Flüchtlinge am Arbeitsmarkt:"Fachkräfte von übermorgen"

Flüchtlinge am Arbeitsmarkt: Viele Flüchtlinge kommen mit großen Hoffnungen nach Deutschland - aber ohne Papiere und Ausbildung.

Viele Flüchtlinge kommen mit großen Hoffnungen nach Deutschland - aber ohne Papiere und Ausbildung.

(Foto: AP)
  • Die Zahl der Arbeitslosen sinkt im September, es sind viele Stellen unbesetzt und Firmen suchen nach Facharbeitern.
  • Bei der Bundesagentur vor Arbeit warnt man im Zusammenhang mit der Flüchtlings-Integration aber vor Überschwang: Die Neuankömmlinge seien zwar jung, ihnen fehle aber die Ausbildung.
  • Bis die Qualifikation nachgeholt sei, dürfte sich der Flüchtlingszuwachs daher bald auch in den Arbeitslosenzahlen niederschlagen.

Von Thomas Öchsner

Zur Daseinsform von Politikern gehört es, Optimismus auszustrahlen. Die Bundeskanzlerin hat das gerade beim Thema Flüchtlinge vorgemacht ("Wir schaffen das"). Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) folgt ihr nun. "Der Arbeitsmarkt könnte nicht in besserer Verfassung sein", sagt sie. Und das sei eine gute Voraussetzung, um die Flüchtlinge in Deutschland zu integrieren. Dazu wird aber viel Geduld nötig sein. Das hat jetzt die Bundesagentur für Arbeit (BA) klargemacht.

Starker Arbeitsmarkt, viele offene Stellen

Die Arbeitslosenzahlen für September waren wegen des üblichen Herbstaufschwungs so gut wie erwartet: Sie sanken im Vergleich zum August um 88 000 auf 2,708 Millionen. Das sind 100 000 weniger als vor einem Jahr. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Stellen hat sich binnen eines Jahres um mehr als 600 000 auf 30,73 Millionen erhöht. Erwerbstätig sind sogar gut 43 Millionen Menschen. BA-Chef Frank-Jürgen Weise, der nun zugleich ehrenamtlich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge leitet, spricht deshalb von einer "positiven Entwicklung".

Wie gefragt Arbeitskräfte sind, zeigt auch die Entwicklung der offenen Stellen: Etwa 600 000 sind bei der Nürnberger Behörde gemeldet. Nahles spricht von einer "unglaublich hohen Zahl". In einigen Branchen und Regionen suchten die Unternehmer mittlerweile "händeringend nach Fachkräften", sagt die SPD-Politikerin. Besonders gefragt ist nach Angaben der BA derzeit Personal in den Berufsfeldern Metallerzeugung, Metallbau, Verkehr, Logistik, in der Maschinen- und Fahrzeugtechnik, Mechatronik sowie in der Energie- und Elektrotechnik.

Doch wie schnell kann es gelingen, die Flüchtlinge nach einer Anerkennung als Asylbewerber für diese Jobs zu gewinnen?

"Riesenpotenzual für Ausbildung"

Raimund Becker, Vorstandsmitglied der Bundesagentur, warnt davor, zu viel zu erwarten: "Diese Menschen, die heute zu uns kommen, sind nicht die Fachkräfte von morgen. Sie sind die Fachkräfte von übermorgen." Er weist daraufhin, dass etwa 80 Prozent der Flüchtlinge ohne formale Qualifikation nach deutschen Standards in die Bundesrepublik gelangen. "Die kommen nicht mit Zertifikaten einer Kammer hierher, die kommen in der Regel auch mit überhaupt nichts hierher."

Mehr als zwei Drittel dieser Menschen sei aber unter 30 Jahre alt, gut die Hälfte sogar unter 25 Jahre alt. Es gebe deshalb ein "Riesenpotenzial für Ausbildung", sagt Becker. Die Flüchtlinge hätten den Willen, zu arbeiten und auf den eigenen Beinen zu stehen. Sie hätten "Talente und Kompetenzen", weshalb es sich auf jeden Fall lohne, in ihre Ausbildung und Weiterbildung zu investieren. Dabei brauche man jedoch "einen langen Atem".

Die bisherigen Erfahrungen der Jobcenter und Arbeitsagentur sind jedenfalls eher ernüchternd. Danach finden acht Prozent bereits im ersten Jahr einen Job. Nach fünf Jahren trifft dies immerhin auf jeden Zweiten zu. Nach 15 Jahren erreichen die anerkannten Flüchtlinge die Beschäftigungsquote aller Ausländer, die aber unterhalb des Werts der Menschen mit deutschem Pass liegt.

Vorerst mehr Arbeitslose durch den Flüchtingszustrom

Becker rechnet deshalb wie Nahles damit, dass sich der Flüchtlingsstrom bereits 2016 in den Arbeitslosenzahlen niederschlägt. 2015 geht die Bundesagentur davon aus, dass sich die Arbeitslosenzahlen um im Jahresdurchschnitt 100 000 verringern. Ohne die neu hinzukommenden arbeitslosen Flüchtlinge wäre der Rückgang um 40 000 größer. 2016 dürften die Zahl der Jobsuchenden dann um 70 000 steigen. Becker kalkuliert damit, dass etwa 90 Prozent der als Asylbewerber anerkannten Flüchtlinge auf Hartz IV angewiesen sein werden, weil sie hierzulande zunächst keinen Job finden.

Die Jobcenter werden deshalb aufgerüstet: Sie sollen allein im kommenden Jahr 2000 zusätzliche Mitarbeiter erhalten. Auch bei der von BA-Chef Weise geleiteten Flüchtlingsbehörde wird das Personal aufgestockt. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) strebt eine Personalstärke von 6300 Mitarbeitern an. Derzeit sind es mehr als 3000, wovon nur 550 über Asylanträge entscheiden. Weise denkt nun daran, Mitarbeiter, die bei der Bundesagentur befristet beschäftigt sind und dort nicht bleiben können, für das Migrationsamt zu gewinnen.

Aktenberge in der Asylbehörde

Noch liegt dort allerdings vieles im Argen: Laut dem neuen Behördenchef gibt es keinen guten Überblick, wie viele Menschen es nach Deutschland schaffen, wo sie untergebracht sind und wie ihr Anliegen bearbeitet wird. So sind offenbar Hunderttausende Flüchtlinge noch gar nicht registriert. Bei der Asylbehörde haben sich 275 000 unerledigte Asylanträge angestaut. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass etwa ein Drittel keinen Pass vorzeigen kann. Auch hier scheint also Geduld und Ausdauer nötig zu sein. Die Diskussion, ob es für Flüchtlinge Ausnahmen beim Mindestlohn geben soll, würde Arbeitsministerin Nahles hingegen am liebsten schnell beenden. Sie hält die Debatte für schlicht "überflüssig" und sagt: "Wir brauchen Fachkräfte und keine Billiglöhner."

Auch die Bundeskanzlerin hatte sich bereits gegen Ausnahmen ausgesprochen. Auf einer Sitzung der Unions-Fraktion im Bundestag soll Merkel laut Teilnehmern der Runde gesagt haben: Verliere jemand, der für 8,50 Euro die Stunde arbeite, seine Stelle, weil ein Flüchtling seine Arbeit für 3,50 Euro mache, richte das Schaden an. Karl Schiewerling, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der Union, sieht dies genauso: "Eine Absenkung des Mindestlohns würde Flüchtlinge zu Arbeitern zweiter Klasse degradieren. Dieser Sonderstatus kann dazu führen, dass sich langjährige Arbeitssuchende zurückgesetzt fühlen."

Der CDU-Wirtschaftsrat, CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn und der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), hatten hingegen den Mindestlohn für Flüchtlinge infrage gestellt. Für Nahles ist jedoch klar: "Wir werden das nicht machen, egal woher der Druck kommt."

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