Flüchtlinge:Neue Perspektive

Die Wirtschaft verlangt nach besseren Arbeitschancen für Flüchtlinge. Das ist zwar Eigennutz - die Unternehmen setzen damit aber einen Kontrapunkt zu den Populisten und Fremdenfeinden.

Kommentar von Stefan Braun

Wenn die deutsche Wirtschaft, angeführt vom Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände, bessere Ausbildungsbedingungen für junge Asylsuchende und geduldete Flüchtlinge fordert, tut sie das nicht aus humanitären Gründen. Sie tut es aus egoistischen Motiven. Sie will damit ihre Kapazitäten erhalten. Will Zigtausende leer stehende Ausbildungsplätze füllen, ganz allgemein neuen Nachwuchs gewinnen und damit in letzter Konsequenz ihr Überleben sichern. Längst sorgen sich Manager, Unternehmer und Handwerksmeister davor, dass ihnen aus Altersgründen die Basis an Facharbeitern wegbricht. Dass die Unternehmer und Handwerker in der Situation die Flüchtlinge in den Blick nehmen, überrascht nicht. Es ist logisch.

Die Unternehmen sprechen vom Potenzial der Zuflucht Suchenden

Gleichwohl hat die Initiative der Wirtschaft das Potenzial, die Perspektive auf die Flüchtlingsdebatte nachhaltig zu verändern. Ausgerechnet jetzt, da die Debatte über die nach Europa strömenden Menschen immer aufgeheizter geführt wird, sprechen die Unternehmer und ihre Interessenvertreter nicht die Lasten an, die eine Aufnahme von Flüchtlingen natürlich auch bedeutet. Sie reden vom Nutzen, vom Gewinn, den die jungen Menschen ins Land bringen. In einer Gesellschaft, die seit Monaten fast nur über die Mühen, die Probleme, die Gefahren redet und sich dabei immer stärker mit Populisten und Ausländerfeinden auseinandersetzen muss, verändert die Wirtschaft radikal den Blickwinkel. Ohne es so auszusprechen, ruft sie der Gesellschaft zu: Seht endlich, dass diese Menschen nicht nur etwas haben wollen, sondern auch was zu bieten haben.

Pegida und CSU-Rhetorik, dazu die Angriffe gegen Wohnheime und die Debatten über verschärfte Asyl-Gesetze haben es zusehends unmöglich gemacht, hinter den Neuankömmlingen auch den Arzt aus Syrien, den Ingenieur aus dem Irak, den Azubi aus Eritrea auszumachen. Man muss die Handwerker besuchen, die vor Ort ohne großes Tamtam Lehrlinge ausbilden und sie als großen Gewinn empfinden. Man muss in die kleinen Gemeinden gehen, in denen ein ägyptischer Lehrer in schwäbischen Schulklassen bei der Integration hilft. Man muss die bayrischen Mittelständler sprechen, die sich über den Facharbeiter aus Libanon freuen. Erst dann lernt man, welcher Gewinn diese Menschen sein können.

Und doch, so berechtigt das Anliegen und Werben der Wirtschaft für bessere Zugänge und Ausbildungshilfen ist - so wichtig wäre es, dass die gleichen Unternehmer und Handwerker von selbst gegen die Gefahr vorbeugen, dass nun gute gegen schlechte Flüchtlinge ausgespielt werden. Wer die Chancen für sein Unternehmen verbessern möchte, darf nicht nur seinen Betrieb für neue Arbeitskräfte öffnen. Er muss auch sein Herz für deren Angehörige, Begleiter, Familien groß machen. Nur wer sich um beides kümmert, handelt wirklich verantwortlich. Die Wirtschaft und ihre Verbände haben es also selbst in der Hand zu zeigen, wie ernst es ihnen mit ihrer Initiative tatsächlich ist.

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