Firmenkredite:Banken drohen Milliarden-Rückzahlungen wegen Bearbeitungsgebühren

Banken 2008

Es braut sich etwas zusammen über Frankfurt: Bearbeitungsgebühren bei Firmenkrediten seien "bei fast allen Banken" üblich gewesen, so Anwalt Degenhart.

(Foto: dpa)
  • Banken müssen Firmen Geld zurückzahlen, wenn sie für Kredite eine gesonderte Bearbeitungsgebühr kassiert haben. Das entschied am 4. Juli der BGH.
  • Erst jetzt wird klar: Es dürfte sich um einen zehnstelligen Euro-Betrag handeln.
  • Viele ohnehin angeschlagene Banken zittern bereits vor den Rückzahlungsforderungen.

Von Harald Freiberger und Meike Schreiber, Frankfurt

Am 4. Juli veröffentlichte der Bundesgerichtshof (BGH) ein Urteil, dessen Dimension zunächst nicht klar war. Danach dürfen Banken von Geschäftsleuten und Firmen keine gesonderte Bearbeitungsgebühr kassieren, wenn sie ihnen einen Kredit geben (Az. XI ZR 233/16). Welche Folgen das für die Banken hat, ließ sich da noch nicht abschätzen. Der Bankenfachverband etwa gab eine Stellungnahme ab, die sich auch jeder selbst hätte denken können: Es hänge "je nach Bank davon ab, in welchem Maße und auf welche Art Bearbeitungsentgelte genommen wurden".

Inzwischen sind gut zwei Wochen vergangen, und langsam wird deutlich, wie viel Sprengstoff in dem Urteil steckt. Den deutschen Banken, die ohnehin unter der Nullzinspolitik der EZB leiden, drohen Rückzahlungen in Milliardenhöhe, zeigen Berechnungen von Experten. Der Vorstand eines großen Kreditinstituts sagt: "Das ist eine richtig schlimme Sache, das kommt zur absoluten Unzeit."

Maximilian Degenhart ist Anwalt und Experte für Kapitalmarktrecht bei der Münchner Kanzlei Beiten Burkhardt. "Das Thema wird in der Branche gerade heiß diskutiert", sagt er. Er beobachtet das auch bei Kollegen. Bei Kanzleien quer durch die Republik lassen Unternehmen bereits ihre Ansprüche prüfen. Gleichzeitig herrscht bei den Banken große Unruhe, sie bauen in ihren Rechtsabteilungen Verteidigungslinien auf.

Die Experten dürften dabei ein Déjà-vu-Erlebnis haben: Vor drei Jahren, im Mai 2014, fällte der BGH nämlich ein fast identisches Urteil, allerdings mit einem Unterschied: Es bezog sich auf die Kredite von Privatleuten, nicht von Firmen. Banken, die auf Verbraucherkredite eine pauschale, vom Zins unabhängige Gebühr erhoben hatten, mussten diese erstatten, und zwar bis zu zehn Jahre zurück. Für die Banken war das ein schwerer Schlag. Die Stiftung Warentest schätzt, dass sie bis zu 13 Milliarden Euro solcher Entgelte von Privatleuten erhoben hatten.

Mit dem neuen Urteil weitet der BGH dies nun auf Firmenkredite aus. Der Versuch, Kosten in einem von der Laufzeit unabhängigen Extraposten auf Kunden abzuwälzen, benachteilige diese unangemessen, heißt es in der Veröffentlichung der Richter. Es sei nicht ersichtlich, warum Unternehmer vor der "einseitigen Gestaltungsmacht der Banken" weniger geschützt werden müssten als Privatleute.

"Bei fast allen Banken üblich"

Die ausführliche Begründung des Urteils steht noch aus, sie dürfte in zwei bis vier Wochen kommen. Deshalb wollen die Banken nicht ausführlich Stellung nehmen. Bei der Deutschen Kreditwirtschaft, in der alle Banken zusammengeschlossen sind, heißt es, eine abschließende Bewertung sei noch nicht möglich.

Nach Erfahrung von Anwalt Degenhart waren Bearbeitungsentgelte bei Firmenkrediten aber "bei fast allen Banken und in fast allen Fällen üblich". In der Regel hätten sie 0,5 bis drei Prozent der Kreditsumme ausgemacht. Da Firmenkredite deutlich höher sind als Verbraucherkredite geht es auch um weit höhere Summen. In den beiden Fällen, die der BGH entschied, müssen die Banken 30 000 und 13 500 Euro zurückzahlen.

Ein Szenario, das Banken-Analyst Peter Barkow entwirft, zeigt, welche Dimension das Urteil haben könnte: Nach Daten der Bundesbank haben die Banken derzeit Kredite über 900 Milliarden Euro an Firmen vergeben. Die durchschnittliche Laufzeit beträgt sechs Jahre. Das heißt, pro Jahr vergeben die Institute Kredite über 150 Milliarden Euro neu. Unterstellt man ein Bearbeitungsentgelt von durchschnittlich einem Prozent, geht es um eine Summe von 1,5 Milliarden Euro im Jahr - sechs Prozent des gesamten Vorsteuergewinns der Branche von 26,5 Milliarden Euro im Jahr 2015. Da die Verjährungsfrist für das Urteil drei Jahre beträgt, wären es 4,5 Milliarden Euro. "Das Szenario zeigt, dass die Angelegenheit für die Banken zu einem erheblichen Problem werden kann", sagt Barkow.

Die Bankenverbände versuchen, das Thema niedrig zu hängen. Beim BVR, dem Dachverband der Volks- und Raiffeisenbanken, heißt es, man habe den Instituten schon 2014, als das Urteil zu den Verbraucherkrediten kam, geraten, auf das Entgelt für Firmenkunden zu verzichten. Deshalb dürfte es nicht mehr allzu viele unverjährte Fälle geben. Der Sparkassenverband DSGV strich das Entgelt im Februar 2017 aus den Vordrucken der Kreditverträge, die Sparkassen herunterladen können. Auch die Finanzaufsicht zeigt sich relativ entspannt: Die meisten Banken hätten solche Entgelte zuletzt nicht mehr verlangt, die anderen seien in der Lage, es zurückzuzahlen, heißt es in Aufsichtskreisen.

Das ändert aber nichts daran, dass die Nervosität bei einzelnen Banken groß ist. "Die Unternehmen werden sich sicher trauen zu klagen", sagt der Vorstand der Großbank. Die Kreditversorgung sei derzeit so gut, dass Unternehmen die Bank leicht wechseln könnten, sie säßen am längeren Hebel. Zudem würden sich die jeweiligen Manager dem Risiko der Untreue aussetzen, wenn sie nicht klagen.

Für Anwälte dürfte bald Goldgräberstimmung ausbrechen

In der Rechnung gibt es noch einige Unbekannte. Eine betrifft die Laufzeit des Urteils. "Zehn Jahre rückwirkend wie bei Verbraucherkrediten wären der Supergau", sagt der Vorstand. Rechtsexperten schätzen aber, dass es bei drei Jahren bleibt, weil die Situation beim Verbraucherurteil eine andere war: Das Urteil vor drei Jahren kam völlig überraschend, diesmal ist das nicht mehr so. Eine andere offene Frage ist, ob das Urteil auch für syndizierte Kredite gilt, also größere Summen, die sich mehrere Banken teilen.

Details erfahren Betroffene erst, wenn der BGH die Urteilsbegründung vorlegt. Für Anwälte dürfte dann Goldgräberstimmung ausbrechen: Rechtsvertreter von Firmen werden prüfen, inwieweit ein Entgelt bei Krediten pauschal verlangt wurde, Banken werden versuchen zu beweisen, dass sie das Entgelt individuell vereinbarten. "Für Anwälte ist das natürlich eine riesentolle Sache", sagt der Bankvorstand.

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