Süddeutsche Zeitung

"Flash Crash" 2010:Polizei verhaftet mutmaßlichen Börsen-Manipulator

Lesezeit: 3 min

Von Björn Finke, London

Millionengewinne dank künstlich gedrückter Kurse

Es herrschte Panik in den Handelsräumen der Banken: Innerhalb nur weniger Minuten verlor der Dow Jones, der Leitindex der US-Börse, fast 1000 Punkte, weltbekannte Konzerne büßten Hunderte Milliarden an Börsenwert ein. Das war 2010, am 6. Mai. Nach dem Absturz erholten sich die Papiere zwar schnell wieder, trotzdem war die Finanzwelt aufgeschreckt: Was war der Auslöser für diesen Flash Crash, den Blitzabsturz?

Nun, fünf Jahre später, soll der Hauptverantwortliche gefunden sein: ein unscheinbarer Händler aus dem Londoner Stadtbezirk Hounslow, westlich der Innenstadt. Navinder Singh Sarao heißt er, die Londoner Polizei nahm ihn am Dienstag fest.

Am Mittwoch soll er dem Gericht vorgeführt werden, US-Behörden fordern seine Auslieferung. Der Vorwurf: Mit einem automatisierten Handelsprogramm soll der 36-Jährige die Notierungen für Futures auf den US-Börsenindex S&P 500 systematisch nach unten getrieben haben - und damit nach Schätzungen des amerikanischen Justizministeriums allein zwischen 2010 und 2014 etwa 40 Millionen Dollar verdient haben. Futures sind Termingeschäfte, also Wetten auf Kursentwicklungen in der Zukunft. Investoren nutzen sie als Versicherung gegen Schwankungen. Oder zum Spekulieren.

Ausgefeilte Masche mit Wetten auf die Kursentwicklung

Die betrügerische Software von Nav Sarao Futures - so heißt die Firma des Beschuldigten - speiste in das Handelssystem der Börse Chicago Mercantile Exchange Verkaufsaufträge ein. Allerdings wollte der Brite die Papiere gar nicht verkaufen, es ging nur darum, durch die Order den Anschein zu erwecken, dass viele Händler die Futures loswerden wollen. Das drückt den Preis.

Die Software passte darum automatisch immer wieder den geforderten Verkaufspreis des Londoners an: Er verlangte für seine Papiere stets ein wenig mehr, als Käufer zu zahlen bereit waren. Ist der Preis dann im Keller, greift der Betrüger günstig zu, stellt seine Software aus, wartet, dass der künstlich gedrückte Preis wieder steigt - und schlägt die Futures mit Gewinn wieder los.

Kettenreaktion als unerwünschte Nebenwirkung

Doch am 6. Mai 2010 hatte dieser muntere Betrug schlimme Nebenwirkungen: Die vielen angeblichen Verkaufsaufträge trugen dazu bei, dass die Notierungen auf dem US-Aktienmarkt rasant abstürzten. Die amerikanische Börsenaufsicht SEC und die Wertpapierbehörde CFTC machten nach einer Untersuchung zunächst den weithin unbekannten Investmentfonds Waddell & Reed Financial aus Kansas für das Desaster verantwortlich.

Nun scheint aber klar zu sein: Es war nicht nur eine Firma aus Kansas schuld, sondern auch die Software aus Hounslow. "Singh Saraos Verhalten war zumindest mitverantwortlich für das Ungleichgewicht auf den Märkten, das wiederum einer der Auslöser für den Flash Crash war", sagte Aitan Goelman von der CFTC.

Das Problem bei Waddell & Reed waren falsche Einstellungen des Handelscomputers. Der gab Verkaufsaufträge für Futures viel zu schnell nacheinander ab, weshalb sich nicht genug Käufer fanden. Die Computer anderer Handelshäuser registrierten die ungewöhnliche Bewegung auf dem Markt und verkauften ebenfalls Terminkontrakte - sicher ist sicher. Die Notierungen für die Futures fielen rasant.

Das wiederum führte zum Absturz bei den Aktien, die die Grundlage für die Futures bilden. Die Kursverluste bei den Aktien wiederum hatten zur Folge, dass Handelscomputer keine Aktien mehr kaufen wollten. Die Preise brachen vollends ein. Erst als die Systeme erkannten, wie spottbillig nun die Papiere mancher Konzerne sind, fingen sie wieder an, Aktien zu erwerben. Der Markt erholte sich. Dieser sogenannte Flash Crash löste aber eine Debatte um die Risiken aus, die mit der Computerisierung des Börsenhandels einhergehen.

Firmenadresse bei den Eltern im Arbeiterbezirk

Die Nachbarn des Londoner Händlers fielen aus allen Wolken: Herr Singh Sarao soll ein millionenschwerer Betrüger sein, dessen Machenschaften die Weltbörsen in Panik versetzten? Seine Firma im Arbeiterbezirk Hounslow, in der Nähe des Flughafens Heathrow, ist unter der Adresse seines Elternhauses gemeldet. In britischen Medien berichten die Anwohner, dass Singh Sarao "ein kaputtes grünes Auto" fahre. Seine Eltern seien gute Leute, die regelmäßig in den Sikh-Tempel gingen. Er selbst rede nicht viel, man sehe ihn selten.

Der unscheinbare Herr Singh war offenbar schwer beschäftigt.

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