Mehrwertsteuer:Warum eine höhere Steuer auf Fleisch nach hinten losgehen könnte

Fleischerei in Dachau, 2017

Politiker hoffen, eine höhere Steuer könne zu weniger Fleischkonsum in Deutschland führen.

(Foto: Niels P. Joergensen)
  • Agrarpolitiker aus unterschiedlichen Fraktionen wollen den Konsum von Fleisch mit einem höheren Steuersatz verteuern.
  • Die zusätzlichen Einnahmen sollten nicht beim Staat verbleiben, sondern direkt in eine tierfreundlichere Haltung fließen.
  • Eine Zweckbindung von Steuereinnahmen wäre jedoch gar nicht möglich - und eine Verteuerung von Fleisch könnte auch nach hinten losgehen.

Von Markus Balser, Berlin

Der Finanzminister hieß Franz Josef Strauß, als die Regierung vor gut 50 Jahren eine echte Revolution in der Wirtschaft einläutete. Im April 1967 beschloss der Bundestag die Einführung der Mehrwertsteuer in Deutschland, am 1. Januar 1968 trat sie in Kraft. Seither müssen Kunden auf alle Waren und Dienstleistungen einen gehörigen Aufschlag zahlen. Das Gesetz war allerdings anfangs so kompliziert, dass an vielen Produkten zum Jahreswechsel die Preisschilder fehlten. Schulungen der Wirtschaft zu dem Thema verzeichneten einen so großen Andrang, dass sie aus Seminarräumen in Kinos und Gaststätten verlegt werden mussten.

Ein halbes Jahrhundert später sind die Anfangsprobleme fast vergessen. Die Steuer gilt als Goldgrube. Jährlich nimmt der Staat über sie mehr als 200 Milliarden Euro ein. Jahrzehnte blieb das System im Kern fast unverändert. Doch die Diskussion um mehr Klima-, Umwelt- und Tierschutz in der Wirtschaft löst nun eine neue Debatte darüber aus, ob es noch zeitgemäß ist. Zuerst forderte Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), Bahntickets für mehr Klimaschutz niedriger zu besteuern und so zu verbilligen. Jetzt folgen Agrarpolitiker des Bundestags aus unterschiedlichen Fraktionen mit einer ganz anderen Forderung, die viele Deutsche im Portemonnaie deutlich spüren würden. Sie wollen den Konsum von Fleisch mit einem höheren Steuersatz verteuern.

Es geht um kleine Zahlen mit großer Wirkung. Denn wie bei allen anderen Grundnahrungsmitteln, etwa Obst oder Gemüse, brauchen die Deutschen auch auf Hähnchenbrust oder Rindersteaks beim Metzger oder im Supermarkt mit sieben statt der üblichen 19 Prozent nur einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu bezahlen. Diese Steuererleichterung nehmen Agrarexperten wie der Grüne Friedrich Ostendorff jetzt jedoch ins Visier. Auch Fachpolitiker von SPD und Union sind offen für eine Erhöhung auf 19 Prozent. Dahinter stecken gleich zwei Ziele. Die zusätzlichen Einnahmen sollten nicht beim Staat verbleiben, sondern direkt in eine tierfreundlichere Haltung fließen. Und womöglich, so hofft man, könnte ein höherer Preis erreichen, was sich Klimaschützer wünschen: weniger Fleischkonsum in Deutschland.

Am hohen Pro-Kopf-Verbrauch hat sich in den vergangenen Jahren wenig geändert. Noch immer zählen die Deutschen zu den weltweiten Spitzenreitern. Im Jahr 2018 etwa lag der Konsum pro Kopf bei fast 80 Kilogramm - gut 60 Kilo davon landeten als Fleischware direkt auf den Tellern, der Rest wurde unter anderem als Futterware eingesetzt. Zwar konsumieren US-Amerikaner, Argentinier und auch Österreicher noch mehr. Im weltweiten Durchschnitt aber liegt der Pro-Kopf-Verbrauch nach Angaben der UN-Ernährungs- und Agrarorganisation FAO nur bei gut 40 Kilogramm je Verbraucher. Zu den Folgen der Tierhaltung und des Konsums gehört, dass wegen zu viel Gülle auf den Feldern in einem Viertel der deutschen Wasserspeicher die Nitrat-Grenzwerte überschritten werden - vor allem in den Zentren der Viehwirtschaft. Die EU droht Deutschland deshalb mit millionenschweren Bußgeldern. Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung des Bundestags attestierte dem Agrarsektor erst im Juli in einer Studie, dass sich die ökologische Nachhaltigkeit "verschlechtert" habe, intensive Formen der Nutztierhaltung ohne Auslauf nähmen zu statt ab. Tierschützer kritisieren massive Missstände in der Haltung.

Auch in der Klimapolitik spielt die Fleischproduktion inzwischen eine zentrale Rolle. Zum einen verursacht die Viehhaltung direkt Emissionen, vor allem Methan und Lachgas bei Rindern. Zum anderen benötigt Fleisch in der Produktion viel mehr Ressourcen als etwa Gemüse. So entstehen bei Rindfleisch 20-mal so viele Treibhausgase pro Gramm essbaren Eiweißes wie bei pflanzlichen Eiweißen aus Bohnen oder Erbsen. Auch das Umweltbundesamt (UBA) sprach sich deshalb bereits für eine ökologische Mehrwertsteuerreform aus. "Klimaschädliche Produkte mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent zu subventionieren, passt nicht in die Zeit", sagte UBA-Präsidentin Maria Krautzberger. Gemüse oder Brot sollten dagegen noch billiger werden, denkbar sei eine Steuerermäßigung von sieben auf fünf Prozent.

Geschlachtet wird noch immer eine enorme Zahl von Tieren

Doch in den Reformeifer mischen sich Zweifel. Selbst Befürworter räumen ein, dass eine Steuererhöhung allein weder Rindern, Hühnern und Schweinen noch der Umwelt zwangsläufig etwas bringen. Denn ausgerechnet beim fragwürdigen Billigfleisch fiele der Aufschlag dann geringer aus als bei teureren Bio-Produkten, die schon jetzt für mehr Tier- und Umweltschutz stehen. Mögliche Konsequenz: Noch mehr Konsumenten könnten an der Fleischtheke zur Massenware greifen.

Ausgerechnet beim Hauptziel der Befürworter tun sich Probleme auf. Eigentlich soll so mehr Geld für Bauern eingenommen werden, von denen viele Umbauten für mehr Tierwohl wollen, aber bislang wegen niedriger Fleischpreise nicht finanzieren können. Doch eine Zweckbindung von Steuereinnahmen etwa für mehr Tierwohl wäre gar nicht möglich. Steuereinnahmen seien grundsätzlich nicht zweckgebunden, sagte eine Sprecherin des Finanzministeriums. "Alle Einnahmen dienen als Deckungsmittel für alle Ausgaben." Im Ressort von Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) stellt man bereits den Sinn höherer Abgaben infrage. Zentrale Probleme der Landwirtschaft seien aus Umweltsicht die hohen Tierbestände und die Intensiv-Tierhaltung, sagte ein Sprecher am Mittwoch. Da gebe es allerdings effektivere Mittel als das Steuerrecht, um zu niedrigeren Tierzahlen in Ställen zu kommen. Etwa das Düngemittelrecht, bei dem die Bundesregierung kurz vor einer Verschärfung stehe.

Der Deutsche Bauernverband wandte angesichts der Probleme ein, eine Fleischsteuer sei zu kurz gedacht. "Nicht der Fiskus, sondern die Landwirte brauchen Mittel und Unterstützung für eine Weiterentwicklung der Tierhaltung", erklärte Generalsekretär Bernhard Krüsken. Um wie viel es bei der Debatte um bessere Haltungsbedingungen für Tiere in Deutschland geht, rechnete am Mittwoch noch das Statistische Bundesamt in Wiesbaden vor. Die produzierte Fleischmenge habe im ersten Halbjahr in Deutschland bei 3,9 Millionen Tonnen gelegen. Damit sank sie zwar leicht im Vergleich zum Vorjahr. Geschlachtet aber wurde noch immer eine enorme Zahl von Tieren. Insgesamt 29,4 Millionen Schweine, Rinder, Schafe und Ziegen wurden zu Fleisch verarbeitet.

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