Sparmaßnahmen von Regierungen?

Natürlich. Wir sind stark darauf angewiesen, dass wir Geld von Regierungen bekommen. Alles, was die finanziellen Ressourcen unsere Geldgeber einschränkt, wirkt sich direkt auf unser Budget aus.

Wenn das Geld keine Rolle spielt, welche Unterkunft würden Sie sich wünschen?

Wir setzen nur ungern Zelte ein. Das Ideal wäre, wenn alle in festen Unterkünften leben könnten, auch wenn der Ort nur übergangsweise ist.

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SZ/kabr/jasch
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