Fleischwirtschaft:Empörung über Tönnies

Tönnies Unternehmensgruppe

So sieht es gerade nicht bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück aus. Die Produktion steht still.

(Foto: Bernd Thissen/dpa)

Der Konzern fordert vom Staat die Erstattung der Löhne während der Quarantäne.

Seit rund einem Monat steht die Schlachtfabrik von Tönnies in Rheda-Wiedenbrück nun still. Nachdem sich Hunderte von Arbeitern, viele davon Werkvertragsarbeitende, mit dem Coronavirus infiziert hatten, hatte das Gesundheitsamt des Landkreises Gütersloh die Schließung angeordnet. Die aktuelle Schließungsverfügung gilt bis zum 17. Juli. Jeder Tag kostet den Fleischfabrikanten Clemens Tönnies Geld. Einen Teil der Kosten wollen er und seine Subunternehmen sich nun vom Land Nordrhein-Westfalen erstatten lassen. Sie haben beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) Anträge auf Erstattung von Lohnkosten durch das Land gestellt. Sie berufen sich auf das Infektionsschutzgesetz. Es sieht nach Angaben der Behörden eine Erstattung vor, wenn Gesundheitsämter einen Betrieb schließen und Quarantäne anordnen.

In der Politik stößt der Antrag auf Unmut. "Ich habe dafür wenig Verständnis", sagte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) der Bild am Sonntag. Durch die Vorfälle sei eine ganze Region in Mitleidenschaft gezogen worden. "Der Ärger der Bürger darüber wird durch das jetzige Vorgehen sicherlich nicht kleiner werden." Der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hält einen gesetzlichen Anspruch der Firmen für möglich, mahnte aber: "Ich würde mir anstelle von Herrn Tönnies und seinen Geschäftspartnern sehr genau überlegen, was man den Bürgerinnen und Bürgern in Nordrhein-Westfalen eigentlich noch alles zumuten will." Für Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sind die Anträge von Tönnies Beweis dafür, dass die Ankündigungen des Unternehmens "nur leere Worte waren und man kein Vertrauen in die Unternehmensführung haben kann". Es sei dreist, wie Tönnies jetzt abkassieren wolle. "Wer auf ein System der Ausbeutung setzt, die Gesundheit von Menschen riskiert und selbst in der Mitverantwortung für angeordnete Quarantänemaßnahmen steht, sollte sich mit dem Ausreizen von möglichen Erstattungsansprüchen besser zurückhalten." FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg forderte das Unternehmen auf, Verantwortung zu übernehmen, die es zuvor beim Gesundheitsschutz habe vermissen lassen. "Dafür wurde schon eine ganze Region in Geiselhaft genommen. Ich finde es unanständig, sich auch noch auf Kosten der Steuerzahler schadlos halten zu wollen." Im Netzwerk Twitter äußert sich auch Sahra Wagenknecht (Linke) empört über die Forderungen. "Das ist an Dreistigkeit ja wohl kaum zu überbieten!", twitterte sie am Wochenende. Wer Gesetze zum Infektions- und Arbeitsschutz missachte, "sollte Schadenersatz für den nötigen Lockdown und Schmerzensgeld an Beschäftigte zahlen."

Nach Angaben eines LWL-Sprechers werden die Anträge auf Lohnkostenerstattung nach Eingang abgearbeitet. Um welche Summen es sich handelt und wann die Anträge bearbeitet werden, sei völlig offen, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Die Löhne müssen vorerst von den Unternehmen bezahlt werden und können mit bis zu einem Jahr rückwirkend erstattet werden. "Für uns ist nur schwer zu sagen, wie viele Tönnies-Beschäftigte betroffen sind. Bei uns gehen auch Anträge von Subunternehmen mit Sitz in ganz anderen Kreisen ein. Wir sehen dann nur, dass die Fleischindustrie betroffen ist, aber nicht auch ein konkreter Betrieb", sagte Fischer.

Über Twitter kündigte Tönnies am Sonntag an, dass bis Ende September tausend Beschäftigte direkt eingestellt werden. Bis Ende des Jahres folge die gesamte Umstellung, heißt es in dem Tweet. Ab Mitte September stelle Tönnies zudem auf digitale Zeiterfassung um.

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