Süddeutsche Zeitung

Fingierte Anzeigen:So zockte eine Familie reihenweise Konzerne ab

  • Kunden wurden wohl seit Jahrzehnten mithilfe von fingierten Fachzeitschriften betrogen.
  • Meist ging es um kleine Beträge - darum fiel der Nepp lange nicht auf.

Von Leo Klimm, Paris, und Alexander Mühlauer, Brüssel

Es sind große deutsche Konzerne, die immer wieder kleine Beträge überweisen - Peanuts, könnte man meinen. 2000 Euro gehen am 30. März 2007 von der MAN-Tochter Renk ein. Vom Bilfinger-Ableger Babcock Noell am 26. Juni desselben Jahres 5250 Euro. Von Siemens am 8. August 3800 Euro. Und in Paris sagt eine dubiose Firma namens CTEA: Merci!

Über viele Jahre sind große Namen der deutschen Wirtschaft mutmaßlichen Betrügern in Frankreich aufgesessen. Ein paar Tausend Euro hier, ein paar Tausend Euro dort. Teilweise regelmäßig, monatlich sogar. Es geht nicht um Fälle schwerer Korruption, mit der mancher Konzern schon in Verruf geraten ist. Es geht um eine Kriminalität, die allzu leicht unerkannt bleibt von den Compliance-Abteilungen in den Unternehmenszentralen. Eben weil die Beträge klein sind und weil die Masche von CTEA, Kunden mithilfe von fingierten Fachzeitschriften zu betrügen, simpel und raffiniert zugleich ist. Und Kleinvieh macht auch Mist: Durch den Nepp, der seit den 1960ern gelaufen sein soll, verdiente der Hauptverdächtige Jean Marouani Millionen, die er bis in das Steuerparadies Antigua und Barbuda verschob.

Der Clan-Chef schiebt seinem Sohn die Schuld zu. Seinen Neffen beschimpft er als "Taugenichts"

Der Süddeutschen Zeitung liegen interne Unterlagen der Pariser Justiz und Kopien der Kontoauszüge von CTEA vor. Sie belegen, dass neben Mittelständlern viele internationale Konzerne von den französischen Fake-Verlegern teils um fünfstellige Beträge geprellt wurden. Die Pharmamultis Pfizer und Novartis, der Industriekonzern Alstom, der Telekom-Ausrüster Alcatel-Lucent tauchen darin auf. Oder der Satellitenhersteller EADS Astrium, heute Airbus, der 2006 misstrauisch wurde und Nachforschungen der Justiz anstieß.

An diesem Mittwoch beginnt nach langen Ermittlungen in Paris der Prozess gegen 13 Beschuldigte. Im Mittelpunkt steht die Familie Marouani. Denn der "organisierte bandenmäßige Betrug" und die Urkundenfälschung, mit dem die Angeklagten der Staatsanwaltschaft zufolge Weltkonzerne geleimt haben, war ein gut laufender Familienbetrieb. Neben dem heute 81-jährigen Vater Jean war sein Sohn Jacques beteiligt, der ihm als Firmenchef nachfolgte. Und Jeans Frau. Und Jeans Tochter. Und Jeans Neffe. In kuriosen Vernehmungsprotokollen bestreiten Vater und Sohn jeden Schummel; dafür schiebt der Clan-Chef seinem Sohn die Schuld zu. Seinen Neffen, der den Betrug eingestanden hat, beschimpft er als "Taugenichts".

Die strafrechtlichen Ermittlungen beschränken sich auf die Jahre 2002 bis 2008, das Jahr, in dem die Betrugsbekämpfer CTEA aushoben. Sie offenbaren, wie die Firma der Marouanis den mutmaßlichen Betrug organisierte: Angeblich verlegte CTEA in Frankreich Fachmagazine, die sich mit staatsnahen Branchen befassten und bieder-seriös anmutende Namen trugen - à la "Das Krankenhaus-Register", "Technik-Revue der Verteidigungs-Ausrüster" oder "Das Nuklear-Magazin". Drücker von CTEA warben dann bei Anzeigenkunden, ihren Opfern also, um Inserate.

Nur wenige Belegexemplare statt hoher Auflage

Sie behaupteten, die Zeitschriften würden in respektablen Auflagen von bis zu 48 500 Stück beim Fachpublikum vertrieben. Tatsächlich wurden aber maximal 300 Belegexemplare für die Anzeigenkunden gedruckt. Oder alles wanderte gleich "in die Tonne", wie die Ermittler schreiben. Die mehr oder weniger journalistischen Beiträge in den Magazinen wurden "aus dem Internet kopiert". Wie eine Telefonüberwachung erwies, gaben sich die Anzeigenverkäufer zudem gern als Mitarbeiter des Pariser Verteidigungsministeriums oder der französischen Bahn SNCF aus - und legten den Firmenkunden nahe, Inserate würden helfen, Staatsaufträge zu erhalten.

Eine besondere Rolle spielten in dem System Kleingewerkschaften, die Beschäftigte französischer Ministerien, Behörden oder von SNCF vertreten. Für günstige 5000 Euro im Jahr, die sie von den Marouanis kassierten, traten die Personalvertreter als Herausgeber der Zeitschriften auf, was die Glaubwürdigkeit von CTEA beim Anzeigenverkauf stärken sollte. "Das einzig Interessante an dieser Revue ist die Zahlung der Jahressubvention durch den Verleger", gestand ein Gewerkschafter ein. Der mutmaßliche Drahtzieher Jean Marouani selbst erklärt den Ermittlern sein Verhältnis zu den Gewerkschaftern so: "Ich war immer absolut korrekt zu ihnen, habe sie oft in exzellente Restaurants ausgeführt und ihnen jedes Jahr zu Weihnachten Kisten herausragender Weine geschenkt." Doch irgendwann - als CTEA einen Mitarbeiter der EADS-Tochter Astrium unverhohlen erpresste - flog die Sache auf.

"Wir wurden durch Urkundenfälschung um einige Tausend Euro betrogen und haben deshalb Anzeige gestellt", sagt ein Sprecher des EADS-Nachfolgekonzerns Airbus. Zusammen mit den Pariser Krankenhausbetrieben und der Pharmafirma Pierre Fabre ist Airbus Nebenkläger in dem Prozess. Andere Unternehmen zeigen sich betreten und schmallippig, wenn sie zu der Sache befragt werden. "Uns ist der Fall bekannt. Wir kommentieren laufende Verfahren aber grundsätzlich nicht", heißt es bei Siemens. "Wir arbeiten den Fall intern auf", erklärt der Baukonzern Bilfinger, wo eine Tochterfirma für Atomtechnik CTEA mindestens 20 000 Euro zahlte. Bei MAN ist fürs Erste keine Stellungnahme zu erhalten. Peinliche Fragen bleiben: Wie konnten so große Unternehmen so hereingelegt werden? Gab es interne Versäumnisse?

Clan-Chef Jean Marouani, dessen Anwalt eine Anfrage unbeantwortet ließ, konnte dank der Gutgläubigkeit der Konzerne jedenfalls viel Geld anhäufen. Nach seiner vorübergehenden Festnahme gelang es ihm sogar noch, einen Teil des wohl unrechtmäßig angehäuften Vermögens in Sicherheit zu bringen. Die Staatsanwälte stießen auf Konten in der Schweiz und in Israel. Als es für ihn ernst wurde, verschob er insgesamt 5,2 Millionen Euro nach Großbritannien zur Großbank HSBC und an ein "Marie Trust" genanntes Finanzvehikel auf die Karibikinsel Antigua. "Ein Steuerparadies", wie die Pariser Ermittler notieren. Ein Verfahren wegen des Verdachts der Steuerflucht ließen sie aber fallen.

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SZ vom 17.01.2018/hgn
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