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Finanzspekulation in den USA:Neun Milliarden Dollar weg - JP Morgan steigert Verluste

Weitere Verluste aus den Skandalwetten von JP Morgan: Bis zu neun Milliarden Dollar soll die einstige US-Vorzeigebank vernichtet haben. Dabei ist das Geldinstitut selbst zum Opfer von Zockern geworden. Die Diskussion über eine Finanzmarktregulierung wird in den USA nun wieder Fahrt aufnehmen.

Malte Conradi

Als James Dimon im Mai einräumen musste, dass seine Bank gerade zwei Milliarden Dollar verzockt hatte - möglicherweise auch ein kleines bisschen mehr - da fühlte er sich sichtlich unwohl. Nicht etwa, weil zwei Milliarden auch ein Unternehmen schmerzen, das in jedem Quartal mehr als doppelt so viel verdient. Auch nicht, weil Dimon die Vorgänge noch Tage zuvor als "Sturm im Wasserglas" bezeichnet hatte oder weil es die erste Niederlage des 56-jährigen "Meisterbankers" war.

Dimon fühlte sich unwohl, weil er wusste, dass die Verluste den Kräften in der Politik Auftrieb geben würden, die sich für eine schärfere Kontrolle der großen Finanzkonzerne einsetzen.

In den folgenden Wochen tat der Chef von JP Morgan Chase alles, um genau das zu verhindern: Er gestand ein, dass "dumme Fehler" passiert seien, er warf den Regulierern Ahnungslosigkeit vor und er verwies auf die gesunde Kapitalausstattung seiner Bank. Wir kommen zurecht, sollte das heißen, niemand müsse sich in unsere Angelegenheiten einmischen, alles nicht so schlimm.

Doch ab jetzt wird auch "der coole Jamie" nicht mehr verbergen können, dass die ganze Sache sehr wohl schlimm ist: Nach Informationen der New York Times sollen die Verluste vier bis fünfmal so hoch sein wie ursprünglich eingeräumt. Bis zu neun Milliarden Dollar (7,2 Milliarden Euro) könnten die Fehlspekulationen die Bank im schlimmsten Fall kosten, sagten anonyme Bankmanager der Zeitung. Andere Mitarbeiter erklärten der Times, die Verluste würden kaum über sieben Milliarden Dollar hinausgehen. Im europäischen Handel verlor die JP Morgan-Aktie in Reaktion auf den Bericht mehr als fünf Prozent.

Offenbar wuchs das Milliarden-Loch immer weiter, als die Großbank versuchte, sich von den giftigen Handelspositionen zu trennen. Etwa zwei Drittel der Papiere mit denen sich ihre Londoner Investmentabteilung verzockt hatte, sollen inzwischen verkauft sein. Den Bankmanagern zufolge wurde das Geldinstitut die Papiere zuletzt nur noch mit immer größeren Verlusten los.

Der Grund dafür dürfte Bankchef Dimon nicht überrascht haben: Hedgefonds nutzen seine Notlage aus und wetten gegen sein Institut. Dimon, so heißt es, habe versucht, das Ausmaß der Schwierigkeiten zu verheimlichen, um genau das zu verhindern. Obwohl diese Strategie gescheitert ist, will JP Morgan sich noch in diesem Jahr von den Giftpapieren befreien. Ursprünglich sollte es erst im nächsten Frühjahr soweit sein.

Doch egal, wie schnell Amerikas langjährige Vorzeigebank die lästige Affäre abzuschütteln versucht - die Diskussion über eine Finanzmarktregulierung wird in den USA nun wieder Fahrt aufnehmen. Dabei dürfte es den Befürwortern eines freien, unkontrollierten Marktes nicht helfen, dass ausgerechnet ihr Vorkämpfer Dimon erst vor wenigen Tagen an der Spitze einer neuen Rangliste der bestbezahlten Geldmanager erschien: 23 Millionen Dollar hat er 2011 verdient, noch einmal elf Prozent mehr als 2010.

Das war das Jahr, in dem erste Gerüchte über hochriskante Geschäfte auftauchten. Weil er JP Morgan unbeschadet durch die Turbulenzen der vergangenen Jahre gesteuert hatte, genoss Dimon bislang große Glaubwürdigkeit in der Debatte um schärfere Kontrollen. Damit dürfte es nun vorbei sein.

In immer größeren Teilen der amerikanischen Öffentlichkeit verfestigt sich der Eindruck, dass sich fünf Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise nichts gebessert hat: Bei JP Morgan wachsen die Verluste ins Unendliche, Morgan Stanley bevorzugt beim Facebook-Börsengang institutionelle Anleger auf Kosten von Privat-Investoren und Goldman-Sachs-Manager verhöhnen Kunden intern als "ahnungslose Muppets." Auch im beginnenden Präsidentschaftswahlkampf dürfte die Sache eine Rolle spielen.

JP Morgan äußerte sich nicht zu dem Bericht. Offenbar will die Bank erst in zwei Wochen bekannt geben, wie hoch die Verluste wirklich sind. Sicher ist: Es war ein Sturm und kein Wasserglas.

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Quelle:
SZ vom 29.06.2012/rela
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