Die erste Runde im Kampf gegen die US-Justiz hat Dmytro Firtasch verloren, aber so schnell gibt er nicht auf. Seitdem das oberste Gericht Österreichs im Juni 2019 seiner Auslieferung an die Vereinigten Staaten zugestimmt hat, versuchen seine Anwälte, das Schlimmste noch zu abzuwenden. Aber Firtasch, 55 Jahre alt, berüchtigter ukrainischer Milliardär, sitzt in Wien fest, am Geschäftssitz seines Firmenimperiums, seitdem er in den USA angeklagt wurde wegen mutmaßlicher Schmiergeldzahlungen über 18,5 Millionen Dollar im Zusammenhang mit Titan-Bergbau in Indien. Er ist nur gegen Kaution wieder frei, und die Welt spricht über ihn: einen ukrainischen Oligarchen mit besten Kontakten nach Russland, vom FBI gejagt wegen Bestechungsvorwürfen und angeblicher Bildung einer kriminellen Vereinigung, sogar hineingezogen in die Ukraine-Affäre des amerikanischen Präsidenten Donald Trump, in der er mit Millionenzahlungen eine Rolle gespielt haben soll.
Nur der laufende Rechtsstreit in Österreich über seine Auslieferung verhindert vorerst, dass all das vor einem US-Gericht ausgebreitet wird. Die FinCEN-Files lassen erahnen, wie aufschlussreich das werden könnte. Sie erlauben einen nie gekannten Einblick in die Möglichkeiten, die Menschen wie Firtasch in der internationalen Finanzwelt offenstehen. Sie zeigen ein System, das anfällig ist für Kriminelle, für Geldwäscher und Betrüger, für Verdächtige, die auf internationalen Fahndungslisten stehen und Briefkastenfirmen nutzen, um ihre Millionen zu verschieben.
Geld zirkuliert global, aber die Aufsicht und das Meldewesen sind weitgehend national organisiert. Behörden sind dadurch oft schwerfälliger, langsamer und bürokratischer als das schmutzige Geld, dem sie hinterherspüren sollen. Die FinCEN-Files - ein Datenleak aus dem amerikanischen Finanzministerium, das dem Onlinemedium Buzzfeed News zugespielt und auch von der Süddeutschen Z eitung in Zusammenarbeit mit dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) ausgewertet wurde - zeigen, dass sich Oligarchen wie Firtasch deshalb wenig Sorgen um ihr Geld machen müssen. In vielen Fällen sind es ausgerechnet US-Banken, also jene Institute, deren Geschäfte durch die Kontrollen sicherer werden sollen, die dabei helfen, die Kontrollen zu umgehen. Institute wie die Bank of New York Mellon, kurz BNY Mellon oder BNYM.
Mehrere Milliarden Dollar Vermögen soll Firtasch haben - so ganz genau weiß das niemand
Dmytro Firtasch, der wie kein zweiter Geschäftsmann von seinem Format für die gegenseitige Abhängigkeit von Geld und Politik in der vom Krieg gezeichneten Ukraine steht, hat diese Bank vielfach für seine Zwecke genutzt. Mehrere Milliarden Dollar Vermögen soll Firtasch angehäuft haben, wobei das so genau niemand weiß.Was man aber weiß: Firtasch ist ein idealtypischer Oligarch dieser ehemaligen Sowjetrepublik, mit Drähten in den Kreml, loyal gegenüber dem Staatsapparat von Russlands Präsident Wladimir Putin.
Dem hat er auch seinen Reichtum zu verdanken: Im Jahr 2006 wurde die Briefkastenfirma Rosukrenergo über Nacht zum exklusiven Lieferanten von russischem Gas in die Ukraine - und Firtasch als Teileigentümer des Unternehmens damit zu einer Schlüsselfigur der russischen Einflussnahme auf die Ukraine. Mit seinen Einnahmen aus den Gasgeschäften kaufte er sich dann jahrelang in wichtige Wirtschaftszweige in der Ukraine ein, von der Energie- über die Chemie- bis zur Immobilienbranche. Von 2011 an leistete er sich sogar einige Jahre lang ein eigenes Geldinstitut: die Nadra Bank.
Exklusiv FinCEN-Files:Milliarden für die Mullahs
Die britische Standard Chartered half Iran jahrelang bei verbotenen Geschäften. US-Ermittler bezeichneten die Bank öffentlich als "Schurken-Institution".
Firtasch hat mit allen anderen Oligarchen ein wichtiges Bedürfnis gemeinsam: Sie brauchen Zugang zur weltweiten Leitwährung, um international im großen Stil mitspielen zu können. Sie brauchen amerikanische Dollar. Wer aber in Ermittlungsakten des FBI oder auf Sanktionslisten der USA stand oder steht, wen also die US-Justiz im Visier hat oder hatte, kommt kaum an Dollar. Mit solchen Leuten dürften Banken, die in den USA präsent sind, keine Geschäfte machen. So ist es zumindest gedacht.
Die Wirklichkeit sieht allerdings anders aus. Im Finanzsystem gibt es etliche Hintertüren, mit denen auch Menschen Zugang zum internationalen Geldkreislauf bekommen, die ihn für illegale Zwecke nutzen. Weil sie Schmiergelder zahlen, Sanktionen brechen oder mit Mafiabossen Geschäfte machen.
In der BNY Mellon ging mit der ehemaligen Bank of New York das älteste Geldinstitut der USA auf, gegründet 1784. Mit dem Finanzriesen von heute hat kaum jemand direkt zu tun, die Bank ist die mit Abstand größte Depotbank der Welt. Als solche unterhält sie keine Filialen und bietet keine Girokonten an, bei Depotbanken hinterlegen große Fonds und andere Banken ihr Geld. Damit dienen sie anderen Banken auch bei der Abwicklung internationaler Geldtransfers als sogenannte Korrespondenzbank.
Eine ukrainische Bank braucht Dollar-Überweisungen in größerem Umfang, hat aber keine eigene Präsenz in den USA? Eine Sparkasse in Deutschland hat keine Standorte auf der anderen Seite der Erde, muss aber Geld dorthin schicken und welches empfangen? Kein Problem: Banken wie BNY Mellon decken all jene Bereiche auf dem Globus ab, wo die kleineren Geldhäuser nicht tätig sind, und organisieren diesen den Zugang zum Devisenmarkt. Das ist wichtig, damit das Finanzsystem überhaupt funktioniert.
Gleichzeitig machen lückenhafte Kontrollen dieses System anfällig für Missbrauch: Korrespondenzbanken haben andere Banken als Kunden. Wer bei diesen, meist kleineren Instituten seine Konten führt, interessiert die Korrespondenzbank nicht. So kamen auch die Kunden der inzwischen geschlossenen Nadra Bank aus Kiew, Dmytro Firtaschs Bank, in den Genuss reibungsloser Dollar-Transaktionen. Kunde bei der großen BNYM in New York war nur die Nadra Bank, und was deren Kunden mit ihrem Geld machten, hat man sich bei BNYM entweder nicht so genau angeschaut - oder man wollte es einfach nicht so genau wissen. Generell ist das Korrespondenzbankensystem in einer Mischung aus Verantwortungslosigkeit, Überforderung und Unmoral zu einer der wichtigsten Plattformen für internationale Wirtschaftskriminalität geworden.
Firtasch stand dem korrupten ukrainischen Ex-Präsidenten Janukowitsch nahe
Mehrere FinCEN-Dokumente belegen, wie Firtasch mithilfe der Nadra Bank sogar noch bis ins Jahr 2014, bis kurz vor seiner Verhaftung in Wien, hohe Dollar-Summen verschieben konnte. Da ermittelte das FBI längst wegen Bestechungsvorwürfen und der Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen ihn. Obwohl der Geschäftsmann unter anderem mit dem berüchtigten russischen Mafiaboss Semjon Mogilewitsch in Verbindung gebracht wurde, der damals auf der Top-Ten-Fahndungsliste des FBI stand, waren die verdächtigen Geld-Transaktionen weitergelaufen. Und sie stoppten auch dann noch nicht, als bereits dokumentiert war, wie nahe Firtasch dem korrupten ukrainischen Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch stand, der während der Maidan-Revolution im Jahr 2014 gestürzt worden war.
Was sagt Dmytro Firtasch dazu? Über einen Anwalt lässt er mitteilen, dass weder er noch seine Vertreter zu vertraulichen Informationen in Geldwäscheverdachtsmeldungen Stellung nähmen. Firtasch lege allerdings Wert auf die schon häufiger geäußerte Feststellung, "nie eine Partnerschaft oder sonstige Geschäftsbeziehung mit Semjon Mogilewitsch" gehabt zu haben.
Das US-Justizministerium betrachtete die Geschäftskontakte Firtaschs allerdings mit gehöriger Skepsis: Firtasch scheine mit seiner Unternehmensgruppe "zahlreiche Briefkastenfirmen und Scheindirektoren benutzt zu haben, um Geld in den und durch die Vereinigten Staaten und international unter dem Deckmantel zu waschen, dass er in legitime Geschäfte investiert", schrieb ein Beamter im Mai 2014 in einem Bericht an das FBI. In den Jahren zuvor habe die Nadra Bank über BNYM den Großteil von mehr als einer Milliarde Dollar für Firtasch und eine Reihe von dubiosen Briefkastenfirmen transferiert.
FinCEN-Files:"Es müssten mehr Banker ins Gefängnis"
Der britische Geldwäscheexperte Graham Barrow stellt der Finanzwelt ein verheerendes Zeugnis aus. Nicht nur Banken hätten wieder und wieder versagt - sondern auch Wirtschaftsprüfer, Anwälte und Behörden.
Eine besonders aufschlussreiche Verdachtsmeldung des New Yorker Geldhauses zeigt, wie Firtasch die Beziehung der Nadra Bank zu BNYM und weiteren New Yorker Großbanken nutzte, um Geld zugunsten seiner Firmengruppe DF International zu verschieben: Da werden für "Beratungsleistungen", wie es im Verwendungszweck steht, schon mal 658 000 Dollar auf einmal abgerechnet. Was tatsächlich hinter den Zahlungen steckte, wird wohl nie jemand erfahren.
Das alles, so steht es in derselben Meldung, habe die Bank erst nach einer Anfrage durch die Behörden untersucht und herausgefunden. Zugleich legt BNYM Wert darauf, mit keinem der in der Meldung genannten Verdächtigen selbst eine direkte Geschäftsbeziehung zu unterhalten - sie arbeite nur mit anderen Banken zusammen, "um diesen Institutionen Dollar-Transaktionen für sich selbst und ihre Kunden zu ermöglichen". Diese typische Formulierung findet sich in jeder Verdachtsmeldung der New Yorker Großbank. Korrespondenzbanken sind immer darauf bedacht, die Verantwortung für die Kunden der anderen Banken von sich fernzuhalten. Wenn das Kriminelle sind, fällt es oft erst auf, wenn schon Millionen Dollar geflossen sind.
Der Fall Firtasch ist insofern symptomatisch. BNYM hat als Korrespondenzbank zahlreichen zwielichtigen Figuren geholfen, große Mengen an Geld zu verschieben, mit einem auffälligen Überhang an Verbindungen in die ehemalige Sowjetunion. Da sind etwa die in den Daten dokumentierten Umtriebe des Kasachen Muchtar Äbljasow, dessen Familie bis mindestens 2016 die Dienste von BNYM für dubiose Überweisungen genutzt hat. Äbljasow wird seit 2009 verdächtigt, als Chef einer staatlichen Bank in Kasachstan Milliardenbeträge veruntreut zu haben und in den Mord an einem bekannten Banker verstrickt zu sein. Im Jahr 2017 verurteilte ihn ein kasachisches Gericht in Abwesenheit zu 20 Jahren Haft. Auch Wladimir Potanin findet sich in den Daten, ein enger Vertrauter von Russlands Präsident Wladimir Putin, genau wie der Oligarch Oleg Deripaska, dessen Bank Soyuz bei BNY Mellon Kunde war. Ebenso taucht der Name des russischen Geschäftsmanns Magomed Magomedow auf, mit Überweisungen von mehr als 150 Millionen Dollar an eine obskure Briefkastenfirma. Magomedow sitzt in Russland im Gefängnis, man wirft ihm und seinem Bruder "Erpressung und Unterschlagung staatlicher Gelder" in Millionenhöhe vor.
Das alles ist nur ein Ausschnitt aus einer kaum überschaubaren Zahl an fragwürdigen Geschäftsbeziehungen in den FinCEN-Files, an dokumentierten Millionentransfers zwischen Briefkastenfirmen, an Überweisungen ohne nachvollziehbare Geschäftszwecke. In all diesen Fällen standen zwischen den Verdächtigen und BNY Mellon andere Banken, große und kleine, aus Russland und der Ukraine, aus Kuwait, Österreich und aus Dänemark.
Sogar die chinesische Bank Dandong blieb an das Korrespondenzbank-Netzwerk von BNY Mellon angebunden, als längst öffentlich bekannt war, dass der Konzern, zu dem die Bank gehörte, in verbotenen Handel mit Nordkorea involviert sein könnte. Die chinesische Geschäftsfrau Ma Xiaohong, deren Firmenimperium Anteile an der Dandong-Bank hatte, wurde im Sommer 2019 zusammen mit drei Managern ihrer Holding im US-Bundesstaat New Jersey wegen Sanktionsbruchs, Verschwörung zum Betrug der USA und zu Geldwäsche angeklagt. BNYM war den Daten zufolge die einzige Korrespondenzbank der Dandong.
Aus einer Verdachtsmeldung der BNY Mellon von Oktober 2015 geht hervor, dass die Compliance-Experten in New York erst nach einer Aufforderung durch die US-Behörden Transaktionen der Firmengruppe genauer untersuchten und schließlich beendeten. Da waren die Nordkorea-Kontakte längst schon in der Presse dokumentiert.
Auf eine detaillierte Anfrage zu den Vorwürfen antwortete ein BNYM-Sprecher mit einem knappen Absatz: "Als zuverlässiges Mitglied der internationalen Bankengemeinschaft halten wir alle geltenden Gesetze und Vorschriften vollständig ein und unterstützen die Behörden bei ihrer wichtigen Arbeit." Zu einzelnen Verdachtsmeldungen, die man angeblich erstellt habe, könne man nichts sagen.
Die Zuverlässigkeit der BNY Mellon steht nicht zum ersten Mal in Frage
Dabei hätte die Bank Anlass und Zeit genug gehabt, Lücken in ihrem Netzwerk zu schließen und die Kontrollen zu verbessern. Denn die Zuverlässigkeit des Instituts steht nicht zum ersten Mal infrage. Schon zwischen 1995 und 1999 flossen etwa sieben Milliarden Dollar von dubiosen Quellen aus Moskau über diverse Konten der damals noch eigenständigen Bank of New York. Die Menschen hinter den Geldflüssen: russische Geschäftsleute, wobei vor allem der Mafiaboss Semjon Mogilewitsch auffiel, dessen Name später im Zusammenhang mit Dmtro Firtasch wieder auftauchen sollte. Man habe hier die "Unterwanderung einer großen US-Organisation durch das russische organisierte Verbrechen", zitierte die New York Times im Jahr 1999 einen Geldwäscheexperten der US-Regierung.
Der Skandal alarmierte die Behörden damals, weil er die Anfälligkeit des Systems der Korrespondenzbanken für Korruption und Geldwäsche offenbarte. "Der BNY-Geldwäscheskandal, die Enthüllungen in Bezug auf russische Korrespondenzbankaktivitäten und (...) die Milliarden Dollar an mutmaßlich illegalen russischen Geldern, die durch das internationale und das amerikanische Korrespondenzbankensystem bewegt wurden", heißt es in einem Bericht des US-Kongresses von 2001, machten "die Anfälligkeit des Geschäfts" deutlich. Nie zuvor und selten danach hatte das Netzwerk der Korrespondenzbanken, ein eher unsichtbarer Teil der Finanzindustrie, so viel Aufmerksamkeit ausgelöst.
Die mehr als 200 Jahre alte Bank of New York, stolz auf ihre lange Tradition und als konservativ bekannt, war durch den Skandal schwer in Verruf geraten - als eine Bank, die einer russischen Mafiagröße bei der Geldwäsche geholfen haben soll. Sie verpflichtete sich daraufhin, ihre Kontrollen zu stärken, und beendete die Geschäftsbeziehung mit 180 russischen Banken. In einem späteren Vergleich mit dem US-Justizministerium zahlte das Institut im Jahr 2005 außerdem 38 Millionen Dollar. In diesem Vergleich hieß es unter anderem, die Bank of New York habe es jahrelang versäumt, verdächtige Konten rechtzeitig zu melden. Und die Geldwäschemeldungen seien dann oft unzureichend gewesen.
Mit Dmytro Firtasch könnte diese Vergangenheit die Bank wieder einholen. Der Oligarch hofft weiterhin, seine Auslieferung in die USA vermeiden zu können. Dann müsste er auch nicht vor Gericht erklären, wie er einst mit Donald Trumps früherem Wahlkampfmanager versuchte, ein berühmtes New Yorker Hotel zu kaufen, und in welcher Beziehung er seither zu Trumps Umfeld steht.
Und er müsste nicht öffentlich darlegen, was es mit der Zahlung von insgesamt einer Million Dollar an die Frau von Lev Parnas auf sich hat, einer zentralen Figur in der Ukraine-Affäre des US-Präsidenten. Parnas war Mittelsmann von Trumps Anwalt Rudy Giuliani bei dem Versuch, belastendes Material gegen den heutigen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden und dessen Sohn Hunter aufzutreiben, um in der Ukraine Ermittlungen gegen die beiden zu provozieren. Hinter dem Millionenschmiergeld soll Firtasch stecken; jedenfalls überwies einer der Anwälte des Oligarchen das Geld. Im Gegenzug, so sagte Parnas Ende 2019 in einem Fernsehinterview, habe er Firtasch versichert, ihm den Ärger mit der US-Justiz vom Hals zu schaffen.