Wenn von Technologien die Rede ist, die das Potenzial haben, große Veränderungen zu bewirken, fehlt ein Begriff so gut wie nie in der Diskussion: Künstliche Intelligenz. Deutschland ist Spitzenklasse, was die Forschung auf diesem Gebiet angeht, aber doch ziemlich hintendran bei der Umsetzung in die konkrete Anwendung. Rasmus Rothe will das ändern, mit einem sogenannten company builder. Also einer Firma, die selbst wieder Unternehmen gründet und sie in der Folge beim Aufbau unterstützt.
Dass er das kann, hat der 30-Jährige promovierte Informatiker schon mehrere Male gezeigt: Unter dem Dach seiner Berliner Firma Merantix, die er zusammen mit dem Schweizer Adrian Locher gegründet hat, ist unter anderem das erfolgreiche Start-up Vara entstanden. Es unterstützt Radiologen mithilfe von künstlicher Intelligenz bei der Diagnose von Brustkrebs, indem es unverdächtige Fälle klassifiziert - diese machen die Masse der Bilder aus, die sich diese spezialisierten Ärzte ansehen müssen. Das Start-up hat das System mit etwa zwei Millionen Aufnahmen angelernt, die alle überprüft waren - um zu vermeiden, dass falsch klassifizierte Bilder den KI-Algorithmus verzerren.
Aber Merantix hat noch viel mehr vor. Bei der jüngsten Finanzierungsrunde, die vor kurzem bekannt gegeben wurde, hat das Unternehmen nicht weniger als 25 Millionen Euro eingesammelt - für Deutschland sind solche Beträge bisher noch immer eher die Ausnahme. Merantix will mit dem Kapital etwa sechs bis acht Start-ups in den Bereichen Medizin, Biologie, Spracherkennung und Cybersicherheit gründen. Das Geld stammt unter anderem von der Kellogg Foundation sowie der Robert Wood Johnson Stiftung und von privaten Geldgebern, sogenannten family offices.
Die verbindende Idee hinter den geplanten Neugründungen ist der Ansatz, dabei künstliche Intelligenz einzusetzen. Ausgearbeitete Pläne gibt es aber noch nicht, Rothe und sein Team wollen dafür zunächst mit potenziellen Gründern Ideen entwickeln, eventuell könnten auch konkrete Projekte im Auftrag einer Firma angegangen werden, aus denen sich dann eine Idee für ein Start-up entwickeln lasse, sagt Rothe.
Angesiedelt werden die neuen Unternehmen im Gebäude von Merantix am Oranienburger Tor in Berlin-Mitte. Berlin als Standort findet der gebürtige Bremer Rothe vor allem deswegen gut, weil die Stadt attraktiv für ausländische Mitarbeiter sei. Meist komme man hier mit Englisch weiter. Auch die Start-ups unter einem Dach zu versammeln, habe sich als sehr vorteilhaft erwiesen, sagt er. So ließen sich Synergie-Effekte nutzen, aber auch der Gedankenaustausch unter den Mitarbeitern sei sehr fruchtbar. Die Start-ups sind allerdings so organisiert, dass den Gründerteams ein Großteil der neuen Firma gehört. Merantix bietet ihnen Hilfe bei der Suche nach den ersten Kunden, außerdem können die Start-ups auch die Büroräume am Oranienburger Tor nutzen.
Deutschland als Standort leidet nach Ansicht von Rothe, der auch länger in Großbritannien und den USA gelebt hat, vor allem daran, dass zu wenig Risikokapital verfügbar sei. Auch der Staat habe die zunächst zugesagte Fördergeld für KI-Forschung und Projekte wieder gekürzt. Es fehle aber vor allem auch beim Transfer von der Forschung in die konkrete Anwendung. "Bei der Forschung sind wir sehr stark", sagt er. Es mangele aber oft am Business-Knowhow und den nötigen Kontakten. "Entrepreneurship sollte Pflichtfach an Unis werden." Praxisnah müsse das gelehrt werden, "am besten sollte es schon in der Schule Projekte dazu geben".