Finanzkrise:Wer bloß die Banken rettet, erreicht nichts

Der Staat muss die Konjunktur stützen, und zwar jetzt. Andernfalls verpuffen die billionenschweren Bürgschaften - dann droht eine Depression in der realen Wirtschaft.

Heiner Flassbeck

Die Binnennachfrage müsse durch angemessene Löhne gestärkt werden, findet Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck. Flassbeck war von 1998 bis 1999 Staatssekretär im Finanzministerium und ist einer der führenden Vordenker für eine nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik in Deutschland. Hier formuliert er seinen Lösungsvorschlag zur Bekämpfung der Finanzkrise.

Finanzkrise: Die Binnennachfrage müsse durch angemessene Löhne gestärkt werden, glaubt Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck.

Die Binnennachfrage müsse durch angemessene Löhne gestärkt werden, glaubt Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck.

(Foto: Foto: dpa)

Es wird eng. Die bisherigen Maßnahmen zur Stabilisierung der Finanzmärkte haben nicht gereicht. Jetzt gilt es, Vertrauen auf den Finanzmärkten, bei Unternehmern, Arbeitnehmern und Konsumenten zugleich zu schaffen. Dazu muss neben den Finanzmärkten die Konjunktur stabilisiert werden. Niemand wird Vertrauen fassen und Nachfrage entfalten, dessen Einlagen zwar gesichert sind, der aber seine Kunden oder seinen Arbeitsplatz verliert.

Die schnelle Stabilisierung der Realwirtschaft ist auch unabdingbar für die Stabilisierung der Finanzmärkte auf längere Frist. Nur wenn die vielfältigen "Wechsel auf die Zukunft" zur Stabilisierung der Finanzmärkte von einer prosperierenden realwirtschaftlichen Entwicklung gedeckt sind, werden die billionenschweren Bürgschaften nicht fällig werden.

Keine Munition verschießen

Andernfalls wird sich die Finanzkrise perpetuieren; man wird fiskalpolitisch Löcher stopfen nur um den Preis, an anderer Stelle immer größere aufzureißen und die Munition zu verschießen, die zur konjunkturellen Stabilisierung dringend gebraucht wird. Die Geschichte hält ausreichend Lehren bereit - die Politik muss sie allerdings beherzigen.

Im Gefolge seiner Immobilienkrise Ende der achtziger Jahre hat Japan die Zinsen und Steuern angehoben, die Löhne wurden gesenkt, der Wechselkurs stieg auf Rekordniveau. Das Ergebnis war eine langanhaltende Deflation mit depressiven Zügen. Viel zu spät stellte Japan die Signale auf Expansion um.

Maßnahmen, die die Rezession hätten verhindern können, entfalteten in der Dauerstagnation keine Wirkung mehr. "Unkonventionelle" Maßnahmen, die zuvor undenkbar schienen, mussten ergriffen werden, um einen völligen Absturz zu verhindern. So hat die Notenbank die Staatsausgaben finanziert oder Aktien gekauft. Selbst dies hat Japan nicht auf einen stabilen Wachstumspfad zurückgeführt.

Ganz anders haben - wie schon mehrfach zuvor - die USA reagiert. Die Zinsen wurden in wenigen Schritten drastisch gesenkt. Die monetäre Expansion wurde ergänzt um eine fiskalische. Beides war wichtig: Der monetäre Impuls stärkt den fiskalischen und umgekehrt. Keiner kann den anderen ersetzen, jeder ist aber zur Entfaltung seiner vollen Wirkung auf den anderen angewiesen.

Ob die Dosis für eine Trendwende der US-Konjunktur ausgereicht hat, ist derzeit eher fraglich. Dass aber nur der Staat und die Notenbank das reale und das finanzielle System stabilisieren können, bestreitet niemand mehr. Ohne Eingriffe gibt es kein Ende der Abwärtsspirale.

Die Eurozone hat bisher eher nach dem japanischen Vorbild gehandelt: Im Sommer wurden sogar gegen jede Logik die Zinsen angehoben, und der Stabilitäts- und Wachstumspakt wird auch jetzt noch zur Abwehr expansiver Haushaltspolitik instrumentalisiert.

Jongleure an den Finanzmärkten

Was nicht klar genug gesehen wird: Die Konjunktur zu stützen kommt deutlich billiger als Bürgschaften und andere Finanzmarktmaßnahmen, denen die realwirtschaftliche Fundierung fehlt. Um die Finanzmärkte wiederzubeleben, ist die Vergabe neuer Kredite entscheidend.

Neue Kredite werden aber nur nachgefragt, wenn die Absatz- und Rentabilitätserwartungen der Unternehmen günstig sind. Das Gleiche gilt für das Angebot von Krediten. Da die Jongleure an den Finanzmärkten als Nachfrager für Kredite auf Jahre hinaus "verbrannt" sind, wird jede Bank froh sein, Investoren zu finden, die etwas Reales wagen wollen.

Es ist keine Fülle von Einzelmaßnahmen erforderlich, um die positiven Erwartungen und die konjunkturelle Dynamik wiederzubeleben. Es reicht im Wesentlichen, bei den wichtigsten makroökonomischen Instrumenten wachstums- und stabilitätsgerecht umzusteuern. Das heißt: Die EZB sollte die Zinsen sofort weiter auf mindestens zwei Prozent oder niedriger senken.

Außerdem sollten Wachstumsprogramme im Bereich Infrastruktur, Bildung und Umweltschutz in der Größenordnung von mindestens einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr aufgelegt werden, was für Deutschland 25 bis 30 Milliarden Euro wären. Die Programme sollten mehrere Jahre laufen und über Kredite finanziert werden. Die automatischen Stabilisatoren, auf die in Brüssel verwiesen wird, reichen auf keinen Fall. Sie können eine Rezession eventuell abmildern und verzögern, jedoch niemals eine schnelle Talfahrt beenden.

In eine solche Strategie müssen die Tarifparteien eingebunden werden, um die Binnennachfrage nicht durch Lohnkürzungen zu destabilisieren. Auch hier, wie bei allen anderen Maßnahmen, ist eine EU-weite Abstimmung nationalen Programmen vorzuziehen.

Nur schnelles Handeln hilft. Jede Verzögerung vermindert, dass diese Maßnahmen wirken. Wenn sich die Gewinnerwartungen der Unternehmen massiv eintrüben, wird die Geldpolitik völlig wirkungslos.

Die gesamte Last läge dann auf der Fiskalpolitik. Plan, Inhalt und Umsetzung eines solchen Programms zur Stützung von Finanzmärkten und Konjunktur muss allen Betroffenen - Finanzakteuren, Unternehmen, Arbeitnehmern und Konsumenten - schnell, klar und überzeugend mitgeteilt werden.

Je rascher positive Signale gegeben werden, umso schneller können Vertrauen und konjunkturelle Dynamik wiedergewonnen werden. Zumindest die Ankündigung des Programms muss unverzüglich erfolgen, um einen weiteren Absturz der Finanzmärkte und eine Depression in der Realwirtschaft zu vermeiden.

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