Süddeutsche Zeitung

Finanzpolitik:Steuersenkungen: Theoretisch ja, praktisch nein

Trotz Mehreinnahmen in dreistelliger Milliardenhöhe will die Regierung die Steuern nicht senken - im Gegenteil. Das Geld ist schon verplant, ehe es eingenommen ist.

Claus Hulverscheidt

Die Bundesregierung sieht trotz sprudelnder Steuerquellen keine Chance auf eine rasche Entlastung der Bürger. Zwar können sich Bund, Länder und Gemeinden nach Informationen der Süddeutschen Zeitung wegen der guten Wirtschaftslage bis 2014 auf Mehreinnahmen in einer Größenordnung von insgesamt 130 Milliarden Euro freuen. Aus Berliner Regierungskreisen verlautete jedoch am Freitag, zumindest der Bundesanteil an der Summe sei längst verplant oder werde zum Stopfen von Haushaltslöchern an anderer Stelle benötigt.

"Es gibt vielleicht gefühlte Steuersenkungsspielräume, aber keine realen", hieß es in den Kreisen. Der Arbeitskreis Steuerschätzung will am nächsten Donnerstag mitteilen, wie viel Geld dem Gesamtstaat in den kommenden Jahren im Vergleich zur Prognose vom letzten November voraussichtlich zur Verfügung stehen wird.

Die Debatte darüber, in welchem Umfang die Steuern in dieser Wahlperiode gesenkt werden können, überschattet die Arbeit der schwarz-gelben Koalition seit deren Amtsantritt vor eineinhalb Jahren. Kommende Woche könnte der Streit von vorn beginnen, weil die Zahlen der Steuerschätzer auf dem Papier gewaltig aussehen werden. Legt man die erwartete Summe von etwa 130 Milliarden Euro für den Gesamtstaat zugrunde, könnten nach einer Modellrechnung davon etwa 73 Milliarden Euro auf den Bund entfallen. Das Finanzministerium hat aber bei der Festlegung der Haushaltseckpunkte für 2012 und der Finanzplanung bis 2015 im Februar nicht die Zahlen der November-Steuerschätzung verwendet, sondern die sich damals schon abzeichnende bessere Wirtschaftsentwicklung teilweise bereits eingerechnet. Von den nun angenommenen 73 Milliarden Euro sind daher 53 Milliarden Euro längst verplant.

Es blieben also in diesem Szenario Mehreinnahmen von 20 Milliarden oder - auf vier Jahre verteilt - fünf Milliarden Euro. Dieser Summe stehen aber Haushaltsrisiken in mindestens gleichem, ab 2013 sogar in deutlich höherem Umfang gegenüber. Werden etwa die acht derzeit abgeschalteten Kernkraftwerke im Zuge der Energiewende endgültig vom Netz genommen, wird das jährliche Aufkommen der Kernbrennstoffsteuer nach Angaben aus den Regierungskreisen um eine Milliarde Euro niedriger ausfallen als bisher geplant.

Düstere Prognosen

Weitere zwei Milliarden Euro fehlen, weil niemand mehr daran glaubt, das 2012 eine europaweite Steuer auf Finanztransaktionen eingeführt wird. Da die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen sukzessive anheben will, werden zudem auch die Zinsen steigen, die der Bund den Käufern seiner Staatsanleihen zahlen muss. Eine Erhöhung um gerade einmal 0,5 Prozentpunkte kostet die Regierung aber 1,5 Milliarden Euro pro Jahr extra. Damit wären die angenommenen Steuermehreinnahmen von fünf Milliarden Euro praktisch aufgebraucht.

Noch düsterer sieht es ab 2013 aus, wenn der Bund mindestens 4,3 Milliarden Euro in den neuen europäischen Krisenvorsorgefonds ESM einzahlen muss. Bis 2017 sind es sogar insgesamt gut 22 Milliarden Euro. Zudem gehen nahezu alle Experten davon aus, dass die Energiewende nicht nur zu Steuerausfällen, sondern auch zu beträchtlichen Mehrausgaben führen wird. Hier steht die Koalition vor der Entscheidung, ob sie diese Mehrausgaben den Stromkunden oder aber dem Staatshaushalt aufbürdet. Auch dürfte die Bundeswehrreform teurer werden als vom einstigen Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) seinerzeit behauptet.

Wo sind die Einsparmöglichkeiten?

Im Extremfall könnte die Regierung somit sogar gezwungen sein, trotz der gigantischen Steuermehreinnahmen nach weiteren Einsparmöglichkeiten oder Erlösquellen zu suchen. Eine theoretische Möglichkeit wäre es, die Kernbrennstoffsteuer zu erhöhen oder die Finanztransaktionsteuer im nationalen Alleingang einzuführen. Beide Varianten scheiden in der Praxis aber wohl aus. So würde eine Erhöhung der Brennstoffsteuer die Energiekonzerne endgültig gegen die Regierung aufbringen und sie zu Klagen gegen den Atomausstieg geradezu zwingen. Eine Finanzmarktsteuer allein in Deutschland wiederum würde die hiesigen Banken im europäischen Wettbewerb erheblich benachteiligen.

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Quelle:
SZ vom 07.05.2011/holz
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