Fleischkonzern Tönnies:Familienkrach im Schlachthaus

Ortstermin des Landgerichts Essen bei Fleischfabrik Tönnies

Tönnies in Rheda-Wiedenbrück: Bei den Prozessen geht es auch um die Zukunft des Unternehmens.

(Foto: Marius Becker/dpa)

Undurchsichtige Geldflüsse, Untreue, Schadensersatz: Robert und sein Onkel Clemens Tönnies kämpfen um die Macht im Fleischkonzern. Jetzt streiten sie um seltsame Geschäfte in Liechtenstein.

Von Elisabeth Dostert, Vaduz

Die Begrüßung vor Verhandlungssaal 5 des Fürstlichen Landgerichts in Vaduz fällt barsch aus. "Sie waren mit Ihrer Mutter mal bei mir", raunzt Egon Karl Kaiser und hebt den Zeigefinger: "Sie haben mir versprochen, nicht gegen mich vorzugehen." Robert Tönnies, 36, schweigt.

Kaiser, 77, der Treuhänder aus Liechtenstein, ist der Beklagte. Er ist ein kleiner stämmiger Mann. Er trägt so eine Art Protestkrawatte. Fröhlich, frühlingshaft, wie aus dem Stoff eines Kimonos geschneidert: pinkfarbener Grund, stilisierte blaue Stiefmütterchenblütenblätter. Robert Tönnies, der Fleischwarenfabrikantensohn aus Ostwestfalen, ist einer der Zeugen. Er trägt auch eine Protestkrawatte, sie signalisiert, dass er noch zu Tönnies gehört: dunkelroter Grund, schräge graue Streifen und am unteren Rand das Tönnies-Logo - ein Rind, eine Kuh und ein Schwein. Solche Krawatten tragen die Mitarbeiter, wenn sie auf Messen wie der Anuga den Konzern aus Rheda-Wiedenbrück repräsentieren. Jedes Jahr gibt es neue Krawatten.

Zwei, drei fehlen Robert Tönnies. Zwar gehört ihm und seinem Onkel Clemens Tönnies senior, 58, der Konzern je zur Hälfte. Aber der Neffe hat sich Anfang 2012 aus dem Geschäft zurückgezogen. Damals übernahm er auch Anteile seines Bruders Clemens, 39, der sich nach einer Nierentransplantation schonen muss. Robert hat kein Büro mehr auf dem Betriebsgelände. E-Mails an seine Firmenadresse kommen mit dem Vermerk "unzustellbar" zurück.

Vaduz, Bielefeld, Hamm - es laufen viele Klagen

In dem Verfahren in dieser Woche in Vaduz geht es um die Stiftungen Gafluna und Oversea und die Firma Orgaplan, deren Stiftungs- beziehungsweise Verwaltungsrat der Beklagte Kaiser bis 2012 war. Vaduz, Bielefeld, Hamm - es laufen viele Klagen. Es geht um schwer nachvollziehbare Geldflüsse, ein doppeltes Stimmrecht, den Widerruf einer Schenkung und um Schadensersatz in Millionenhöhe. Im Grunde geht es um die Zukunft des Fleischkonzerns mit 5,6 Milliarden Euro Umsatz und 8000 Mitarbeitern. Die Wahrscheinlichkeit einer gütlichen Einigung sinkt mit jedem Gerichtstermin. Gut möglich, dass - wenn alle Urteile gesprochen sind -, es keinen eindeutigen Sieger gibt. Wird der Konzern am Ende zerlegt oder verkauft? Der Weg durch die Instanzen dauert Jahre.

Die eigentlichen Kontrahenten - mal als Kläger, mal als Beklagter und mal als Zeuge - sind immer Robert Tönnies und sein Onkel Clemens Tönnies senior. Jung gegen alt. Die Generation der Erben gegen die Generation der Gründer. Immer muss Tönnies senior reagieren. Er ist ein Mann, der lieber agiert als reagiert. Er gibt den Macher - als Unternehmer und als Aufsichtsratsvorsitzender des FC Schalke 04. In Vielem ahmt er seinen älteren Bruder nach.

Bernd Tönnies, Metzgersohn, ist erst 18 Jahre, als er 1971 die Firma gründet. Er spezialisiert sich auf die Zerlegung von Schweinen. Die Abnehmer bekommen nur die Teile, die sie wirklich brauchen. In den Achtziger Jahren holt Bernd Tönnies seinen fünf Jahre jüngeren Bruder Clemens in die Firma und beteiligt ihn mit 40 Prozent. So halten sie es künftig immer. Bernd 60 Prozent, Clemens 40 - klare Verhältnisse, der Ältere hat Mehrheit und Sagen. Die Zerlegung genügt Bernd Tönnies bald nicht mehr. Er steigt in das Geschäft mit Wurst- und Fleischwaren für Endverbraucher ein.

Die Abnehmer sollen nicht wissen, dass ihr Lieferant ihnen Konkurrenz macht

Da die alten Abnehmer nicht wissen sollen, dass ihnen ihr Lieferant Konkurrenz macht, spinnt er ein Netz aus Holdings, Stiftungen und Tochterfirmen. Das Konstrukt in Liechtenstein schafft Bernd Tönnies Ende der Achtziger Jahre, um den niederländischen Schlachthof Groenlo zu übernehmen. Käufer ist Orgaplan. Deren Eigentümer sind die Stiftungen Gafluna mit 40 Prozent, Begünstigter ist Clemens Tönnies senior, und Oversea mit 60 Prozent, Begünstigter Bernd Tönnies und nach dessen Tod seine Söhne Robert und Clemens junior.

Bernd stirbt 1994 mit 42 an den Folgen einer Nierentransplantation. Das Betriebsvermögen erben die Söhne, damals erst 16 und 19 Jahre alt. Darüber verfügen sollen sie erst mit Vollendung des 30. Lebensjahres vorausgesetzt, dass sie eine Metzgerlehre und eine kaufmännische Ausbildung machen. Testamentsverwalter wird der Steuerberater Josef Schnusenberg. Auch seine Rolle soll in den Prozessen geklärt werden. Er ist mal Kläger, mal Beklagter, mal Zeuge, mal Streitverkündeter, also als Dritter am Verfahren beteiligt. Damit ist er in Folgeprozessen an Entscheidungen vorangegangener Prozesse gebunden.

Das Firmengeflecht ist selbst für Familienmitglieder kaum zu durchschauen

Schnusenberg diente erst Bernd, dann Clemens senior, der die Geschäfte 1994 übernimmt und weiter dichte Netze spinnt. Nicht jede Firma, in deren Gesellschafterkreis der Name Tönnies auftaucht, gehört zu dem Konzern. Im Laufe der Jahre geht Clemens Tönnies senior eine Reihe privater Beteiligungen ein - etwa an der Firma Zur Mühlen. Wie Bernd vernebelt er gerne seine Engagements. Der 1998 über einen Treuhänder erfolgte Einstieg bei Zur Mühlen etwa, kommt erst 2011 in einem Kartellverfahren ans Tageslicht.

Wegen solcher Machenschaften - wegen "groben Undanks - will Robert Tönnies eine Schenkung widerrufen, auf die sich er und sein Bruder Clemens junior 2008 einließen. In dem Jahr wird Robert 30 Jahre alt. Bis dahin gehörten ihnen 60 Prozent des Kapitals, dann überlassen sie dem Onkel jeweils fünf Prozent. Der Onkel hatte ihnen erzählt, ihr Vater habe diesen Wunsch auf dem Sterbebett geäußert.

Schon vorher, Ende 2007, erzählt Clemens Tönnies junior, 39, als Zeuge im Prozess in Vaduz, habe ihm der Onkel angeboten, seinen Anteil an der Firma - damals noch 30 Prozent - zu übernehmen. Die Summe sei ihm sehr niedrig vorgekommen. Damals sei der erste "Vertrauensverlust" eingetreten. Clemens junior fragt den Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Jens-Uwe Göke, sie kennen sich aus Studientagen, "was so ein Anteil wert ist". Der hält das Angebot, "wenn der Onkel nicht noch eine Null dran hängt", für "sittenwidrig."

"In Liechtenstein ist etwas aufgetaucht, wo du Begünstigter bist"

Clemens junior verkauft nicht. Damals keimen auch Zweifel an Schnusenberg auf. Bis dahin haben ihm Robert, Clemens junior und ihre Mutter Evelin vertraut - "blind", "100-prozentig". "Ein Freund der Familie", so beschreiben sie das Verhältnis. Es gab einen "gemeinsamen Urlaub in Miami". Göke, der Schnusenberg 2012 als Steuerberater von Robert, Clemens junior und Evelin ablöst, gräbt immer tiefer. In einem "Sammelsurium", das ihm Evelin Tönnies überlässt, sei dann auch der Name Kaiser aufgetaucht, so schildert es Robert Tönnies.

"Aus Langeweile" habe Göke den Namen "gegoogelt" und sei auf den Treuhänder Kaiser aus Balzers in Liechtenstein gestoßen. Göke habe ihn angerufen und gesagt, "in Liechtenstein ist etwas aufgetaucht, wo du Begünstigter bist", erzählt Clemens junior. Damals wollen die Brüder zum ersten Mal von dem Liechtensteiner Konstrukt gehört haben. Göke, Robert und Evelin Tönnies reisen im Mai 2012 nach Balzers und fordern Einsicht in die Unterlagen. Da begegnen sich Robert Tönnies und Egon Karl Kaiser zum ersten Mal bewusst.

Kaiser ist ein alter Mann, viele Dokumente, die ihm der Richter zeigt, sind Jahre alt. Kaisers Erinnerungen sind manchmal unscharf. Seine Kontaktperson sei Schnusenberg gewesen - auch nach Ende der Testamentsverwaltung 2008. Den Kontakt zu Bernd Tönnies' Söhnen hat Kaiser nach eigener Darstellung nicht gesucht.

Keiner kann sich an seine Unterschrift erinnern

In den Bilanzen der Liechtensteiner Firmen stoßen Göke und der Rechtsanwalt Markus Wanger, der Kaiser vor zwei Jahren als Stiftungsrat bei Oversea und Verwaltungsrat bei Orgaplan ablöste, auf einen Kredit über etwa 1,3 Millionen Euro, den Orgaplan Gafluna und ihrem Begünstigen Clemens Tönnies 2002 für einen Hauskauf auf Mallorca gewährte. Ob er jemals zurückgezahlt wurde oder Kaiser zum Nachteil von Orgaplan und Oversea gehandelt hat, soll das Verfahren in Vaduz klären.

Kaiser behauptet, die Forderungen seien außerhalb des Liechtensteiner Konstruktes "glattgestellt" worden. So versteht Kaiser die Anlage eines Briefes, den ihm Schnusenberg Ende 2003 schickte. In der Anlage steht weder eine Summe, noch das Datum der Unterzeichnung, noch dass Gafluna, Oversea und Orgaplan ihren Sitz in Liechtenstein haben. "Auf die Reizworte Liechtenstein und Stiftung würde doch jeder steuerehrliche Mensch reagieren", sagt Wanger.

Aber die Anlage trägt die Unterschriften von Schnusenberg, Robert und Clemens Tönnies junior. Die können sich nicht mehr daran erinnern, dass sie das Schriftstück unterzeichnet haben. "Wir sind ein riesiges Firmenkonstrukt", sagt Robert Tönnies. "Es waren einige Hundert Unterschriften zu leisten." Die Zeugen Josef Schnusenberg und Clemens Tönnies senior, die dem Prozess in Vaduz fern blieben, sollen nun ihm Zuge eines Rechtshilfeersuchens befragt werden. Dann will der Richter sein Urteil fällen. Eines von vielen.

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