Flexible Arbeitszeitmodelle:Am Alltag vorbei

In vielen Branchen gelten bereits flexible Arbeitszeitmodelle - die Beschäftigten können mit der aktuellen Debatte wenig anfangen.

Von Jost Maurin und Jonas Viering

(SZ vom 05.11.03) - Mancher ganz normale Arbeitstag von Stuart Kummer beginnt um fünf Uhr in der Frühe und endet erst um Mitternacht. Wenn Kummer Arbeit hat. "Am Set arbeiten wir mindestens zehn Stunden am Tag, manchmal auch 16 bis 18 Stunden", sagt der Regieassistent aus Berlin.

Die maximale Arbeitszeit, berichtet Kummer, sei auch in den Verträgen festgelegt - aber er kann sich nicht einmal daran erinnern, wie viel Stunden das sind. In der Praxis interessiert das sowieso niemanden. Von den Beteiligten wird erwartet, dass sie so lange bleiben, bis das Tagespensum geschafft ist.

"Mehr arbeiten geht gar nicht", sagt der 33-jährige Kummer. Die ganze Debatte um Arbeitszeitverlängerung ist für ihn ziemlich abstrakt.

Die Wirklichkeit ist anders

So einprägsam die Forderung klingt, die Deutschen müssten einfach mehr arbeiten, so wenig wird sie der Wirklichkeit im Land gerecht.

Schon heute gibt es eine bunte Vielfalt an Arbeitszeitmodellen. Bei vielen dienen Tarifverträge, über die Arbeitgeber sich gerne aufregen, nur als unverbindliche Orientierungslinie.

Die Menschen verstünden schon, dass es jetzt ums Anpacken gehe, um Wachstum und letztlich mehr Jobs zu schaffen, erklären manche Politiker - doch in den Büros und Fabriken ist viel Skepsis zu hören.

Noch mehr arbeiten für das gleiche Geld? Das kommt für Birgit Schulz nicht in Frage. Die Verkäuferin hat einen Vertrag über 25 Wochenstunden, der Einzelhandel ist eine typische Teilzeitbranche.

Kollegen nicht hängen lassen

Doch Schulz steht einmal im Monat 30 bis 35 Stunden im Schlecker-Geschäft in Hamm (Sieg). So sei das halt, wenn eine Kollegin krank wird oder Urlaub hat. Falls die Filiale ihr Personalbudget überschreite, "wird auch schon mal unbezahlt eine Stunde länger gearbeitet, um die Kollegen nicht hängen zu lassen".

Für die 49-Jährige steht deshalb fest: "Wir arbeiten so schon genug." Bei einer Sitzung des Betriebsrats, in dem sie Mitglied ist, habe sie erfahren, dass es ihrem Unternehmen gar nicht so schlecht gehe. Für Schulz zählt deshalb auch nicht das Argument, dass mit Zusatzarbeit die Jobs gesichert werden müssten.

Doch sogar in ein und demselben Unternehmen gibt es verschiedene Meinungen. Alexander Rutkowsky, bei DaimlerChrysler in Stuttgart in der Motorenmontage, schwört auf die 35-Stunden-Woche der IG Metall. "Bei dem Tempo, das wir am Band haben, geht das sonst an die Gesundheit", sagt er. Da fühle er sich mit seinen 41 Jahren schon manchmal alt.

Mehr Geld

Kollege Nikolaus Heinrichs von der Achsmontage dagegen, vier Jahre älter, würde gerne mehr arbeiten, darf es laut Tarifvertrag aber nicht. Allerdings geht es ihm nicht um den Aufschwung, sondern um mehr Geld. Er hat gebaut, die Schulden drücken, und bald will die Ausbildung der drei Kinder bezahlt sein.

Von Arbeitszeitverkürzung hält er gar nichts: "Die 35-Stunden-Woche hat nicht mehr Stellen gebracht, sondern nur mehr Roboter am Band".

Gleichfalls bei Daimler arbeitet Konstanze Hubert. Wenn Daimler-Unternehmen von Australien bis zur Westküste der USA ein Problem mit ihren Computern haben, rufen sie bei der IT-Dienstleisterin an.

"Schon wegen der Zeitverschiebung haben wir lange Arbeitszeiten", erklärt die Sachbearbeiterin. So arbeite sie "fast täglich" bis zu zehn Stunden, "ich will ranklotzen, ich bin noch jung" - aber sie muss aufpassen, dass sie damit nicht gegen die Firmenregeln zu Arbeitszeitkonten verstößt.

In keiner Statistik der Welt

Andere Mitarbeiter gehen abends zum Ausstempeln, erzählt sie, und kehren dann ins Büro zurück. Diese Arbeitszeiten werden in keiner Statistik der Welt erfasst.

Anders als bei den Metallern lassen in manchen Branchen sogar die Traifverträge die längeren Arbeitszeiten zu, die manche Politiker derzeit lauthals fordern. In der Chemie geht es bis 40 Stunden, in der Nahrungsmittelindustrie sind es bis zu 45 Stunden, im Gastgewerbe unter Umständen noch mehr.

Vielarbeiter Kummer, der von Tarifverträgen nichts weiß, hat manchmal monatelang keinen Auftrag. Wenn ein Film zu Ende gedreht ist, verlieren die Team-Mitglieder ihre Stellen. Eine typische Produktion dauere etwa zehn Wochen, erzählt der Regieassistent. Danach fällt er oft in ein tiefes Loch, zuletzt hatte er ein halbes Jahr lang kein Projekt.

Und da, sagt der Berliner, würde es ihm auch nicht helfen, wenn die Wochenarbeitszeit verlängert würde. Was er braucht, weiß er ganz genau: "Mehr Jobs - da hätte ich nichts gegen."

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