Firmen-Software:Zweikampf in der Wolke

Pedestrians walk near a construction site for the new Salesforce headquarters in San Francisco, California

Fußgänger vor dem Neubau der Firmenzentrale von Salesforce in San Francisco: Die Farbe des Cloud-Konzerns ist hellblau wie der Himmel.

(Foto: Robert Galbraith/Reuters)

Der US-Softwarekonzern Salesforce fordert den deutschen Platzhirsch SAP heraus. Er setzt ausschließlich auf die "Cloud".

Von Helmut Martin-Jung

Es klingt so selbstverständlich, irgendwie logisch fast: Aufstrebender US-Konzern aus dem Silicon Valley mit charismatisch-schillerndem Chef verdrängt deutsches Software-Unternehmen. Hier Salesforce, die smarten Newcomer, die, seit es sie gibt, Cloud bieten und nichts als Cloud. Der Kunde zahlt bloß, was er an Dienstleistung braucht. Die Software läuft in eigenen Rechenzentren, mittlerweile auch einem in Deutschland. Dort SAP, die biederen Deutschen mit ihrem Geschäftsmodell, das nach landläufiger Meinung auf Installationen beim Kunden setzt, auf saftig dotierte Wartungsverträge.

Aber ist dieses Bild richtig?

"Schon klar", sagt Carsten Thoma, "Salesforce ist die größte Software-Firma, die in den letzten Jahren entstanden ist. Wenn so was passiert, muss man schon gucken, was die tun." Denn: Wer wachsen wolle, müsse auch Marktanteile von Konkurrenten erobern. Thoma arbeitet bei SAP, aber er ist kein Walldorfer Urgestein. In der Schweiz gründete er Hybris, eine Firma zur Verwaltung von Kundenbeziehungen, im Fachsprech CRM genannt, das steht für customer relationship management. Das Besondere an Hybris: Auch diese Software setzt keine lokalen Installationen voraus - genau so etwas fehlte SAP. Seit 2013 ist Hybris ein Teil des Konzerns.

Aber nicht nur das.

Mittlerweile können die Kunden bereits 90 Prozent der Dienstleistungen, die SAP anbietet, aus der Cloud beziehen - wenn sie denn wollen. Doch warum sollten sie das? Bei Salesforce hebt man hervor, dass jeder Mitarbeiter jederzeit von überallher die für ihn wichtigen Daten abrufen kann - und zwar ganz einfach. Firmengründer und Chef Marc Benioff brüstet sich gerne damit, dass er seine Firma mit dem Smartphone führe.

Thoma sieht das anders. Dass Cloud-Software so stark boomt, hält er für "klassisches Konsumverhalten". Anders gesagt: Für die Kunden ist es schlicht kostengünstiger, Software aus der Cloud zu nutzen. Sie müssen weniger Rechenzentren betreiben, sich für die gemietete Software nicht um Updates und Datensicherheit kümmern. Und wenn sie mal weniger Leistung brauchen, fahren sie ihre Abos zurück und zahlen dann auch weniger.

Softwarefirmen haben dasselbe Problem wie alle anderen auch: Sie müssen digitaler werden

Für eine traditionsreiche Firma wie SAP war dieser Umstieg nicht leicht, wie Insider erzählen. Zumal er einherging mit einem weiteren, noch andauernden Prozess, der Digitalisierung der eigenen Firma. Was immer auch bedeutet: Lange eingeübte und bewährte Prozesse über den Haufen zu werfen und sich auf eine ungewisse Zukunft einzulassen.

Aber warum sich den Tort antun? Wo doch das alte Geschäft gut läuft?

Es geht ja nicht bloß um den Wettbewerb der großen Software-Firmen untereinander, es geht auch um die Fähigkeit, sich an neue Herausforderungen anzupassen. Was für die Kunden der Software-Firmen gilt, trifft auch auf sie selbst zu: Wer heute nicht mehr alle Vertriebskanäle zugleich im Blick hat, in wessen Firma es noch immer Silos gibt - Abteilungen, die nicht (genug) miteinander kommunizieren -, der wird künftig immer mehr Probleme bekommen. Da beschwert sich etwa ein Kunde über ein Produkt, und die Mitarbeiter, die das bearbeiten, erhalten nicht die Information, dass es sich um einen langjährigen Käufer der Marke handelt, den man tunlichst kulant behandeln sollte.

Das ist nur eines von unzähligen Problemen, die Digitalisierung helfen soll zu lösen. In vielen Firmen entstehen durch die zunehmende Vernetzung auch Prozesse, die es vorher nicht gab - etwa, dass Maschinen den benötigten Nachschub an Rohstoffen gleich selber bestellen. "Wir wissen, wohin die Reise geht", sagt Carsten Thoma, "und wir stehen dabei ganz gut da."

Ein wichtiges Stichwort in der Branche lautet: Plattform. Was Firmen wie SAP oder Salesforce liefern, sind nicht fertige Anwendungen, die bloß noch kosmetisch angepasst werden. Vielmehr werden Bausteine zur Verfügung gestellt, die der Kunde je nach Bedarf zusammensetzen kann. "Der Autovermieter Sixt hat sich damit seine Personal-Software selber geschrieben", erzählt etwa Joachim Schreiner, der die Geschäfte von Salesforce in Mitteleuropa und einigen angrenzenden Regionen führt. Auch Salesforce ist längst mehr als nur Software für Kundenbeziehungen. Datenanalyse gehört inzwischen auch dazu, oder Software für das Internet der Dinge, hierzulande gerne Industrie 4.0 genannt. Schreiner will die deutsche Ingenieurskultur aufnehmen und unterstützen. Kunden wie Coca-Cola Deutschland oder der Versandhändler Zalando werden aber auch gerne genannt. Von den kleinen und mittleren Firmen hat sich Salesforce inzwischen zu den größeren hochgearbeitet. Und redet auch gerne drüber.

Mehr "Hoppla-jetzt-komm-ich" würde SAP nicht schaden, sagen Mitarbeiter unter der Hand

Bei SAP dagegen hält man nicht viel von aggressiver Werbung, vertraut auf eigene Stärken wie Gründlichkeit, Verlässlichkeit, Leistung, unter anderem mit der superschnellen Datenbank Hana. Vielleicht würde eine Portion Chuzpe nicht schaden, freches Marketing, ein bisschen "Hoppla-jetzt-komm-ich". Das sagen unter der Hand auch langgediente SAPler.

Wer etwa die Cebit in Hannover besuchte, kam an Salesforce kaum vorbei. Am Eingang Nord hatte der US-Konzern eine ganze Halle gemietet, ließ dort seine jährliche World-Tour haltmachen - ein Auftritt der "Fantastischen Vier" inklusive. Den Vorplatz beschallte ein DJ mit fröhlicher Popmusik, an jeder Ecke traf man junge Menschen im Hellblau der Firma, manche auch auf Skateboards, die ein Schild mit einer Wolke hochhielten - dem Markenzeichen von Salesforce.

Europa-Chef Joachim Schreiner ist sich bewusst, dass seine Firma noch lange nicht so bekannt ist wie der deutsche Platzhirsch. "Der Taxifahrer weiß das noch nicht", sagt er. Sein Ziel: Salesforce in Deutschland zu sein, nicht Salesforce Deutschland. "Überall auf der Welt entstehen zur Zeit Salesforce-Tower", erzählt Schreiner, "aber in Deutschland bauen wir kein Hochhaus - das hätte hier nicht gepasst." Weil Deutschland eher dezentral strukturiert ist, hat man sich für Büros in mehreren Großstädten entschieden.

Was den Marktanteil angeht, kann Salesforce in Deutschland noch nicht mit SAP mithalten. Doch weltweit ist der Konzern, der seinen Hauptsitz in San Francisco hat, schon an Position vier vorgerückt, einen Platz hinter SAP. Daraus schöpft Schreiner auch das Selbstbewusstsein, wenn er sagt: "Vor drei, vier Jahren sind wir dort hingegangen, wo SAP war und haben geguckt, dass wir auch einen kleinen Stand kriegen. Heute stellt SAP einen Bus vor unsere Halle."

Zeit zum Ausruhen bleibt jedenfalls keinem. Nicht in der Welt der Digitalisierung, in der alles immer noch schneller gehen soll, wo sich Unternehmen ständig wandeln müssen, wenn sie nicht in Bedrängnis geraten wollen. "In ein paar Jahren", sagt SAP-Mann Thoma, "kann alles ganz anders aussehen."

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