Süddeutsche Zeitung

Fischverarbeitung:Marokkaner statt Maschine

Von Ostfriesland über Gibraltar nach Marokko oder gleich direkt nach Polen: Der globale Irrsinn der Krabbenpulerei und warum Maschinen nur bedingt taugen.

Jens Schneider

Es klingt wie die gute Zeit, in der auch hierzulande noch vieles mit der Hand gemacht wurde. "Das liegt gut dreißig Jahre zurück", sagt der Fischer Dirk Sander aus Dornumersiel in Ostfriesland. Seit Jahrzehnten lebt seine Familie vom Krabbenfang, also von der kleinen, nicht mal fingergroßen Nordseegarnele, einer feinen Delikatesse. Sander weiß noch, wie einst nach jedem Fang ein kleiner Lieferwagen große Eimer voller Krabben an die Häuser im Ort verteilte. Dort "pulten" dann die Frauen das Fleisch aus dem Panzer, was Fingerfertigkeit erfordert - durch zu heftigen Druck wird das Fleisch matschig. Und Geduld: Von drei Kilo Krabben bleibt nur ein Kilo Fleisch übrig. Das wurde abends abgeholt. "Man war froh über das kleine Zubrot."

Dann aber wurden die Hygiene-Anforderungen immer strenger, es gab großen Preisdruck, und an die Stelle der "Heimschälung" trat ein ausgefeiltes logistisches System, das wie ein Sinnbild für die Absurditäten der Globalisierung erscheint. Die Krabben werden aus Deutschland zumeist erst in die Niederlande und dann quer durch Europa nach Marokko gefahren, wo die Löhne niedrig sind. Dort werden sie in großen Fabriken geschält und danach wieder zurückgebracht. Oft sind die Transporte als ökologisch unverantwortlich kritisiert worden, und so beteiligte sich die niedersächsische Landesregierung gern mit Fördermitteln im höheren sechsstelligen Bereich, als ein Kaufmann in Cuxhaven ein "Krabbenschälzentrum" gründete.

Dort sollten die Krabben nicht von Hand gepult werden, sondern von Maschinen. Der Kaufmann war sich sicher, dass das technisch und auch wirtschaftlich funktionieren würde. Tonnenweise Krabben sollten die Maschinen täglich pulen, er versprach viele Arbeitsplätze. Träume von solchen Maschinen haben schon manche an der Küste geträumt, über ihr Scheitern gibt es legendäre Geschichten - und auch dieser Versuch lief nur wenige Monate. Das Krabbenschälzentrum hat jetzt Insolvenz angemeldet. Genau weiß niemand, woran es gescheitert ist. Aber für die Fischereiwirtschaft ist die Sache wenig überraschend. "Mit den Maschinen klappt das eben nicht", sagt Bernd de Beer. Seine Firma, die größte im deutschen Krabbenhandel, liefert von Ostfriesland aus ebenfalls vor allem nach Marokko und zum kleineren Teil nach Polen, um dort schälen zu lassen.

Der Transport nach Afrika und zurück sei die beste Lösung, heißt es auch bei der niederländischen Firma Heiploeg in Zoutkamp, die den deutschen Markt dominiert. Sieben bis zehn Tage seien die Krabben in Kühllastern unterwegs, teilt das Unternehmen mit. Über Gibraltar würden sie nach Tetouan in Marokko gebracht, wo in einem riesigen Kühlhaus vornehmlich Frauen pulen. Gewiss seien die Löhne dort viel niedriger als in Holland oder Deutschland. 13 Dirham gebe es pro Kilo, etwas mehr als einen Euro, dafür pult man schon eine Weile. Man zahle auch Sozialleistungen und Urlaubsgeld, die Jobs seien sehr begehrt.

Auch Heiploeg versucht in kleinem Rahmen, mit Maschinen zu arbeiten, kann damit aber den Transport nach Marokko noch lange nicht ersetzen. Schäl-Apparate seien oft anfällig und außerdem sehr aufwendig zu bedienen, heißt es unter Fischern: "Da musst du immer einen Ingenieur danebenstellen." Es bräuchte auch Arbeiterinnen zur Nachkontrolle, zudem viel Wasser und Energie. "Das wäre ja schön, wenn das funktioniert", sagt der Fischer Dirk Sander aus Dornumersiel, "aber es geht nun mal so richtig nur von Hand."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1046344
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.01.2011/mel
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.