Süddeutsche Zeitung

Finanzmärkte setzen Italien unter Druck:Montis zäher Weg aus der Krise

Italiens Notpremier muss viel einstecken. Den einen spart Mario Monti zu wenig, den anderen zu viel. Er formt ein neues Italien, gerade stellt er zum 33. Mal die Vertrauensfrage. Nur am Druck der Finanzmärkte ändert sich nichts. Scheitert Montis Rettungsversuch?

Ulrike Sauer, Rom

Auf den Mann mit der Schere war Verlass. Enrico Bondi rufen sie in Italien immer, wenn gar nichts mehr geht. Seit 20 Jahren ist der wortkarge Toskaner im Einsatz, um Pleitekonzerne wie Parmalat vor dem Untergang zu bewahren. Im Mai musste auch Mario Monti, der gleich ein ganzes Land vor dem Bankrott retten soll, den Spezialisten für hoffnungslose Fälle engagieren.

Vieles war dem Notstandspremier da schon geglückt, doch seine Bemühungen, die 800 Milliarden hohen staatlichen Ausgaben zu stutzen, liefen ins Leere. Sonderkommissar Bondi lieferte acht Wochen später einen Dreijahresplan zur Kürzung von 26 Milliarden Euro ab. Bei 40 Grad im Schatten presste Monti den Parlamentsabgeordneten in Rom am Dienstag die Zustimmung zu dem Rationalisierungsprogramm ab. Von Lob keine Spur.

Viel zu wenig Streichungen, rügten Ökonomen. Viel zu zaghaft, schallte es aus dem italienischen Blätterwald zurück. Und die Märkte? Sie reagieren längst nicht mehr beim Erreichen von Etappenzielen.

Monti hat sich daran gewöhnt. Er hat schon ganz andere Taten vollbracht. Vor just einem Jahr, am 5. August 2011, schickte der damalige EZB-Präsident Jean-Claude Trichet zusammen mit seinem Nachfolger Mario Draghi einen Zehnpunktekatalog ins römische Sündenbabel. Adressat Silvio Berlusconi unterschrieb folgsam die Verpflichtungen und ignorierte sie fortan komplett. Das kostete ihn im November das Amt. Nun sind neun Monate vergangen - Italien ist ein anderes Land.

Vergiftetes Klima in Europa

Nur an den Risikoaufschlägen für italienische Staatsanleihen änderte sich nichts. An unruhigen Tagen schießen sie Richtung 5,5 Prozent, eine beängstigende Marke, die einst Berlusconis Sturz beschleunigte. Von der Rentenreform, der Arbeitsmarktreform, der Haushaltssanierung bis zu ersten Initiativen gegen die Bürokratie, mehr Liberalisierung und Wachstumsanreizen - alles erwies sich als zwecklos. Soll man daraus schließen, dass Montis Rettungsversuch gescheitert ist?

Schaut man sich das vergiftete Klima in Europa an, sieht es ganz danach aus. Seit Monaten reist der Übergangspremier kreuz und quer durch ein Europa, das ein Spaltpilz immer weiter auseinandertreibt. Die Entfremdung zwischen Deutschland und Italien ist für den Professor wohl der deprimierendste Aspekt. Für Monti ist der Kampf um den Euro zum Kampf gegen Klischees und Ressentiments geworden. Über Interviews verschafft er sich darum bei der Öffentlichkeit Gehör.

Blickt man auf die finanzielle Lage Italiens, kann von einem Versagen Montis keine Rede sein. Als Euro-Hüter Mario Draghi am vergangenen Donnerstag die Hoffnung auf sofortige, bedingungslose Aufkäufe von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank enttäuschte und die Renditen für römische Bonds in die Höhe schossen, bewahrte Monti die Ruhe. Jedes Wort war überlegt, als er vor die Presse trat: "Auf alle Fälle stellt sich das Problem einer Rettung für uns nicht, wir haben einen der solidesten Staatshaushalte der Euro-Zone", sagte Monti.

Er hat recht: Italien wird in diesem Jahr einen Haushaltsüberschuss in Höhe von 3,6 Prozent erzielen, wann man die Ausgaben für den Schuldendienst außen vor lässt. Das ist Europa-Rekord. Im kommenden Jahr rechnet man mit einem Primärsaldo von 4,9 Prozent. Das gilt als zuverlässiger Indikator für die Finanzierbarkeit der Altschulden. Eine akute Gefahr lauert im Angstmonat August nicht. Italien wird erst im September sein Refinanzierungsprogramm wieder aufnehmen. Bis Ende Juli hat das Land 66 Prozent seines Jahresbedarfs gedeckt. Was nützt es, wenn niemand Notiz davon nehmen will?

Ohne zu murren, haben die Italiener die Rettung anderer Krisenländer mitgetragen. Bevor das Parlament am 19. Juli den von Berlin verlangten europäischen Fiskalpakt verabschiedete, legte Finanzminister Vittorio Grilli den Abgeordneten noch die Kosten des neuen Rettungsfonds ESM dar. Als drittgrößter Beitragszahler muss Italien 14,3 Milliarden Euro überweisen. Insgesamt kosten die diversen Rettungsaktionen das Krisenland in diesem Jahr 45 Milliarden Euro, teilte der römische Zentralbankgouverneur Ignazio Visco mit. "Und keiner hat sich darüber groß aufgeregt", sagte er.

Dabei leidet auch Italien unter der Krise. Am Dienstag meldete das Statistikamt Istat einen Rückgang der Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal um 0,7 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt sogar um 2,5 Prozent. Die Konjunktur läuft damit noch etwas schlechter als erwartet. In der ersten Jahreshälfte sank die Wirtschaftskraft um 1,9 Prozent.

Gleichzeitig steigerte Italien den Export um zehn Prozent. Das Forschungsinstitut Ref glaubt, dass die italienische Handelsbilanz trotz Rezession von minus 24 Milliarden Euro im Jahr 2011 auf plus fünf Milliarden in diesem Jahr umschlägt. Dabei spielt zwar die Flaute in der Binnennachfrage eine Rolle. Aber trotzdem zeugen die Ausfuhren von einer erstaunlichen Vitalität der Firmen.

Eine weitere Nachricht passt nicht ins Bild der Nörgler: Die Steuereinnahmen stiegen in den ersten sechs Monaten um 4,3 Prozent. Italien vor der Pleite? Wenn die Lage so hoffnungslos nicht ist, liegt das Problem vielleicht außerhalb der Grenzen? In Italien sieht man den Grund für die ruinösen Zinsaufschläge darin, dass die Anleger die Möglichkeit eines Auseinanderbrechens der Währungsunion in Betracht ziehen. EZB-Chef Draghi stützte diese These: Italien zahle dafür, dass Anleger sich vor dem Ende der Gemeinschaftswährung fürchten. Und nicht vor einem Staatsbankrott in Rom. Nationale Reformen macht das keineswegs überflüssig, aber sie verfehlen derzeit ihre Wirkung.

Dennoch erledigte man vor den am Donnerstag beginnenden Parlamentsferien noch die jüngsten Hausaufgaben. Die von Sonderkommissar Bondi ausgearbeiteten Ausgabenkürzungen waren an der Reihe. Gefordert war diesmal kein hektisches Herumstreichen, sondern eine durchdachte Generalüberholung der Staatsausgaben. Im laufenden Jahr sollen 4,5 Milliarden, 2013 schon elf Milliarden Euro eingespart werden. Die Parteien hätten eigentlich jubeln müssen. Seit den brutalen Steuererhöhungen im Dezember wettern sie gegen das unerträgliche Abgaben-Joch.

Nun endlich setzte die Regierung den aufgeblähten Staat auf Diät. Doch statt Erleichterung erntete Monti im Parlament 1200 Änderungsanträge. Am Dienstag stellte er zum 33. Mal die Vertrauensfrage, um die Wünsche abzuschmettern. Regiert wird in Rom nach dem Prinzip Friss-oder-stirb. Montis Problem ist: Man verlangt immer noch etwas mehr von ihm. Neuerdings gilt die Sorge auch noch der politischen Stabilität.

Bondi ist längst auf sein toskanisches Landgut "Il Matto" (Der Verrückte) zurückgekehrt. Und wetzt vermutlich seine Schere. Für September kündigte er den nächsten Schnitt an. Er hat weitere 60 Milliarden Staatsausgaben überprüft und ein Kürzungspotenzial von 25 bis 40 Prozent ausgemacht. "Wir müssen mit Vorsicht ans Werk gehen, um das Spielzeug nicht kaputt zu machen, informierte der 78-Jährige das Parlament. Er arbeitet übrigens gratis. Wie Monti auch.

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SZ vom 08.08.2012/fran
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