Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge als Wirtschaftsvorteil:Migration zahlt sich aus

Auf die Zuwanderung von Flüchtlingen nach Deutschland kann man grimmig reagieren und "das Boot ist voll" rufen. Oder die Chance erkennen, die sich für Migranten und Gastland auftut - und die ökonomische Studien belegen. Dazu muss der Staat freilich beitragen.

Kommentar von Marc Beise

In der Welt geht es übel zu. Terror im arabischen Raum, Russland auf imperialistischem Trip, Hunger in Afrika. Das Elend, das den meisten Deutschen bisher nur eine ferne Ahnung ist, kommt näher. Angekommen ist es schon in Gestalt von Flüchtlingen und Asylsuchenden. Überfüllte Kasernen, hastig errichtete Zeltlager. Es gibt Krisenstäbe, Schuldzuweisungen. Und es gibt die bange Frage: Was kommt da noch?

Viel, viel wird kommen, genauer: Viele werden kommen. Noch sind es begrenzte Konflikte, die Menschen in die Flucht schlagen, aber das ist erst der Anfang. Aus dem konfliktträchtigen Nahen Osten und aus Afrika, wo die Bevölkerungszahlen explodieren, werden mutmaßlich immer mehr Menschen aufbrechen gen Norden auf der Suche nach ein bisschen Frieden und, ja, ein bisschen Wohlstand. Dann wird es nicht mehr um geregelte Zuwanderung, um Kontingente gehen, um die huldvolle Aufnahme einiger Zehntausend hier und einiger Zehntausend dort, dann bricht sich die Verzweiflung einfach einen Weg.

Darauf kann man verschreckt und mit grimmigem Blick reagieren: Die Grenzen zu, das Boot ist voll. Wer so denkt und redet, hat kein Herz. Schlimmer noch: Er hat auch keinen Verstand.

Migranten sind keine Zumutung, sondern ein Gewinn

Zuwanderer sind für eine Gesellschaft nicht Bedrohung, sondern Chance. Zumal für ein Deutschland, dem es wirtschaftlich - ungeachtet der Konjunkturprobleme - zwar immer noch vergleichsweise gut geht, das aber zunehmend Schwierigkeiten haben wird, das Wohlstandsniveau auch nur annähernd zu halten. Der internationale Wettbewerb wird härter, die digitale Revolution tobt anderswo, und der demografische Wandel ist nicht aufzuhalten. Deutschland wird älter, träger, schwächer. Das Land braucht Menschen, die anpacken. In dieser Lage kann Zuwanderung, wenn sie klug organisiert wird, ein großes Geschenk sein.

Migration zahlt sich aus; für die Einwanderer, aber auch für das Gastland, das ist historisch bekannt und wird durch ökonomische Studien gestützt. Dazu freilich muss der Staat etwas tun. Die Politik muss ein Konzept haben, das über die Bereitstellung einiger öffentlicher Gebäude hinausgeht. Es braucht eine kombinierte Asyl-, Flüchtlings- und Einwanderungspolitik - verbunden mit einer klugen Entwicklungspolitik. Das alles gibt es in Deutschland allenfalls in Ansätzen.

Das Umdenken muss bei den Bürgern beginnen

Migranten, hält eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) fest, leiden beispielsweise unter systematischer Diskriminierung am Arbeitsmarkt. Ihre Kinder werden in den Schulen nicht ausreichend gefördert. Wer das nicht ändert, macht Flüchtlinge zu einer Belastung, diskreditiert die Zuwanderung und vergibt Chancen. Dass Deutschland keine Willkommenskultur hat, ist die Folge eines multiplen Versagens von Politiker all jener Parteien, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten regiert haben. Politiker sind aber auch nur so gut wie die Menschen, die sie wählen. Das Umdenken muss also bei den Bürgern beginnen. Es reicht nicht, bei der Fernseh-Spendengala für Afrika mitzumachen und sich dann zum Schlaf zu betten. Es geht stattdessen um ein anderes, ein offenes Denken. Eines, das, statt sich angstvoll abzuwenden, das Fremde als Bereicherung begrüßt und, ja, auch als ökonomischen Gewinn. Darin waren die Deutschen, man muss es leider sagen, bisher nicht gut. Sie haben nun die große Chance, es besser zu machen: zum Wohle der Migranten und zum Wohle des eigenen Landes.

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Quelle:
SZ vom 18.10.2014/fie/kat
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