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Flüchtlinge II:Konjunkturimpuls

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Konjunkturforscher geben erste Prognosen zur Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland. Sie sehen einen Wachstumsimpuls und steigende Steuereinnahmen. Kein Wunder: Der Staat investiert, und auch die Privatwirtschaft profitiert.

Von Cem-Odos Güler, Berlin

Mehr Facharbeiter, qualifizierter akademischer Nachwuchs, mehr Beitragszahler für die Rentenkassen: Weltweit weisen Wirtschaftswissenschaftler auf die langfristigen positiven Effekte von Einwanderung hin. Die gestiegene Zahl von Asylsuchenden in Deutschland könne aber auch kurzfristig als "konjunktureller Impuls" verstanden werden, sagt Gustav Horn. Er leitet das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Sein Analystenteam geht davon aus, dass die gestiegenen Flüchtlingszahlen bis Ende 2016 für einen Konjunkturzuwachs von zusammen 0,3 Prozent sorgen werden.

Bis Ende 2016 müsse die Politik etwa neun Milliarden Euro investieren, damit die Flüchtlingskrise bewältigt werden könne. Doch auch angesichts der Ausgaben bliebe der gesamtstaatliche Haushalt weiter im positiven Bereich. Ähnliche Prognosen kommen auch vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Die Berliner Forscher nennen die Personalausgaben beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder bei der Bundespolizei als Gründe für den konjunkturellen Aufstieg. Auch die Privatwirtschaft profitiere, beispielsweise vom Bau neuer Unterkünfte.

Auch generell sei es um die Zukunft der deutschen Wirtschaft gar nicht schlecht bestellt, so die Wissenschaftler des IMK. Wegen des gesetzlichen Mindestlohns seien die Konten vieler Menschen heute praller gefüllt als noch vor einem Jahr. Viele Arbeitnehmer entschieden sich wegen der niedrigen Zinsen dafür, das Geld nicht bei der Bank zu lassen, sondern auszugeben. "Wir gehen davon aus, dass sich dieser Aufschwung fortsetzt", sagt IMK-Direktor Horn. Er führt das Wirtschaftswachstum vor allem darauf zurück, dass Deutschland heute weniger von Exporten abhängig sei. Denn auf dem Weltmarkt sei die Lage durchaus angespannt.

Die Übersättigung des chinesischen Marktes und das mögliche Ende der Politik des billigen Geldes in den Vereinigten Staaten gefährden zwei wichtige Absatzmärkte des deutschen Außenhandels.

Deshalb sei der deutsche Binnenmarkt und die gestiegene Konsumnachfrage der Motor für anhaltendes Wirtschaftswachstum. Das IMK hat berechnet, dass das Bruttoinlandsprodukt 2016 um zwei Prozent wachsen soll. Dieser Wert deckt sich auch mit der Prognose des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

"Der Mindestlohn hat am unteren Ende der Lohnskala für einige deutliche Ausgabensteigerungen bewirkt", sagt IMK-Direktor Horn. Ausgaben, die jetzt beim Bundesfinanzministerium wieder die Kassen durch Mehrwert- und Einkommenssteuer füllten. Damit seien die "Angsthypothesen" in Verbindung mit der Lohnuntergrenze aus den Vorjahren klar widerlegt worden, so Horn.

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Quelle:
SZ vom 06.10.2015
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