Süddeutsche Zeitung

Finanzkrisen-Serie:Die rechten Nutznießer

Vor zehn Jahren brach die Finanzkrise aus. Auch wenn sich die Wirtschaft wieder erholt hat, sind die Folgen bis heute zu spüren. Sieht man sich an, wer profitiert hat, tun sich überraschende Erkenntnisse auf.

Von Andrea Rexer

Die Protestcamps haben sich längst aufgelöst, den Banken wurden strengere Regeln verpasst, die Aktienmärkte florieren wieder, und die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie schon lange nicht mehr: Zehn Jahre nach Ausbruch der internationalen Finanzkrise scheint die Welt zumindest in Deutschland wieder in Ordnung zu sein. Fast könnte man meinen, dass man dieses Kapitel der Geschichte zuschlagen kann. Dass man den Tag, an dem die Banker in New York mit Pappkartons aus dem Gebäude am Times Square liefen, in die Geschichtsbücher verbannen kann. Zum zehnten Mal jährt sich am 15. September 2018 die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers, die vielen als Startpunkt der weltweiten Finanzkrise gilt.

Doch wie so oft trügt der schöne Schein.

Es gibt eine ganze Reihe von Folgen der Krise, die wir bis heute spüren - und zwar nicht nur im Wirtschaftsleben. Eine brisante Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) stellt einen direkten Zusammenhang zwischen Finanzkrisen und dem Erstarken populistischer Parteien am rechten und linken Rand her. Die AfD, die österreichische FPÖ, die italienische Lega oder der amerikanische Präsident Trump - ihr Erfolg überrascht nicht, wenn man die historischen Daten der Ökonomen sieht.

Christoph Trebesch, Manuel Funke und Moritz Schularick haben drei Jahre lang an einer systematischen Langzeitauswertung von Wahlergebnissen nach wirtschaftlichen Krisen gearbeitet. Sie haben die Daten von 800 Wahlen in 20 Industrieländern seit 1870 analysiert. Die Liste der Ergebnisse liest sich wie eine Beschreibung der aktuellen politischen Lage in Deutschland: Die Regierungsmehrheiten schwinden, die Zahl der Parteien in den Parlamenten steigt, und vor allem die extreme Rechte gewinnt an Bedeutung. Diese Effekte waren über die Jahrhunderte in kleinen wie großen Industrieländern zu beobachten. Mehrere Beispiele illustrieren diese Ergebnisse. Dabei muss man gar nicht zum Aufstieg der Nationalsozialisten in den 1930er-Jahren nach der Weltwirtschaftskrise zurückgehen. Auch in der jüngeren Vergangenheit finden sich in Europa Beispiele: So hat die norwegische Fortschrittspartei ihr Wahlergebnis nach der 1988er-Krise von 3,7 Prozent auf 13 Prozent steigern können, heute stellt sie sogar die Regierung. In Italien hat die Krise Anfang der 1990er-Jahre der Lega Nord zum Durchbruch verholfen. Und natürlich ist auch die AfD ein Produkt der 2008er-Krise.

Interessanterweise stellten die Forscher fest, dass Finanzkrisen viel stärkere Auswirkungen auf Demokratien haben als etwa konjunkturell bedingte Rezessionen. Warum ist das so? Studienautor Trebesch führt drei Erklärungsansätze an. "Finanzkrisen gelten als unentschuldbar", sagt Trebesch. Anders als etwa bei einem Ölpreisschock, bei dem ein äußerer Anlass als Entschuldigung herangezogen werden kann, wird bei Finanzkrisen der Politik eine Mitverantwortung gegeben - schließlich ist sie für die Regulierung der Branche zuständig. Zudem seien Banken-Rettungspakete für Wähler gut sichtbar. "Es entsteht das Gefühl, dass für Banken immer Geld da ist, aber nicht für die Bürger", so Trebesch. Und zum Dritten erschüttern Finanzkrisen das bestehende System, es entbrennt eine Grundsatzdebatte über die Regeln in einer Gesellschaft. Die Verunsicherung ist also größer als nach einer konjunkturell bedingten Rezession.

Dass vor allem die rechten Parteien von Finanzkrisen so sehr profitieren, hätten die Autoren jedoch zunächst nicht erwartet: "Wenn der Kapitalismus infrage gestellt wird, würde man vermuten, dass vor allem antikapitalistische Parteien Zulauf bekommen", sagt Trebesch. Im Gegensatz zur extremen Linken machen rechte Populisten Sündenböcke für die Krise verantwortlich - etwa Migranten oder bestimmte Bevölkerungsgruppen. "Dafür scheinen Wähler in diesen Phasen besonders empfänglich zu sein", sagt Trebesch.

Die Neigung, sich falsche Sündenböcke zu suchen, verortet Marcel Fratzscher, Präsident des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW, nicht nur bei den Populisten. "Viele Politiker haben es sich leicht gemacht und die Schuld für die Krise dem Euro und der Europäischen Union zugeschoben. Das Resultat ist eine antieuropäische Haltung in vielen der Mitgliedsländer", kritisiert er.

Der durchschnittliche Sparer gilt gemeinhin als großer Verlierer der Finanzkrise. Denn durch die expansive Politik der Notenbanken sind die Zinsen bis heute auf einem historischen Tiefstand. Sparbücher werfen nichts mehr ab. Profitiert haben dagegen Immobilienbesitzer in Ballungsräumen, weil das billige Geld zu einem rasanten Preisanstieg geführt hat.

Dass die Niedrigzinsen die Schere zwischen Arm und Reich verstärkt hätten, will Fratzscher jedoch nicht gelten lassen: "Es wird oft vergessen, dass über 40 Prozent der Deutschen nichts Erspartes haben", so der Ökonom. Sie profitierten also eher davon, dass die Unternehmen durch die niedrigen Zinsen gut investieren können und damit für sichere Jobs sorgen. Klar ist aber auch, dass durch die beispiellose Aktien-Hausse der vergangenen Jahre vor allem Vermögende profitiert haben.

Die Deutschen gelten als Aktienmuffel, immerhin aber stieg die Aktienquote zuletzt wieder deutlich an, wie Christine Bortenlänger, Geschäftsführerin des deutschen Aktieninstituts (DAI) feststellt. Derzeit hält jeder sechste Deutsche Aktien - genauso viele wie vor der Finanzkrise. Bortenlänger findet jedoch, dass es - vor allem mit Blick auf eine langfristige Altersvorsorge - immer noch zu wenige sind, die sich an Börsenpapiere wagen. Ein Grund dafür sei, dass die Regulierung bei der Beratung von Anlegern nach der Finanzkrise "über das Ziel hinausgeschossen" sei. Eine Studie des DAI stellt fest, dass sich immer mehr Banken mit Blick auf das Regelkorsett ganz aus der Aktienberatung zurückziehen - zum Nachteil der Anleger, die nicht mehr umfassend beraten werden. Und jene, die noch beraten, haben die Qualität kaum gesteigert. Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament, stellt fest: "Für den Verbraucher hat sich wenig verbessert. Immer noch bekommen unbedarfte Anleger überteuerte Fonds angedient, die sie mit schmaler Rendite nach Hause gehen lassen."

Aber sind die Banken durch die strengere Regulierung wenigstens insgesamt sicherer geworden? Der Bankensektor sei "gestärkt, aber nicht stabil", so Giegold. Er fordert deutlich höhere Kapitalpuffer, um etwaige Verluste in der Zukunft abfedern zu können. Dem pflichtet Clemens Fuest, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo, bei: "In der Bankenregulierung wird zu viel im Detail geregelt, gleichzeitig sind die Eigenkapitalvorschriften nach wie vor zu lax." In der Folge müssten in der nächsten Krise erneut die Steuerzahler einspringen, wenn es hart auf hart kommt.

Die Spuren der Finanzkrise

In dieser Serie beleuchten wir, welche Folgen zehn Jahre nach der Pleite der US-Bank Lehman noch heute sichtbar sind.

Doch dafür ist wenig Spielraum in den öffentlichen Kassen. Denn bis heute ist die Staatsverschuldung in den meisten europäischen Ländern viel höher als vor der Krise. Ähnlich eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten haben die Notenbanken. "Die aufgeblähten Bilanzen und die Nullzinsen bedeuten, dass die Notenbanken nur wenig Spielräume haben, auf den nächsten Konjunktureinbruch zu reagieren. Zinssenkungen, sonst die übliche und wirksamste Sanierungsmaßnahme, fallen aus", warnt Fuest.

Man kann sich also vorstellen, was passiert, wenn sich die Konjunktur in absehbarer Zeit eintrübt: Es entsteht ein guter Nährboden für weiteres Wachstum extremer Parteien. Darauf deutet auch die Populismus-Studie der Kieler Wissenschaftler hin: Im Verlauf der Geschichte hat sich das Wählerverhalten rund zehn Jahre nach einer Krise wieder normalisiert. An diesem Punkt sind wir jetzt. Eigentlich müssten die Effekte bei den Wahlergebnissen also langsam abklingen. Doch darauf deuten die Umfragen weder in Deutschland noch in anderen europäischen Ländern hin. "Diesmal könnte es alles anders sein", sagt Trebesch nachdenklich. Sein nächstes Forschungsprojekt sucht nach Lösungen: Er stellt sich die Frage, was Gesellschaften immun gegen Populismus macht.

Folge zwei am kommenden Donnerstag: Was wurde aus den Menschen, die durch die geplatzte Immobilienblase in den USA ihr Zuhause verloren haben?

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Quelle:
SZ vom 26.07.2018
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