Süddeutsche Zeitung

Finanzstruktur:Vorsicht vor dem Cocktail

Bei der Finanzierung kommt es auf die richtige Mischung an. Denn noch nie war die Angebotspalette so breit. Firmen können hier schnell den Überblick verlieren. Was sie tun können, damit ihre Planung nicht zusammenbricht.

Von Lea Weinmann

Sie sind süß, fruchtig - und lösen mitunter einen ordentlichen Kater aus. Unternehmensberater Volker Riedel greift gerne auf das Bild der kunterbunten Mixgetränke zurück, um zu erklären, was er von einem "undurchdachten Mischmasch" in der Finanzierungsstruktur mittelständischer Betriebe hält.

Riedel ist Finanzierungsexperte bei der Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber und Partner. Er beobachtet, dass Unternehmen heutzutage häufig "gelegenheitsgetrieben" finanzieren: Hier eine neue Maschine, dort ein neuer Kredit - so komme schnell ein Mix verschiedener Kapitalgeber zusammen. "Das schmeckt zwar erst mal gut, kann aber zu Katerstimmung führen", warnt er. Denn so ein Finanzierungskonstrukt könne schnell instabil werden und am Ende sogar implodieren. Das gelte für Wachstumsphasen ebenso wie für Krisensituationen. In beiden Fällen schauen Kapitalgeber in erster Linie nach den eigenen Sicherheiten. An schnellem Wachstum der Firma sind sie selten interessiert. Wer dann kurzfristig Mittel brauche, der stoße schnell an Grenzen.

In einer Krise hingegen seien die bilateralen Verträge risikobehaftet, sagt Riedel: Gerate ein Betrieb in Schwierigkeiten, beginne unter den Kapitalgebern eine Art Windhundrennen: "Springt der erste Finanzierer ab, wird der zweite hellhörig und der dritte tritt auf die Bremse." Die Finanzierung dann noch zu stabilisieren, falle "verdammt schwer". Hinzu komme das aufwendige Finanzmanagement: vertragliche Klauseln, verschiedenste Reporting-Pflichten, unterschiedliche Laufzeiten - schwierig, dabei den Überblick zu behalten. Oft seien Sicherheiten mehrfach gebunden.

Dabei ist die Verlockung der bunten Finanzierungscocktails groß. Noch nie war die Angebotspalette breiter: Maschinen können geleast, also gemietet werden. Beim Factoring werden Forderungen abgetreten, damit Firmen flüssig bleiben. Kredite vermitteln heute aber auch Fin-Techs, Finanztechnologieunternehmen. Darlehen gibt es im Internet - beim Crowdinvesting von einer Vielzahl an Investoren - oder von Debt Funds, Kreditfonds. Der Finanzmarkt läuft über vor schicken Begriffen für Finanzierungsmodelle. Nach Angaben der KfW Bankengruppe besteht die traditionelle Finanzierung im Mittelstand heute zur Hälfte aus Eigenmitteln. Hinzu kommen zu einem Drittel klassische Bankfinanzierungen und rund zehn Prozent Fördermittel. Den kleinsten Anteil, nur etwa fünf bis sechs Prozent, machen alternative Finanzierungsinstrumente aus. "Das hat sich in den vergangenen zehn Jahren nahezu nicht verändert", sagt Michael Schwartz, Fachmann für die Finanzierungsquellen des Mittelstands bei KfW Research.

Dennoch wollen Anbieter alternativer Finanzierungen ein Umdenken erkennen. Eine Umfrage des Bundesverbands Factoring für den Mittelstand (BFM) ergab im Januar dieses Jahres, dass sich 62 Prozent der Mittelständler mehr Unabhängigkeit von ihrer Hausbank wünschen. Zugleich zählen für mehr als die Hälfte der Befragten zu einer "ausgewogenen Finanzierung" neben Eigen- und Fremdkapital auch Beteiligungen, Factoring und Leasing. Der BFM zeigt sich optimistisch: "Wir gehen davon aus, dass Factoring beim Finanzierungsmix von Unternehmen weiter an Bedeutung gewinnen wird", sagt Michael Ritter, Vorstandsmitglied des Verbands.

Auch zahlreiche Experten und Verbände raten den Unternehmen zum Einsatz unterschiedlicher Instrumente. So bestärkt der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) die Unternehmen darin, "ergänzend zum klassischen Bankkredit künftig in weitaus stärkerem Maße alternative Finanzierungsmodelle" zu nutzen. "Der sich abzeichnende wirtschaftliche Abschwung birgt das große Risiko, dass die Eigenkapitalquoten im Mittelstand wieder sinken", begründet BVMW-Präsident Mario Ohoven. Außerdem zögen sich die Banken aus der Innovationsfinanzierung in Deutschland zurück. Da sei zum einen die Politik gefragt. "Die Mittelständler müssen aber auch selbst handeln", so Ohoven.

Finanzierungen zu mischen, ist ratsam. Doch wie können Betriebe Ordnung in diesen Flickenteppich bringen? Unternehmensberater Riedel bemüht ein weiteres Bild. Er schlägt vor, eine "Architektur" für die Finanzierung zu entwickeln - damit das Kartenhaus nicht in sich zusammenfällt. Riedel rät dazu, einen Bankenspiegel zu führen. Etwa vierteljährlich sollten sich die Firmen bei ihrem Finanzierungspartner melden und einmal im Jahr ein ausführlicheres Gespräch führen - dabei könne man auch die Finanzplanung für das Folgejahr festsetzen. "Wer dann noch die klassischen Kennziffern Eigenkapitalquote und Schuldenziffer im Auge hat, der ist gut aufgestellt", so der Finanzierungsexperte. Für größere Unternehmen können auch Konsortialfinanzierungen oder Multi-Banken-Kredite hilfreich sein. Statt vieler bilateraler Verträge werden dabei mehrere Kapitalgeber, zumeist Banken, in einem Konsortium zeitweise zusammengefasst. Der Kredit wird geteilt; ein gemeinsamer Kreditvertrag regelt die Bedingungen. Aufgenommen werden können nicht nur größere Banken, sondern beispielsweise auch ein Factoring-Anbieter. Das habe Vorteile für beide Seiten, sagt Riedel. Der Kreditnehmer kann auf eine stabile Finanzierungsform bauen, da im Konsortium nach Mehrheitsrechten entschieden wird. Bedeutet im Klartext: Ein Kreditinstitut allein kann sich aus dem Vertrag nicht zurückziehen, sofern die anderen nicht zustimmen. Dennoch sei ein Konsortialkredit auch für Banken interessant, denn sie können sich das Risiko untereinander aufteilen. Außerdem habe jedes Konsortium einen Konsortialführer, der den Großteil des Kreditmanagements übernimmt. "Die übrigen Mitglieder haben damit kaum noch Arbeitsaufwand."

Klassisches Win-Win auf beiden Seiten also - allerdings nur bei großen Summen: Das Einstiegsvolumen dieser Finanzierungsform liegt bei etwa 15 Millionen Euro. Darunter können Multi-Banken-Kredite zum Tragen kommen, bei denen es zwar Verträge mit jedem Kreditgeber gibt, diese aber in den entscheidenden Punkten synchronisiert sind. Doch auch hier müssen mindestens fünf Millionen Euro auf dem Tisch liegen. "Darunter wird der jeweilige Anteil für die Banken zu klein", sagt Riedel.

Für den durchschnittlichen deutschen Mittelstand bietet sich diese Finanzierungsart deshalb nur selten an. Die Hälfte aller mittelständischen Betriebe investiert im Jahr nicht mehr als das, was ein Mittelklassewagen wert ist: maximal 30 000 Euro. Das rechtfertige keinen Konsortialkredit, meint Michael Schwartz von KfW Research. Für geringe Investitionen nutzen die Firmen meist auch keine alternative Finanzierungsmethoden. Nicht ohne Grund laufen laut Schwartz 80 Prozent des gesamten ausstehenden Kreditvolumens im deutschen Mittelstand über Hausbanken.

"Natürlich dominiert in Deutschland immer noch das klassische Hausbankprinzip", gibt Berater Riedel zu. Dennoch ist er der Meinung, dass "eine ganze Menge Mittelständler und Familienunternehmen", insbesondere anlagenintensive Betriebe, für kleinere Konsortialkredite in Frage kämen. Spätestens bei Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe sollten die Unternehmen anfangen, "ernsthaft über eine Harmonisierung der Finanzierungsbeziehungen nachzudenken".

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Quelle:
SZ vom 26.04.2019
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