Petra Waloßek steht in ihrem Studio, schüttet Wasser aus einer großen Gießkanne in eine Wanne und wirft mehrere Blöcke Steckschaum hinein. Dann trägt sie die Blöcke zu ihrem Arbeitstisch am Fenster und bedeckt sie mit grünem Moos und rostfarbenem Perückenstrauch. Mit einem Messer schneidet die 51-jährige Floristin Stängel weißer Gerbera in unterschiedlichen Höhen ab und steckt die Blüten in das Gebilde. So entsteht ein Tischgesteck für eine Vernissage, das an eine Blumenwiese erinnert.
Waloßek hat bereits einen zehnstündigen Arbeitstag hinter sich. Um sechs Uhr morgens war sie auf dem Großmarkt, dann musste sie zu einem Kunden, anschließend ein Event am Tegernsee aufbauen, jetzt muss sie noch 16 Gestecke binden und ein Vorstellungsgespräch führen. Trotzdem wirkt sie weder erschöpft noch genervt. "Ich bin hier in der Firma so was wie die Mama", sagt sie. "Mütter kleiner Kinder haben auch nie wirklich Feierabend und beschweren sich nicht."
Floristin ist für viele Menschen ein Traumberuf. Einer, den sie ergreifen wollen, oder bei dem sie immer ein bisschen traurig sind, dass sie ihn nicht ergriffen haben: Den ganzen Tag von duftenden Blumen umgeben zu sein, Brautsträuße zu binden und alle Kunden glücklich zu machen. Doch wie ist es wirklich, als Florist oder Floristin zu arbeiten? Wie sind die Arbeitsbedingungen, die Zukunftschancen? Wie ist der Arbeitsalltag, das Gehalt? Ein Realitätscheck.
Waloßek beschäftigt derzeit zehn Mitarbeiter, wovon die Hälfte festangestellt ist. Sie könnte mehr einstellen und würde auch gerne ausbilden, aber sie findet niemanden. Wie viele andere handwerkliche Berufe leidet die Floristikbranche unter einem extremen Nachwuchsmangel. Nach einer Statistik der Industrie- und Handelskammer wurden 2020 nur knapp 740 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen - bei schätzungsweise 7000 bis 8000 Blumenfachgeschäften in Deutschland. Die duale Ausbildung zum Floristen dauert in der Regel drei Jahre, mit Abitur lässt sie sich auf zwei verkürzen. Floristen arbeiten in Gärtnereien, Gartencentern oder Blumengeschäften. Etwa 90 Prozent der Angestellten sind Frauen. "Nach der Ausbildung hat man allerbeste Chancen, ein Blumenfachgeschäft zu finden, in dem man tätig werden kann", sagt Nicola Fink vom Fachverband Deutscher Floristen (FDF). "Und sicherlich auch ein Geschäft, das den eigenen Neigungen entspricht."
Der Beruf ist körperlich herausfordernd
Als Waloßek sich im Alter von 16 Jahren für eine Floristenlehre entschied, reagierte ihre Familie alles andere als begeistert, erinnert sie sich heute. Vor allem ihre Großmutter sei sehr skeptisch gewesen. "Weil es so ein schwerer Beruf ist. Das hat sie schon richtig eingeschätzt", sagt Waloßek. Sie zeigt ihre Hände mit den rissigen Fingernägeln und dunklen Rändern. "Es ist körperlich extrem anstrengend." Sie müsse ständig mit kaltem Wasser hantieren, schwer schleppen, den ganzen Tag stehen. Im Winter trage sie oft fünf Schichten Kleidung, da sei es kalt in den Läden, weil ständig die Tür auf und zu gehe. "Viele denken, Floristin sei ein total romantischer Frauenberuf, aber man ist eher Bauarbeiterin als Blumenspielerin", sagt Waloßek, die sich nach der Lehre noch zur Meisterin hat weiterbilden lassen und vor der Gründung ihres Münchner Unternehmens acht Jahre lang in New York und Toronto gearbeitet hat.
Auch Nicola Fink vom Verband FDF ist der Ansicht, dass der Beruf oft unterschätzt wird, nicht nur was die körperliche Belastung angehe. "Viele haben die Vorstellung, das sind so die naturverliebten jungen Leute, die sich einfach gerne mit Blumen umgeben - aber es geht um viel mehr", erklärt sie. Beispielsweise darum, Trends aufzuspüren, Interior-Beratung anzubieten oder florale Konzepte für Veranstaltungen und Hochzeiten zu entwerfen. Fast jeder könne hier seine Lieblingsdisziplin und einen sicheren Job finden.
Petra Waloßek will sich auf keine Disziplin festlegen, sie sagt: "Ich finde, auf drei Beinen steht man am allerbesten." Wer sich mit ihr unterhält, bekommt einen guten Eindruck davon, wie vielfältig der Beruf sein kann. Unter ihrem Mädchennamen Müller führt Waloßek zwei Blumenfachgeschäfte in München, seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie auch einen Onlineshop. Außerdem hat sie viele Firmenkunden, deren Büros und Geschäfte sie verschönert, und sie kümmert sich um die Blumendekoration von Hochzeiten und anderen Events, wie beispielsweise die morgige Vernissage.
Als selbständige Unternehmerin und Chefin arbeitet Waloßek zwischen 60 und 70 Stunden in der Woche, würde das aber nie von ihren Mitarbeitern verlangen. "Ich finde es sehr wichtig, dass meine Angestellten nicht an Überstunden ersticken", sagt sie. "Die sollen einfach ihre vereinbarten Stunden arbeiten und dabei 100 Prozent geben." Im Tarifvertrag zwischen dem Fachverband Deutscher Floristen als Arbeitgebervertreter und der Arbeitnehmergewerkschaft IG BAU ist eine Vollzeitstelle auf 39 Stunden ausgelegt. Allerdings gibt es Arbeitszeitkonten, erklärt Fink vom FDF. Zu saisonalen Peak-Zeiten wie Valentinstag, Muttertag oder im Advent müsse meist mehr gearbeitet werden, die Überstunden werden aber später ausgeglichen.
Neben der Arbeitszeit ist im Tarifvertrag auch geregelt, was ausgebildete Floristen mindestens verdienen müssen. Vom 1. Januar 2022 an sind das 2000 Euro brutto für die Bundesländer West einschließlich Berlin und 1722 Euro brutto für die Bundesländer Ost. Verbandssprecherin Fink ist es wichtig zu betonen, dass es sich bei den Gehältern um die unterste Orientierungsgrenze für die Branche handele. "In vielen Blumenfachgeschäften erhalten die Floristinnen und Floristen deutlich höhere Löhne." Auch Waloßek bezahlt ihre Angestellten immer übertariflich, angesichts der hohen Münchner Mieten würde sie sonst wohl kaum jemanden finden, der bereit wäre, für sie zu arbeiten. "Du kannst im Blumenladen schon gut verdienen", sagt sie. Wer an seine Lehre noch eine ein- bis zweijährige Fortbildung zum Meister drangehängt hat, würde bei ihr mit ungefähr 2500 Euro brutto einsteigen. Nach etwa drei Monaten würde sie dann das Gespräch suchen und das Gehalt entsprechend anpassen. "Auch als Angestellter kannst du locker 2000 netto kriegen, locker", sagt sie. "Aber es hängt halt immer davon ab, wie gut du bist oder wie viel du dich einbringst."
Menschen in jeder emotionalen Lebenssituation begleiten
In ihrem Studio steckt Waloßek weiter Gerbera in Steckschaum und erzählt, dass sie die Blumen mit ihren langen Stielen, die jeweils nur eine einzige margeritenähnliche Blüte tragen, für eine schwierige Pflanze hält. "Da musst du dir schon überlegen, wie du es machst, damit es nicht altbacken aussieht", sagt sie, während sie den Stängel einer weiteren Gerbera kürzt. "Im Blumenladen gestaltet der Kunde halt auch mit und dann ist es manchmal so, dass du es nicht aufhalten kannst. Deshalb ersticke ich das Problem im Keim und stelle keine Gerbera in meinen Laden." Auch für die morgige Vernissage sei die Pflanze nicht die erste Wahl gewesen, sagt Waloßek, der Künstler hätte sich eigentlich schwarz-weiße Anemonen gewünscht, aber die hätten gerade keine Saison. "Da waren Gerbera die beste Alternative."
Sie will gerade eine weitere Gerbera auf dem Tischgesteck drapieren, da klingelt ihr Handy. Am Apparat war Waloßeks Automechaniker. Er lernt heute zum ersten Mal die Frau eines Freundes kennen und möchte ihr unbedingt einen Blumenstrauß mitbringen. Das Tolle an ihrem Job, sagt Waloßek, sei für sie, dass sie Menschen in jeder emotionalen Lebenssituation mit ihren Blumen begleiten könne - sowohl in schönen als auch in traurigen Momenten: Blumen eignen sich zum Beispiel zur Geburt eines Kindes, zum Geburtstag, zum Studienabschluss, als Gastgeschenk, zur Hochzeit, zum Muttertag, um jemand Kranken aufzumuntern oder einen geliebten Menschen zu verabschieden. "Als Floristin bist du einfach Teil eines menschlichen Zyklus", sagt Waloßek. Oft sei bei Verkaufsgesprächen deshalb ein hohes Maß an Menschenkenntnis und Sensibilität gefragt, vor allem bei traurigen Anlässen wie Beerdigungen. Genau das mache den Beruf für sie aber auch so erfüllend: "Wenn du dich als Teil eines großen Ganzen betrachtest und merkst, wie du durch einen guten Blumenstrauß etwas bewegen kannst, dann hast du auch viel mehr einen Grund, noch einmal eine Stunde länger zu arbeiten."