Finanzkrise: Firmen ohne Kredit:Angst vor dem Schrott

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Die Finanzbranche rechnet mit einer Pleitewelle - und verschärft die Krise. Geldgeber verlangen von Firmen Rekordsummen für Finanzierungen. Der Markt trocknet aus, Schrottanleihen sind unverkäuflich.

Carsten Matthäus

"Wir sollten uns nicht auf eine schöne neue Welt einstellen, sondern auf eine Welt voller Schafe", schrieb Bill Gross, Anlagestratege der Allianz-Tochter Pimco, kürzlich in seinem Anleger-Ausblick. In dieser Welt werden die Unternehmen Gross zufolge ihre Gewinne nicht mehr mit billiger Finanzierung machen können. Alle Markteilnehmer würden langsamer und vorsichtiger agieren - schafsgleich eben.

Vom Bullen zum Schaf: Das Vertrauen in die Kreditwürdigkeit von Unternehmen ist fundamental erschüttert. (Foto: Foto: dpa)

Dieses Szenario ist fast schon von der Wirklichkeit überholt. Bei der Kreditvergabe sind Vertrauen und Risikobereitschaft Fremdworte geworden. Experten in Deutschland sprechen bereits von einer Kreditklemme. Laut einer aktuellen Umfrage des Kreditinformationsverbandes Creditreform gibt ein Drittel der Unternehmen an, dass es für sie schwieriger geworden ist, Kredite zu bekommen. Den Motoren der Wirtschaft wird damit das wichtigste Schmiermittel entzogen: Geld.

Im Baugewerbe sieht sich sogar mehr als die Hälfte von der Finanzkrise direkt betroffen. Norbert Irsch, Chefvolkswirt der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), erwartet überdies eine deutlich nachlassende Aktivität des Kreditneugeschäfts der Banken. "Die Finanzierungsbedingungen für die Unternehmen in Deutschland sind im dritten Quartal noch einmal schwieriger geworden und eine weitere Verschärfung ist zu erwarten", sagte er dem Handelsblatt. Nach Berechungen der KfW-Volkswirte könnte das Kreditneugeschäft mit Beginn 2009 sogar schrumpfen.

Noch viel dramatischer ist die Situation auf dem Markt für Firmenanleihen. In normalen Zeiten verschulden sich hier die Unternehmen über verzinsliche Wertpapiere direkt bei Investoren. Zusätzlich werden diese Wertpapiere gehandelt - je nachdem, wie sich die Finanzkraft und damit das Kreditrisiko des Unternehmens verändert.

Das Drama bei den Anleihen

Ist das Ausfallrisiko hoch, steigen auch die Risikoaufschläge und damit die Gewinnspanne für die Investoren. Anleihen mit hohem Risiko - sogenannte Junk Bonds - werden dann wieder gebündelt und zum Verkauf angeboten.

Dieser Markt ist nach Auskunft der Finanznachrichtenagentur Thomson Reuters in Europa vollständig zum Erliegen gekommen. Im November wurde keine einzige solcher Schrottanleihen neu angeboten. Anders gesagt: Kein Investor glaubt momentan daran, das sich irgendein Unternehmen in naher Zukunft von seiner Zahlungsschwäche erholen wird. Und weil das so ist, droht in der Realwirtschaft tatsächlich Schrott - die Folgen könnten viele Pleiten sein.

Ein Zutrauen der Finanzbranche in die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft ist aber für die Unternehmen überlebenswichtig. In den kommenden 18 Monaten werden Firmen weltweit rund vier Billionen Dollar an Schulden zurückzahlen oder umschulden müssen - die gigantische Summe entspricht dem Bruttosozialprodukt Japans.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum die Investoren derzeit kein Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit der Unternehmen entwickeln.

Dass es mit dem Vertrauen der Investoren gerade gar nicht gut aussieht, zeigt der Blick auf einen anderen Markt - den der sogenannten Credit Default Swaps. Hier verlangen Investoren jährliche Prämien, um bei Zahlungsunfähigkeit den Kredit an Stelle des Unternehmens zu bezahlen.

Einer der wichtigsten Indikatoren dieses Marktes ist der iTraxx Crossover index. Dort wird das Ausfallrisiko der Kredite von 50 großen Unternehmen bewertet, deren Zahlungsfähigkeit in Gefahr ist. Davon betroffen sind beispielsweise der britische Stahlriese Arcelor Mittal, der französische Baukonzern Lafarge oder der deutsche Autozulieferer Continental. Der Index hat im November die Marke von 1000 Basispunkten überschritten - und das im Eiltempo.

Vereinfacht gesprochen ist nun ein Kredit von 10 Millionen Euro nur noch dann für fünf Jahre abzusichern, wenn dafür jährlich eine Million Euro an Versicherungsprämie bezahlt wird. Anfang November hätte die erforderliche Jahresprämie noch bei 700.000 Euro gelegen - und vor der Kreditkrise wären 200.000 Euro pro Jahr genug gewesen, um den 10-Millionen-Kredit zu versichern. Anders gesagt: Es kostet immer mehr Geld, Geld zu bekommen. Und das in einer Situation, in der gilt: "All you need is cash" ( Economist).

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Neill McLeish, Kreditexperte der Bank Morgan Stanley, sieht eine Verlagerung der Finanzkrise in die Realwirtschaft. "Dies zeigt, dass der Markt nun eher einen Einbruch der Realwirtschaft und einen Anstieg der Firmenpleiten befürchtet als eine Krise des Finanzsektors", sagte er der Financial Times.

Auch dafür gibt es genug Anzeichen. In Deutschland ist der Ifo-Geschäftsklimaindex im November auf den niedrigsten Stand seit mehr als 15 Jahren abgerutscht. Er fasst die Geschäfserwartungen der Unternehmen in Deutschland zusammen.

Für die Erwartungen der Firmen in der Eurozone gilt der Einkaufsmanager-Index (PMI) als verlässliche Kennzahl. Rechnen die Einkaufsmanager mit einer ansteigenden Produktion, dann liegt dieser Index über 50, bei einer Verminderung der Produktion liegt er darunter. Im November fiel der europäische PMI auf 38,9 - dem tiefsten Stand seit Beginn der Erhebungen vor rund einem Jahrzehnt.

Noch dramatischer wird die Situation in den USA beurteilt. John Lonski, Chefökonom der Ratingagentur Moody's, prognostiziert sogar, dass die derzeitige Kreditkrise noch schlimmer werden könnte als während der Großen Depression im Jahr 1933. Seiner Prognose zufolge werden die Gläubiger auf 21 Prozent der Unternehmenskredite in den USA sitzenbleiben, 1933 habe die Ausfallrate Lonski zufolge "nur" bei 15,4 Prozent gelegen.

Würde dieses Horrorszenario eintreffen, wäre 2009 die Wirtschaftswelt nicht nur voller Schafe - sie wäre noch dazu vollständig gelähmt.

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