Tierhaltung:Eine Fleischsteuer führt nicht automatisch zu mehr Tierwohl

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An der Tiefkühltruhe sehen Verbraucher nicht, ob dem Schwein, dessen Nacken als in Zellophan verpacktes Steak vor ihnen liegt, wohler war als einem anderen. (Foto: dpa)

Es reicht nicht, Fleisch einfach nur teurer zu machen. Es braucht einen grundlegenden Umbau der Tierhaltung mit höheren gesetzlichen Standards - und ein verbindliches Tierwohllabel.

Gastbeitrag von Klaus Müller

Manchmal geht es schnell mit dem Meinungswechsel in der Politik. Noch im vergangenen Jahr sprach sich das Landwirtschaftsministerium gegen eine höhere Steuer auf Fleischprodukte aus. Auf Twitter war aus der Union echauffiert zu lesen: "Nein zur grünen Fleischsteuer". Ein Jahr später wird parteiübergreifend eine neue Fleischsteuer gefordert. Nun ist es nicht unredlich, aufgrund neuer Erkenntnisse seine Meinung zu ändern, wenn sie zu mehr Tierwohl und Verbraucherschutz führen. Bei der Forderung nach einer Fleischsteuer ist aber Skepsis angebracht. Denn hier gilt leider: Nur teurer hilft nicht.

Verbrauchern wird oft vorgeworfen, ihre Empörung über schlechte Haltungsbedingungen sei groß, ihre Zahlungsbereitschaft klein. Ein Mehr an Tierwohl koste eben. Das stimmt. Und das wissen und sagen auch Tier- und Verbraucherschützer und sehr viele Verbraucher. Die meisten Fleischkäufer sind Umfragen zufolge bereit, für mehr Tierwohl zu zahlen. Sie können aber nicht erkennen, wo es drinsteckt. An der Tiefkühltruhe sehen sie nicht, ob dem Schwein, dessen Nacken als in Zellophan verpacktes Steak vor ihnen liegt, wohler war als einem anderen, ob es je die Sonne sah und ob sein Rüssel im Schlamm wühlte. Ob das Huhn oder die Pute gesünder waren, besseres Futter und ein wenig mehr Platz hatten. Selbst wenn Verbrauchern schwant, dass Hühnerleben, die in einem Kilo Schenkel für zwei Euro enden, nicht sonderlich "wohl" gewesen sein können, wissen sie nicht, ob das Leben der Hühner für drei oder vier Euro mehr wirklich besser war. Die Lebensqualität der Tiere lässt sich nicht schmecken.

Erkennen könnten wir Verbraucher das nur, wenn es ein verbindliches Tierwohllabel gäbe. Aber das einheitliche, unverzüglich flächendeckend eingeführte Tierwohllabel wird es leider auf absehbare Zeit nicht geben. In Berlin geht es nicht voran und auf europäischer Ebene auch nicht. Der Label-Dschungel darf stattdessen nutzlos, weil in dieser Form keine Vergleichbarkeit schaffend, weiter wuchern. So müssen die Verbraucherschützer mühsam irreführende Werbung abmahnen.

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Zuletzt hat die Verbraucherzentrale Brandenburg vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth einen Erfolg gegen einen Discounter erzielt. Die Supermarktkette hatte ein Foto von Schweinen auf grüner Wiese neben das Tierhaltungskennzeichen mit der niedrigsten Stufe gedruckt. Laut Gericht verleite "die Abbildung der Schweine im Freiland [...]einen normal verständigen Verbraucher zu der Annahme, die verarbeiteten Tiere hätten zumindest zeitweise Zugang zu einem Außengehege erhalten". Die niedrigste Stufe 1, die für konventionelle Stallhaltung steht, entspricht allerdings lediglich dem gesetzlichen Mindeststandard, der keinen Auslauf ins Freie und etwa für ein 110 Kilo schweres Mastschwein ein begrenztes Platzangebot von 0,75 Quadratmetern fordert. Diese Form der Werbung führt Verbraucher nicht nur in die Irre, sie zerstört auch Zahlungsbereitschaften für wirkliche Tierschutzqualität.

Wer mehr Qualität wünscht, sich Biofleisch aber nicht leisten kann oder will, für den wird der Griff zum billigsten Stück Fleisch zur rationalen Handlung. Wenn ich den Mehrnutzen für das Tier nicht verifizieren kann, der Preis kein wirklicher Indikator mehr ist, dann maximiere ich den eigenen Nutzen und greife zum Billigsten.

Dass der Preis kein Indikator mehr ist, daran ist nicht die mangelnde Wertschätzung der Verbraucher schuld. Verbrauchern in Deutschland wurde jahrelang beigebracht, "Geiz" sei "geil". Beim Discounter zu kaufen, so wurde es den Verbrauchern suggeriert, sei schlau, weil dort das gleiche Qualitätsprodukt in anderer Verpackung für weniger Geld zu haben sei.

Politiker monieren häufig vorwurfsvoll in Richtung Verbraucher, die Wertschätzung für Lebensmittel sei in anderen Ländern viel höher. Dort gäben die Menschen einen viel höheren Prozentsatz ihres Einkommens für Lebensmittel aus, so ihre Argumentation. Wer so argumentiert, verschließt die Augen vor dem Zusammenhang von Angebot und Nachfrage. Dieser Logik zufolge hätten Menschen in Sachsen-Anhalt eine niedrigere Wertschätzung für preiswerten Wohnraum als Mieter im teuren München - was natürlich Quatsch ist.

Relevant ist dagegen das Prinzip der "ehrlichen Preise". Haltungsformen, die für mehr Tierwohl sorgen, führen in aller Regel zu höheren Kosten und damit auch zu höheren Endverbraucherpreisen. Kostendeckende Preise müssen sich schlussendlich am Markt bilden. Dann werden sie aus Tierschutz-, Arbeitsschutz- und Klimaschutzgründen künftig höher liegen als jetzt. Fleisch wird teurer werden.

Startpunkt für den Umbau der Tierhaltung sollte keine neue Steuerdiskussion sein

Den Tieren und damit auch dem Ansehen der Landwirtschaft würde ein grundlegender Umbau der Tierhaltung mit höheren gesetzlichen Standards und mehr Kontrollen zur Überprüfung der tatsächlichen Tiergesundheit helfen. Es bedarf verbindlicher Ziele, an denen die Landwirte ihre Investitionen und Umbauten ausrichten können. Bei den Verbesserungen sollte nicht der Platz allein ausschlaggebend sein, sondern die Tiergesundheit. Einem kranken Schwein auf 0,9 Quadratmetern ist nicht automatisch wohler als einem gesunden auf 0,75 Quadratmetern. Da gehört noch mehr dazu, und das zeichnet gute und engagierte Landwirte aus. Die Tierwohlstandards müssen verlässlich steigen. Das tun sie am besten durch ehrgeizige gesetzliche Vorgaben, einen langfristigen Verbesserungspfad, auf den Landwirte sich verlassen können, und verlässliche staatliche Fördergelder, die den Weg dahin möglich machen.

Startpunkt sollte deswegen keine neue Steuerdiskussion sein, sondern - neben dem Label - ein verbindlicher Fahrplan für die stufenweise Anhebung der gesetzlichen Standards und ein flächendeckendes Kontrollsystem. Genau diese Zusagen gibt es aber bisher weder von der Bundesregierung noch von den Bundesländern. Viel zu häufig müssen wir hören, letztlich habe es der Verbraucher in der Hand, welche Wirtschaftsweise er unterstützt. Das hat sich die letzten Jahrzehnte als Illusion herausgestellt. Wer dieses Mantra immer wieder wiederholt, will, dass sich nichts ändert.

Es ist die Bundesregierung, die Standards so setzen kann, dass die Rahmenbedingungen die richtigen sind und das gewünschte Ergebnis bringen: Mehr Tierwohl und faire Einkommen für die Landwirte. Die neue Zukunftskommission Landwirtschaft wird diese Einsicht hoffentlich befördern. Wenn im Zentrum der Diskussion aber erst mal eine neue Steuer steht, und der Verbraucher glaubt, der Preis steige nur, weil die Politik eine Steuer aufs Essen wuchtet, dann sind wir weder dem Tierwohl noch der Wertschätzung fürs landwirtschaftliche Produkt nähergekommen.

© SZ vom 24.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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