Finanzwelt in Aufruhr:Drei Krisen auf einmal

Die Finanzkatastrophe ist schlimm. Schlimmer jedoch ist, dass Klimawandel und Energieknappheit eng damit zusammenhängen. Nun braucht die Welt einen ökonomischen Umbruch.

Jeremy Rifkin

Der Ökonom Jeremy Rifkin ist Gründer und Präsident der "Foundation on Economic Trends" in Washington.

Finanzwelt in Aufruhr: Jeremy Rifkin sieht drei Krisen auf einmal.

Jeremy Rifkin sieht drei Krisen auf einmal.

(Foto: Foto: oh)

Wir befinden uns an einem gefährlichen Punkt der Geschichte. Die Entscheidung aus dieser Woche, die Banken durch eine Infusion von mehreren hundert Milliarden Dollar zu retten, wird nicht reichen, um zu verhindern, dass es mit der Weltwirtschaft bergab geht.

Die traurige Wahrheit ist, dass wir vor einem Zusammenbruch wie in den dreißiger Jahren stehen und dass alle Manöver der Regierungen ein bisschen zu spät gekommen sind - und zwar, weil die globale Kreditkrise sich über 18 Jahre hinweg aufgebaut hat und einer schnellen Fixierung nicht zugänglich ist. Die Sache wird noch dadurch komplizierter, dass diese Krise mit der globalen Energiekrise und dem globalen Klimawandel einhergeht, was sich zu Verheerungen auswachsen kann, wie wir sie noch nie erlebt haben. Die drei globalen Krisen sind miteinander verwoben und nähren sich gegenseitig.

Die Kreditkrise ist tief, schmerzvoll und unmittelbar; deshalb erhält sie die allgemeine Aufmerksamkeit. Die beiden viel tückischeren Energie- und Klimakrisen hingegen schleichen sich an uns heran. Langsam und erbarmungslos strangulieren sie die Weltwirtschaft - mit viel tieferen Konsequenzen für unseren Lebensstil.

Während die Regierungen Hunderte von Milliarden Dollar ausschütten, um die Finanzwelt aus der Patsche zu holen, erwägen sie jedoch kaum, vergleichbare Mittel bereitzustellen, um den beiden anderen Krisen zu begegnen. Wenn wir der dreifachen Bedrohung unseres Lebensstils wirklich begegnen wollen, brauchen wir ein Wirtschaftsmodell, das auf dem Prinzip der Nachhaltigkeit basiert und so die Zivilisation erneuert.

Schulden für die Zukunft

Die Kreditkrise begann in den frühen Neunzigern. Zuvor waren in den USA die Löhne fast ein Jahrzehnt lang gefallen. Amerika erlebte von 1989 bis 1991 eine Rezession, aus der das Land durch massive Konsumentenkredite an Millionen Amerikaner heraus kam. Leicht erhältliche Kreditkarten erlaubten es den US-Konsumenten, Waren und Dienstleistungen über ihre Verhältnisse einzukaufen.

Die Kreditkartenkultur kurbelte die Kaufkraft an, sie brachte Firmen und Beschäftigte zurück an die Arbeit. In den vergangenen 17 Jahren haben die amerikanischen Konsumenten durch ihre kreditfinanzierten Einkäufe die Weltwirtschaft gestützt. Der Preis dafür war die Räumung ihrer Ersparnisse. 1991 betrug die durchschnittliche Sparrate einer US-Familie noch acht Prozent. Seitdem hat sie sich angewöhnt, mehr auszugeben, als sie eingenommen hat.

Deshalb erfanden die Banken eine zweite Sorte Kredit. Sie sollte amerikanischen Familien den Hauskauf auch dann ermöglichen, wenn sie über keine eigenen Mittel verfügten. Das Prinzip dabei: anfangs niedrige oder gar keine Zinsen, die aber anschließend steigen - so dass Schulden weit in die Zukunft geschoben werden.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie die Finanzkrise mit dem Ölpreis und den Folgen des Klimawandels zusammenhängt.

Drei Krisen auf einmal

Millionen Amerikaner bissen an und kauften Häuser jenseits ihrer finanziellen Möglichkeiten. So schufen sie eine Immobilienblase. Und als sie knapp bei Kasse waren, nahmen sie neue Hypotheken auf, nur um an das nötige Geld heranzukommen. Nun ist die Blase geplatzt, Millionen Amerikaner stehen vor der Zwangsvollstreckung und Banken vor dem Zusammenbruch. Als Resultat haben wir eine gescheiterte Volkswirtschaft. Und weil die Finanzsektoren der USA, Europas und Asiens eng miteinander verbunden sind, hat die Kreditkrise auf die gesamte Weltwirtschaft übergegriffen.

Die Sache ist aber noch schlimmer. Die Kreditkrise eskalierte nämlich ausgerechnet in den vergangenen beiden Jahren, als die Ölpreise nach oben schossen. Höhepunkt: die 147 Dollar pro Barrel im Juli 2008. Dies gab der Inflation einen Schub, dämpfte die Kaufkraft der Konsumenten, verlangsamte die Produktion und erhöhte die Arbeitslosigkeit - richtete also weitere Verwüstungen in ohnehin schon geplagten Volkswirtschaften an.

Gier nach Öl

Die wesentliche Annahme der Globalisierung war, dass reichliches und billiges Öl es Unternehmen erlaubt, Kapital in billige Arbeitsmärkte zu transferieren, wo Produkte zu minimalen Kosten und mit hohem Gewinn produziert und anschließend verschifft werden können.

Diese Grundannahme ist zerbrochen. Wenn nämlich inzwischen ein Drittel der Weltbevölkerung - so viele Menschen leben zusammengenommen in China und Indien - eine Wirtschaft aufbaut, die auf Öl basiert, und wenn zugleich die Ölreserven endlich sind, dann geht unvermeidlicherweise der Preis in die Höhe. Und wenn der Preis in Richtung 150 Dollar geht, zieht dies die gesamte Wirtschaft herunter.

Der steigende Ölpreis schlägt sich in jedem Produkt nieder. Unsere Nahrungsmittel gedeihen dank petrochemischen Düngers, unser Plastik, unsere Baumaterialien, unsere Arzneien und Kleider basieren auf fossilem Brennstoff, ebenso Transport und Elektrizität. Durch die hohen Energiekosten auf der ganzen Wertschöpfungskette wird der Vorteil billiger Arbeitsmärkte egalisiert.

Zugleich unterhöhlen die Folgen des Klimawandels Volkswirtschaften überall auf der Welt. Allein die Hurrikane Katrina, Rita, Ike und Gustav haben in den USA Schäden von mehr als 240 Milliarden Dollar angerichtet. Fluten, Dürren, Buschfeuer oder Tornados haben Ökosysteme dezimiert, wodurch nicht nur die Agrarproduktion lahmgelegt wurde, sondern auch die Infrastruktur. Millionen Menschen wurden heimatlos.

Fundament für eine neue Industrierevolution

Was die Welt nun braucht, ist ein neues ökonomisches Narrativ. Die großen ökonomischen Umbrüche hat es in der Weltgeschichte immer dann gegeben, wenn neue Energiesysteme mit neuen Kommunikationssystemen einher gingen. Dann werden Gesellschaften neu strukturiert. Dieselben Prinzipien und Technologien, die das Internet ermöglicht haben, werden nun allmählich genutzt, um Stromnetze neu zu konfigurieren.

So können die Menschen erneuerbare Energie produzieren und unmittelbar untereinander austauschen - also eine dezentralisierte Form des Energieverbrauchs schaffen, analog zu der Art, wie sie bereits Informationen produzieren und austauschen. Firmen führen hastig erneuerbare Energien ein, errichten emissionsfreie Gebäude und bauen Elektroautos. Dies ist das Fundament für die nächste industrielle Revolution. Für das 21. Jahrhundert muss sie dieselbe Bedeutung haben wie Drucktechnik und Dampfkraft im 19. Jahrhundert, wie elektrische Kommunikation und Verbrennungstechnik im 20. Jahrhundert.

Die Frage ist: Schaffen wir den Umbau noch, bevor es in den Abgrund geht?

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