Süddeutsche Zeitung

Fleischindustrie:Hinschauen im Schlachthaus

Mehr Kontrollen könnten die Arbeitsbedingungen verbessern.

Von Max Müller, Berlin

Seit es im Sommer zu schweren Corona-Ausbrüchen in der Fleischindustrie gekommen ist, stehen die Fleischunternehmen mit ihren oft schlechten Arbeitsbedingungen unter verschärfter Beobachtung. Nun aber zeigt eine Regierungsantwort auf eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag, dass auch in anderen Branchen arbeitsrechtlich einiges im Argen liegt.

Keine Tarifverträge, Befristungen oder überdurchschnittlich viele Niedriglohnverdiener: Linken-Fraktionsvize Susanne Ferschl sieht in vielen Wirtschaftszweigen lange Mängellisten. "Das Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der Fleischbranche ist ein guter Anfang - aber eben nur ein Anfang", sagte sie der Süddeutschen Zeitung. Die Regierungsantwort zeigt, dass besonders Ausländer und Menschen, die sich ihrer Rechte nicht bewusst sind, tendenziell unter schlechteren Bedingungen arbeiten.

Der für die Kontrollen zuständige Zoll hat 2019 nicht nur in der Fleischwirtschaft, sondern beispielsweise auch in der Gastronomie und im Reinigungsgewerbe einen hohen Anteil illegaler Arbeitsverhältnisse aufgedeckt. Auch in der Forstwirtschaft, in der Pflege, im Baugewerbe sowie im Speditions-, Transport- und Logistikgewerbe läuft offenbar vieles nicht so, wie es eigentlich sollte - oder geht zumindest zu Lasten der Arbeitnehmer. Es wird allerdings auch darauf hingewiesen, dass jene Branchen besonders häufig kontrolliert werden, weshalb ein Vergleich aller Berufsfelder schwierig ist.

In der Pflege haben die Kontrolleure 406 Arbeitgeber überprüft. Im Anschluss wurden 1925 Strafverfahren und 683 Bußgeldverfahren eingeleitet. Letztlich sind diese Zahlen sogar ein Erfolg, denn 2015 lagen sie noch höher. Auch in der Gastronomie wurden bei jedem überprüften Arbeitgeber im Durchschnitt zwei Verstöße gegen das Arbeitsrecht festgestellt. Konkret arbeiten in der Gastronomie gut 38 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnbereich, im Reinigungsgewerbe gut 31 und bei den Kurierdiensten gut 24 Prozent.

In vielen Branchen arbeiten überdurchschnittlich viele Ausländer in Niedriglohn-Jobs

Besonders auffällig ist auch der überaus hohe Anteil ausländischer Arbeiter. Abgesehen vom Einzelhandel, von Call Centern und dem Bereich "Heime und Sozialwesen" arbeiten überdurchschnittlich viele Ausländer in Niedriglohnbranchen. In der Reinigung sind es knapp 39 Prozent, in der Landwirtschaft gut 33 und in der Gastronomie gut 22 Prozent. Noch prägnanter wird das Ungleichgewicht, wenn man sich auf kurzfristige Beschäftigungen fokussiert, zum Beispiel in der Landwirtschaft. Dort sind 51,4 Prozent der kurzfristig Beschäftigten keine Deutschen.

Die Regierungsantwort zeigt für alle Branchen: Wo kontrolliert wird, finden die Ermittler auch etwas. Sie zeigt aber auch: Wenn mehr kontrolliert wird, geht die Zahl der aufgedeckten Verstöße zurück. Aus Sicht der Linken zeigt dies, dass ein hoher Kontrolldruck eine abschreckende Wirkung hat. Zahlen aus der Landwirtschaft verdeutlichen das. Bei einer verstärkten Überprüfung war dort das Verhältnis von Kontrollen zu Verstößen zunächst ausgeglichen. Als immer öfter hingesehen wurde, kippte die Quote irgendwann, bis schließlich mehr Kontrollen als Verstöße festgestellt wurden. Die Linke schließt daraus: Kontrollen wirken. Offenbar wird das Risiko, erwischt zu werden, den Akteuren irgendwann zu hoch. Umgekehrt aber steige der Anreiz für Arbeitgeber, gegen das Recht zu verstoßen.

Wo die Zahl der Beanstandungen durch die Behörden hoch ist, wie in der Pflege, Gastronomie, im Beherbergungsgewerbe oder bei der Gebäudereinigung, sollten die Prüfungen zunächst erhöht werden, so Ferschl. Ganz grundsätzlich sei eine Regulierung vonnöten, bis hin zum Verbot der besonders missbrauchsanfälligen prekären Beschäftigungsverhältnisse wie Minijobs oder Leiharbeit.

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