Süddeutsche Zeitung

Finanzkrise in Deutschland:Demokratiealarm

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Muss ein Schädiger nur dreist genug und der Schaden nur groß genug sein, damit der Staat das Desaster nobilitiert?

Heribert Prantl

Wenn die Familie Huber schlecht wirtschaftet, kommt der Gerichtsvollzieher. Wenn die Firma Maier schlecht wirtschaftet, kommt der Konkursrichter.

Wenn eine Großbank katastrophal wirtschaftet - dann kommen die Spitzenpolitiker mit dem Milliarden-Geldsack. Ist das die Belohnung für Zocker? Muss ein Schädiger nur dreist genug und der Schaden nur groß genug sein, damit der Staat das Desaster nobilitiert? Sind die Hilfsfonds Fässer ohne Boden? Wird das gute Geld dem schlechten hinterhergeworfen?

In die Nischen geflohen

Sind das dumme Fragen? Sie sind so wenig dumm wie die konsternierte Feststellung, dass der Kapitalismus gerade dabei ist, private Verluste zu sozialisieren. Die Bundeskanzlerin spürt, dass es in der Finanzkrise keine dummen Fragen gibt, sondern allenfalls dumme Antworten.

Dumm sind die politischen Antworten, die das Vertrauen der Bürger in das demokratische System noch weiter gefährden und zerstören. Deswegen agieren Angela Merkel und ihr Finanzminister Peer Steinbrück so vorsichtig.

In der globalen Finanzkrise geht es ja nicht nur um das Vertrauen in den Geldmarkt, die Banken und die Finanzstabilität. Es geht auch um das Vertrauen in die Souveränität und die Gestaltungskraft der Demokratie.

In den vergangenen Wochen sind auf den Finanzmärkten viele Milliarden Dollar und Euro verbrannt. Das ist schlimm genug. Noch viel schlimmer wäre es, wenn in dem Feuer auch noch das demokratische Grundvertrauen verbrennen würde. Es geht also nicht nur darum, gigantische Geldlöcher zu stopfen, sondern auch darum, dass aus der Krise des globalen Kapitalismus nicht eine globale Krise der Demokratie wird.

Die Dirigenten des internationalen Geldmarkts haben viel dafür getan, dass es so kommt. Sie haben erfolgreich versucht, die Politik demokratisch gewählter Regierungen ihrer Disziplin zu unterwerfen. Sie haben Regierungen genötigt, sie haben den Abbau von Kontrollen erzwungen - und sind gleichwohl mit eigens gegründeten Zweckgesellschaften in die Nischen der Welt geflohen, in denen sie ihre riskanten Geschäfte noch besser verstecken konnten.

Börsen - fünfte Macht im Staat

Die Großmanager des Geldmarkts taten so, als sei die Demokratie eine Spielwiese für Kleinbürger, und als hätten Wahlkämpfe und Wahlen nur eine Funktion ähnlich der, wie sie "Brot und Spiele" im alten Rom hatten - weil die wahren Wahlakte der Überzeugung der Großmanager nach auf dem Börsenmarkt stattfanden. Die Börsen als fünfte Macht im Staat: Das ist keine Übertreibung eines Globalisierungskritikers von Attac. Das ist die Beschreibung eines früheren Vorstandschefs der Deutschen Bank.

Rolf Breuer legte einst dar, warum sich Regierungen nach den Wünschen der Anleger richten müssten: "Die autonomen Entscheidungen, die Hunderttausende von Anlegern auf den Finanzmärkten treffen, werden im Gegensatz zu den Wahlentscheidungen nicht alle vier oder fünf Jahre, sondern täglich gefällt."

Die Interessen der Kapitalverwertung wurden der Demokratie untergeordnet mit der Behauptung, dass die Finanzmärkte sich viel mehr an Wohlstand und Wachstum orientieren als die Wähler.

Die demokratische Kontrolle der Regierungen durch die Bürger wurde so überflüssig, weil nach dieser Philosophie die freien Finanzmärkte die Politik wirkungsvoller kontrollieren konnten. Das war leider auch wahr. Genau das gehört zu den Ursachen der Finanzkrise.

Demokratie ist eine Gemeinschaft, die ihre Zukunft miteinander gestaltet. Die Dirigenten der Finanzmärkte haben sich aus diesem Miteinander ausgekoppelt. Kraft und Zukunft demokratischer Politik hängen nun davon ab, diese Entwicklung zu revidieren und Regularien für die Märkte durchzusetzen. Dies ist die eigentliche Aufgabe bei den Treffen der Politiker der Industrienationen.

Die gewaltigen Geldmittel, welche die Demokratien zur Stabilisierung der Finanzsysteme zur Verfügung stellen sollen, sind also an Kautelen zu knüpfen, die zur Stabilisierung der Demokratie beitragen und das Vertrauen in demokratische Gestaltungskraft herstellen. Der regulierte Finanzmarkt ist eine Satansmühle. Die Demokratien können dort nicht ihr Geld hineinwerfen und dann zuschauen, wie sie sich auf die alte Weise weiterdreht.

Das Urbild des Markplatzes kennt jeder: Er ist umrahmt von Kirche, Krankenhaus, Rathaus, Wirtshaus und Schule. Ohne diese regelnden Institutionen hätte es nie einen Marktplatz gegeben. Man kann dieses simple Bild auf den Markt von heute übertragen. Und dann kann man sich fragen, was auf diesem Markt wieder Vertrauen schafft. Da wären auch ein paar symbolträchtige Handlungen deutscher Großmanager nicht schlecht.

Der US-Milliardär Warren Buffett spendet und spendet. Solche Spendabilität ist in Deutschland nicht bekannt geworden. Auch die Kultur des Rücktritts ist in der hiesigen Wirtschaft wenig ausgebildet. Der Chef von Hypo Real Estate tut, als ob nichts wäre. In den USA hat der Chef des US-Versicherers AIG auf seine 22-Millionen-Abfindung verzichtet, als sein Sanierungsplan zusammenbrach. Er verzichtete, obwohl er erst drei Monate im Amt war und für die Krise nichts konnte. Deutsche Banker und Großmanager verzichten auf nichts. Ohne Verzicht wird ihnen Vertrauen nicht mehr zuwachsen. Sie stehen unter demokratischer Bewährungsaufsicht.

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Quelle:
SZ vom 06.10.2008/hgn
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