Ernährung:Fisch vom Acker, Fleisch aus dem Bioreaktor

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Was aussieht wie Fleisch und Wurst von echten Tieren kann täuschen: Das Geschäft mit Ersatzprodukten auf Pflanzenbasis boomt.

(Foto: imago/Westend61)

Immer mehr Menschen ernähren sich vegetarisch oder vegan. Der Umsatz mit Ersatzprodukten für Fleisch und Milch könnte 2035 sieben Mal so hoch sein wie heute - ein Milliardenmarkt der Zukunft.

Von Silvia Liebrich, München

Es gibt Revolutionen, sie spielen sich im Stillen ab. Einen solchen Umbruch erlebt derzeit die Fleischindustrie. Es ist nicht lange her, da schien es völlig undenkbar, dass ein Wurst- und Schnitzelproduzent auf pflanzliche Kost umsteigt und damit auch noch Erfolg hat. Dass dies möglich ist, zeigt das Beispiel Rügenwalder Mühle. Das Familienunternehmen aus dem Norden Deutschlands erwirtschaftete im vergangenen Sommer erstmals mehr Umsatz mit veganen und vegetarischen Fleischalternativen als mit klassischem Aufschnitt oder Teewurst.

Ein Fall, der exemplarisch zeigt, mit welcher Dynamik sich der Markt für pflanzliche Alternativprodukte entwickelt - egal ob es nun um Ersatz für Milch, Käse, Eier, Fleisch oder Fisch geht.

Kein anderer Bereich im Lebensmittelsektor wächst so rasant wie der für Ersatzprodukte von Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs. Das zeigt auch ein neuer Branchenbericht, der an diesem Mittwoch veröffentlicht wird. Er prognostiziert, dass der globale Markt bis 2035 von derzeit 40 Milliarden auf 290 Milliarden US-Dollar wachsen könnte, was mehr als dem Siebenfachen des heutigen Umfangs entspräche. Ausgerechnet hat dies die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) im Auftrag und in Zusammenarbeit mit der Schweizer Investmentfirma Blue Horizon, die weltweit in Hersteller von solchen Ersatzprodukten investiert, darunter viele Start-ups.

Der Trend zu pflanzlicher Kost verändert die Lebensmittelbranche

Heruntergebrochen auf den einzelnen Verbraucher würde dies bedeuten, dass bis 2035 laut dem Bericht jede zehnte Portion tierischen Ursprungs durch ein Alternativprodukt ersetzt wird. Gemeint ist damit eine breite Auswahl an Nahrungsmitteln, die aus Algen, Pilzen und stark proteinhaltigen Pflanzen wie Erbsen, Soja oder Lupinen entstehen, aber auch Fleisch, das nicht von echten Tieren stammt, sondern in Bioreaktoren heranwächst, oder Produkte auf Basis von Insekten.

Weltweit ernähren sich immer mehr Menschen ganz oder zumindest zeitweise vegetarisch oder vegan. Dieser anhaltende Trend werde die Lebensmittelbranche verändern, glaubt Benjamin Morach, BCG-Partner und Co-Autor der Studie "The Protein Transformation". Er ist davon überzeugt, dass sich Ersatzprodukte in den kommenden zehn Jahren zu einem Massenmarkt entwickeln, vorausgesetzt der Preis stimmt. "Ein Steak aus dem Bioreaktor kostet in etwa zehn Jahren so viel wie ein echtes Rindersteak oder sogar weniger, im Supermarkt wird es dann zum Standardsortiment gehören", meint er. Die Technologien dafür seien vorhanden, doch noch seien die Kosten zu hoch. Hier müsse noch einiges geschehen, räumt er ein.

"Neben den bekannten großen internationalen Konzernen können sich neue große Lebensmittelkonzerne entwickeln", sagt der BCG-Experte weiter. Einen wesentlichen Grund sieht er in den hohen Produktionsanforderungen: "Der Markt für pflanzliche Ersatzprodukte ist sehr stark innovations- und technologiegetrieben. Wir sprechen hier von Food-Tech, ein Segment, in dem derzeit viele neue Marken entstehen."

Der Fleischkonsum könnte 2025 in Europa erstmals wieder sinken

Die Macher der Studie gehen weiter davon aus, dass der Fleischkonsum in Europa und Nordamerika 2025 erstmals sinken könnte. Positiver Nebeneffekt: Dadurch würden auch der Wasserverbrauch und der Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase deutlich sinken. Die Tierhaltung gilt als wesentlicher Grund für die negative CO₂-Bilanz der Landwirtschaft.

Ein Bereich, der nach Ansicht von Blue-Horizon-Chef Björn Witte in den kommenden Jahren deutlich zulegen wird, sind Fisch und Meeresfrüchte. "Einige Firmen kommen echten Shrimps und Fischen schon sehr nahe", sagt er. Und es sei jetzt schon möglich, solche Produkte in größeren Mengen herzustellen. Der nächste Schritt seien Muscheln, so ließen sich etwa Jakobsmuscheln bereits ganz gut nachbauen.

Beteiligungsgesellschaften wie Blue Horizon wollen am Wachstum der Branche für vegane und vegetarische Lebensmittel mitverdienen. Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben mehr als 650 Millionen Dollar an Kapital beschafft und in mehr als 50 Food-Tech-Unternehmen investiert, darunter Livekindly, Like Meat, Impossible oder Good Catch Foods.

Eines der erfolgreichsten und bekanntesten Unternehmen für pflanzliche Ersatzprodukte ist der US-amerikanische Burger-Hersteller Beyond Meat, an dem Stars wie Leonardo DiCaprio oder Microsoft-Gründer Bill Gates beteiligt sind. Derzeitiger Börsenwert: knapp 8,8 Milliarden Dollar. Aber auch etablierte Lebensmittelkonzerne wie Nestlé mit seiner Marke Gourmet Garden und die für ihr Geflügelgeschäft bekannte PHW-Gruppe investieren in pflanzliche Alternativen. Die drei bekanntesten Marken für pflanzliche Alternativen bei deutschen Konsumenten sind laut Umfragen Alnatura, Rügenwalder und Alpro.

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