FitnessIronman im Hobbykeller
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Corona macht die klassischen Fitnessstudios zu Verlierern. Besonders gefragt sind Anbieter, die moderne Trainingsgeräte liefern - plus Coach via Bildschirm. Ist die Zeit der Muckibuden endgültig vorbei?
Von Uwe Ritzer
Neuerdings geht Kasper Rorsted, 58, zum Training öfter mal ins Parkhaus. In normalen, in nicht-pandemischen Zeiten also, stählt der Vorstandsvorsitzende des Sportartikelherstellers Adidas seinen Körper frühmorgens im Fitnessstudio der Konzernzentrale in Herzogenaurach. Die ist aus bekannten Gründen seit geraumer Zeit geschlossen, weshalb Rorsted sich mit Gymnastik und Kraft-Ausdauer-Übungen im luftigen Firmenparkhaus fit hält. Da ist viel Platz, da steht kaum ein Auto, weil die Mitarbeiter fast allesamt im Home-Office arbeiten. Und wenn es im Vorstand kurzfristig etwas zu besprechen gibt, dann ruft Rorsted seine Kollegen - die komplette Führungsriege von Adidas harrt seit Monaten in Herzogenaurach aus - neuerdings auch bei Kälte und Schnee zu gemeinsamen Spaziergängen über den weitläufigen Firmencampus zusammen.
So wie den Top-Managern des Sportartikelriesen geht es vielen Menschen, die in Zeiten des Lockdowns zu Hause kaserniert sind: Es drängt sie an die frische Luft, sie wollen sich bewegen, etwas für ihre Gesundheit und ihr Wohlgefühl tun. Doch ausgerechnet jetzt sind die Fitnessstudios, Schwimmbäder und Turnhallen geschlossen, und die Sportvereine haben ihre Angebote eingestellt. Doch trotz dieser Kluft zwischen enormer Nachfrage und null Angebot steht eines fest: Corona ist dabei, das Geschäft mit Fitness grundlegend zu verändern.
Die Nachfrage nach Yogamatten steigt enorm
Da ist zum einen der globale Trend zu mehr Fitness und zu einem gesünderen Lebensstil, der lange vor Corona begann. "Die Pandemie hat diesen Trend verstärkt", sagt Kasper Rorsted mit Blick auf die Verkaufszahlen bei Adidas. "Mit Beginn der ersten Lockdowns ist die Nachfrage nach Yogamatten, Trainings- und Laufbekleidung oder nach Wanderschuhen enorm angestiegen. Bei Yogamatten hatten wir zeitweise Rekordverkäufe und im letzten April ist der Umsatz mit Adiletten im dreistelligen Prozentbereich gewachsen."
Die Hersteller haben sich längst auf diesen Fitness-Trend eingestellt, der nach übereinstimmender Einschätzung von Experten nach dem Lockdown einen neuen Schub erleben wird. Nike, Adidas und Puma, aber auch kleinere Markenanbieter haben ihre Produktpaletten nachjustiert. Es geht nicht mehr ausschließlich darum, jenen neuen Laufschuh zu erfinden, mit dem ein ehrgeiziger Sportler den Marathon fünf Minuten schneller läuft. Mehr denn je sind Otto Normalsportler und ältere Menschen Zielgruppen. So boomt schon länger das Geschäft mit Outdoor-Bekleidung und Schuhen, die man eben nicht nur beim ambitionierten, alpinen Bergwandern, sondern auch beim Spazierengehen im Flachland tragen kann. Adidas bietet seit geraumer Zeit eine Trainingskollektion für ziemlich Übergewichtige auf - vor zehn Jahren wäre das vom Selbstverständnis der Marke her undenkbar gewesen. Und die Hersteller von E-Bikes sprechen erfolgreich eine Zielgruppe an, die sich mit ihrem Fahrrad nicht plagen, wohl aber ordentlich bewegen wollen.
Anderer Profiteure des coronabefeuerten Fitnessbooms sind jeden Abend im Werbefernsehen zu sehen. Anbieter, von denen die breite Masse der Trainingswilligen vor wenigen Monaten noch nicht einmal die Namen kannte. Nun sehen sie TV-Spots, mit denen der Spinning-Anbieter Peloton oder die Firma Vaha ihre Trainingssysteme bewerben, bei denen sich körperliches Workout mit digitaler Technik verbindet. Peloton bietet Spinningräder samt Touchscreen, über den der oder die Bewegungswillige Trainingsprogramme abrufen und sich mit Coaches oder anderen Teilnehmern via Bildschirm vernetzen kann. Das Vaha-System besteht aus einem mannshohen Touchscreen ähnlich einem überdimensionalen Smartphone, auf dem sich Fitnessprogramme abrufen lassen, oder Personaltraining gebucht werden kann.
Die Krisengewinnler sind keine Billigheimer
Die Krisengewinnler Peloton und Vaha (an dem Unternehmen ist Welttorhüter Manuel Neuer beteiligt) sind keine Billigheimer. Spinningrad oder Trainings-Flatscreen kosten jeweils mehr als 2000 Euro, hinzu kommen monatliche Gebühren im mittleren zweistelligen Bereich für die Trainingsangebote. Wie enorm die Nachfrage ist, zeigen gelegentliche Nachschubprobleme bei den Gerätschaften. Aber auch die klassischen Hersteller und Händler analoger Hometrainer oder Rudergeräte melden pandemiebedingte Zuwächse; die Preise für Sportgeräte stiegen zuletzt um acht Prozent.
Wie soll man diesen Boom bei Trainingsgeräten für zu Hause interpretieren? Sind sie nur Notbehelf in der Pandemie, oder sind Fitnessstudios und Sportvereine Auslaufmodelle, weil künftig bevorzugt in den eigenen vier Wänden gestrampelt und geturnt wird?
"Online-Trainings sind ein Add-on, aber sie werden Studiobesuche nicht ersetzen", sagte jüngst auf der digitalen Sportartikelmesse Ispo Benjamin Roth, Mitgründer und Chef von Urban Sports Club. Das Unternehmen vertreibt eine Flatrate, deren Käufer sich bei zig Sportanbietern einbuchen und deren Angebote nutzen können. Auch Martin Seibold, Chef der Fitnessstudiokette Fitness First, glaubt nicht an ein Ende seiner Branche. Bis 2037 werde sich die Zahl der Studiogänger sogar verdoppeln, sagt er.
Momentan allerdings geht es gewaltig nach unten. Der Branchenverband DSSV meldete im November einen Rückgang bei zahlenden Fitnessstudio-Mitgliedern um drastische 15,7 Prozent binnen zehn Monaten. Hinzu kämen weitere fünf Prozent, die ihre Mitgliedschaften während der Pandemie zeitweise stilllegen. Der Verband schätzt, dass aktuell weniger als zehn Millionen Menschen hierzulande Mitglieder in einem Fitnessstudio sind, vor dem Lockdown waren es gut 11,6 Millionen.
"Uns werden ständig Fitnessstudios zur Übernahme angeboten und wir wachsen auch während des Lockdowns", sagt Björn Krämer, Gründer und Chef von Fit-plus. Einige habe man bereits übernommen. Mit 120 Studios ist die Franchisefirma aktuell der achtgrößte Anbieter, "unser Ziel sind 1000 Studios und die größte Kette in Europa zu werden", sagt Krämer. Fit-plus betreibt Studios ausschließlich in ländlichen Gegenden und Orten mit maximal 10 000 Einwohnern. Dort seien die Mieten niedriger und damit auch die Betriebskosten. Die Ausstattung der Studios ist auf das Wesentliche beschränkt, das Nutzer zum Training brauchen, viele Dienstleistungen drumherum sind digitalisiert. Die Zeichen bei Fit-plus stehen auf Expansion. Denn das Fitnessgeschäft der Zukunft ist vor allem eine Frage des richtigen Geschäftsmodells. "Der Fitnesssport wird vielfältiger werden", prophezeit Krämer.