Finanzkrise in Spanien:Der "Dicke" soll es richten

Nirgends auf der Welt wird soviel Lotto gespielt wie in Spanien. Der Hauptgewinn der weltgrößten Weihnachtslotterie heißt "Der Dicke" und ist vier Millionen Euro schwer. Waisenkinder verkünden singend die Gewinner-Zahlen. Doch die Verlosung ruft auch Betrüger auf den Plan.

Von Sebastian Schoepp

Wenn im Dezember die eisigen Winde von der kastilischen Hochebene Madrid in einen Freiluftkühlschrank verwandeln, trotzen Tausende Menschen der Kälte. Hunderte Meter lang ist jedes Jahr zu Weihnachten die Schlange vor dem winzigen Laden in der Calle del Carmen. Es ist die Lotterie-Annahmestelle von Doña Manolita, die zu den Wahrzeichen Madrids gehört wie der bronzene Bär an der nahen Puerta del Sol. Doña Manolitas Laden gibt es seit 1904. Die lebenslustige Gründerin galt als Glücksbringerin. Zwar ist sie 1951 gestorben, doch noch heute wird an keiner anderen Annahmestelle in Spanien so oft das Glückslos für "El Gordo", "den Dicken" verkauft, wie der Hauptgewinn der spanischen Weihnachtslotterie heißt.

Doña Manolita verkauft nicht nur Lottoscheine, sie verkauft Träume, sagt man in Madrid. Und Hunderttausende Spanier träumen derzeit davon, dem Unglück zu entfliehen, das die Krise über sie gebracht hat. Spanien hat ein miserables Jahr hinter sich und ein möglicherweise noch schlimmeres vor sich. Viele können im Winter nicht heizen - wenn sie überhaupt noch eine Wohnung haben. Gerade hat das Parlament den nächsten Sparhaushalt beschlossen, der Regierungschef betont stets, was die Spanier alles falsch gemacht hätten - dabei hatte seine eigene Partei die Immobilienspekulation befeuert, die das Land in den Abgrund riss.

Nach dem Ende des Pyramidenspiels mit Wohnungen hoffen viele Spanier wieder auf das Glücksspiel in Reinform, die Lotterie. Eher dem Glück oder höheren Mächten zu vertrauen als den eigenen Kräften, hat im Land Tradition. Auch Doña Manolita musste der Überlieferung nach erst nach Saragossa zur Madonna del Pilar pilgern, um den ersten "Dicken" an den Mann bringen zu können. Nirgends auf der Welt wird so viel Lotterie gespielt.

Es gibt alle möglichen Systeme, am auffälligsten ist das des Blindenverbandes Once, dessen Verkäufer die Lose lauthals auf Straßen und Plätzen anpreisen. Die Weihnachtslotterie ist die größte, gemessen an der ausgespielten Gesamtsumme sogar die größte der Welt. Dieses Jahr wurden Lose im Wert von 3,6 Milliarden Euro angeboten. 2,5 Milliarden werden ausgeschüttet, den Rest behält der Staat.

Lose für 200 Euro

Der "Dicke" ist vier Millionen Euro schwer. Um ihn mit nach Hause zu nehmen, muss man ein Los für 200 Euro erstehen, das ist teuer, weshalb die meisten Spanier nur ein Zehntellos kaufen. "El Gordo" wird 180-mal ausgezahlt, denn jede Losnummer wird 180-mal verkauft. Deshalb regnet der Geldsegen manchmal über ganze Dörfer nieder. Daneben gibt es Tausende kleine Preise, weshalb die Ziehung am 22. Dezember Stunden dauert, Schulkinder eines Waisenhauses verkünden jede einzelne Gewinnnummer singend, das ganze Land hört gebannt zu.

Die Lotterie gehört in Spanien zum Fest wie Baum und Krippe - und das seit 200 Jahren. Die erste Ziehung fand 1812 in Cádiz statt, als der Krieg gegen Napoleon tobte. Seitdem hat die Lotterie alle Krisen überstanden. Auch Touristen kaufen gerne mal ein Los. Das hat Betrüger dazu animiert, im Ausland falsche Gewinnbotschaften zu versenden, in denen man zur Zahlung von Steuern und Überweisungskosten aufgefordert wird. Doch die Weihnachtslotterie ist steuerfrei - 2012 leider zum letzten Mal.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: