Fleischindustrie:Wie viele Schweine sind genug?

Fleischindustrie: Schweine stehen dicht in einer Box. Sie sollen künftig mehr Platz im Stall bekommen.

Schweine stehen dicht in einer Box. Sie sollen künftig mehr Platz im Stall bekommen.

(Foto: Carsten Rehder/dpa)

In Deutschlands Ställen müssten 30 Prozent weniger Tiere stehen, um Tierschutzstandards zu erfüllen. Das zeigt eine neue Studie. Der Krieg in der Ukraine könnte den Abbau nun beschleunigen.

Von Silvia Liebrich

Was der hohe Fleischkonsum in Deutschland mit dem Krieg in der Ukraine zu tun hat, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Doch der Überfall Russlands auf die Kornkammer Europas hat für hiesige Schweine-, Geflügel- und Rinderhalter Folgen. Denn sie beziehen einen großen Teil des benötigten Tierfutters aus der Ukraine, und das wird nun knapp. Daher gibt es nun Forderungen, den Tierbestand als Antwort auf die Krise drastisch zu reduzieren. Damit könnte sich ein Vorhaben der Bundesregierung beschleunigen, das ohnehin auf der Agenda steht: Der nachhaltige und tiergerechte Umbau von Ställen, der wiederum höhere Fleischpreise zur Folge hätte.

Doch wo liegt das richtige Maß? Wie viel Tierhaltung kann sich das Land leisten, wenn es Ressourcen wie Böden und Wasserreserven nicht überstrapazieren will? Um diese Balance zu erreichen, müssten die Tierzahlen in Deutschland um knapp 30 Prozent reduziert werden - bei gleichbleibenden Stallflächen. Zu diesem Schluss kommt ein noch nicht veröffentlichtes Gutachten der Tierschutzorganisation Vier Pfoten, das der SZ vorliegt.

"Die Berechnungen zeigen eindeutig, mit wie wenig Platz Tiere heute überall in Deutschland gehalten werden", kritisiert Rüdiger Jürgensen, Geschäftsführer von Vier Pfoten Deutschland. "Von einer artgemäßen Tierhaltung in der Landwirtschaft sind wir noch weit entfernt - und das 20 Jahre nachdem der Tierschutz in unserer Verfassung verankert wurde."

Insgesamt werden in dem Gutachten verschiedene Szenarien für einen möglichen Umbau der Tierhaltung durchgespielt. Auch jenes, bei dem die Zahl der Tiere so hoch bleibt wie bisher, aber Anlagen so umgebaut werden, dass sie den Haltungsstandards der EU-Öko-Verordnung entsprechen. Denn nur diese erfüllen aus Sicht von Tierschützern die Anforderungen einer einigermaßen tiergerechten Haltung. Ernüchterndes Ergebnis: Bleibt es bei der aktuellen Menge, müssten sich die bestehenden Stall- und Außenflächen versechsfachen. Ein Szenario, das unrealistisch ist, weil die gesamte Agrarfläche in Deutschland schrumpft.

Immer deutlicher zeigt sich nun mit dem Krieg, dass auch der hohe Futterbedarf der Haltung Grenzen setzt. Bereits die frühere schwarz-rote Bundesregierung hielt eine Deckelung für nötig. Sie wollte die Zahl der Tiere an die vorhandene Fläche der Höfe binden, auf der dann auch das benötigte Futter angebaut werden kann. Damit würde auch die Abhängigkeit von Importen sinken.

Erst die Pandemie, nun der Krieg

Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) will Reformen in der Landwirtschaft vorantreiben. "Weniger Fleisch zu essen, wäre ein Beitrag gegen Putin", sagte er am Wochenende in einem Spiegel-Interview. Ein System, in dem fast 60 Prozent des Getreides als Tierfutter genutzt wird, sei in Zeiten des Ukrainekrieges nicht tragbar. Sein Vorschlag stieß in der Fleischindustrie auf Widerspruch. "Eine weitere Reduktion der Tierbestände in Deutschland ist kontraproduktiv", hieß es beim Verband der Fleischwirtschaft. Er forderte ein schnelles Handeln auf anderen Feldern.

Tatsächlich stehen Tierhalter schon länger unter Druck. Die Corona-Pandemie macht Schweine-Erzeugern zu schaffen, Exporte ins Ausland brachen weg, Fleischpreise fielen ins Bodenlose. Hinzukommen nun durch den Krieg steigende Preise für Futter, Dünger und Energie.

Hubert Heigl, Präsident des Ökoverbands Naturland, warnt vor vermeintlich einfachen Lösungen. Er halte nichts von der Idee eines EU-Sofortprogramms, um Tierbestände kurzfristig zu reduzieren. "Tierhaltung hängt von den Lebenszyklen der Tiere ab. Ein Ferkel, das jetzt geboren wird, lebt und frisst zehn Monate, bevor es geschlachtet wird. Eine Kuh muss mehr als zwei Jahre alt werden, bevor sie zum ersten Mal Milch gibt. Wie soll da ein einjähriges Sofortprogramm Wirkung entfalten?", fragt Heigl. Es brauche einen geordneten Umbau, um auch konventionellen Betrieben eine Anpassung der Tierzahlen zu ermöglichen.

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