Süddeutsche Zeitung

Finanzkrise:Die Politik muss bei der Bankenrettung ehrlich sein

Nur widerwillig informiert die Bundesregierung über Milliardenkosten für die Steuerzahler. Wer so agiert, darf sich nicht wundern, wenn Verschwörungstheorien kursieren.

Kommentar von Claus Hulverscheidt, New York

Es geht also um 59 Milliarden Euro. Das ist jene kaum vorstellbare Summe, die nach zehn Jahren Bankenrettung für den deutschen Steuerzahler unter dem Strich steht - 1000 Euro pro Erwachsenem, vom Teenager bis zum Greis. Die Zahlen sind Wasser auf die Mühlen all derer, die seit jeher behaupten, in Deutschland sei offenbar genug Geld für Banken und Migranten da, für alles andere aber nicht. Nicht für den Osten, nicht für die Rentner, nicht für die Rettung der Meere.

Dahinter steckt der Glaube, dass 2008, nach dem Kollaps der US-Bank Lehman Brothers, eine Clique aus Politikern und Bankern in Berlin die Köpfe zusammensteckte und beschloss, sich auf Kosten der Bürger schadlos zu halten. Es genügt, die Protokolle der damaligen Treffen nachzulesen, um zu wissen, dass es ganz anders war: Es wurde gezetert, gestritten, gerungen. Am Ende mussten Kanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück entscheiden, ohne das ganze Ausmaß der Misere zu überblicken oder sich an früheren Lösungsplänen orientieren zu können.

Vor diesem Hintergrund sind sechs Milliarden Euro pro Jahr womöglich gar nicht so viel Geld. Es hat schon sinnlosere politische Entscheidungen gegeben, die ähnlich viel kosteten. Vor allem aber wurde damals eine Kernschmelze des Finanzsystems verhindert, die eine jahrelange Rezession mit Massenarbeitslosigkeit nach sich gezogen und zehn-, vielleicht hundertfachen Schaden angerichtet hätte.

Fakt ist, dass es nie darum ging, die Banken oder gar die Banker zu retten. Gerettet wurde jener Umverteilungsmechanismus aus Einlagenverwaltung und Kreditvergabe, der den Kern des Bankgeschäfts ausmacht und ohne den keine große Volkswirtschaft der Welt funktionieren kann. Gerettet wurden jedoch auch und vor allem die Kunden, deren Sparguthaben sich ganz oder teilweise in Luft aufgelöst hätten, hätte der Staat ein Institut nach dem anderen in die Pleite geschickt.

Vergleicht man das Vorgehen der damaligen Bundesregierung mit dem der Amerikaner, dann stellt sich eher die Frage, ob Merkel und Steinbrück nicht noch mehr Geld hätten in die Hand nehmen müssen. Die USA nämlich, sonst Weltheimstatt des Kapitalismus, zwangen ihren Banken Milliardensummen an Steuergeldern auf, verstaatlichten sie jedoch im Gegenzug, feuerten die Vorstände und stießen die Institute später mit Gewinn wieder ab.

Die Deutschen dagegen führten erst einmal eine lange Grundsatzdebatte, ob die Regierung Firmen überhaupt verstaatlichen darf oder ob damit das Prinzip der Ordnungspolitik, das Andenken an Ludwig Erhard oder irgendein anderes Gedankenkonstrukt beschädigt würde. Am Ende stand, mit der Ausnahme HRE, ein Mix aus Staatsgarantien und stillen Einlagen - mit dem Ergebnis, dass die Commerzbank bis heute kränkelt und die Deutsche Bank, deren Chef Josef Ackermann Staatshilfen damals in schier unerträglicher Arroganz ablehnte, mittlerweile der kranke Mann der Finanzwelt ist. Natürlich kann Pragmatismus, wie ihn die Amerikaner vorleben, auch in Beliebigkeit münden. Die Prinzipienreiterei der Deutschen jedoch zögert das Ausrücken der Nothelfer oft so lange hinaus, bis der Patient tot ist.

Für die nächste Krise ist nicht vorgesorgt

Was man der Politik zehn Jahre danach vorwerfen kann, ist, dass sie nicht genug getan hat, um die Verantwortlichen der Krise finanziell und juristisch zur Rechenschaft zu ziehen und sich für den nächsten Sturm zu rüsten. Zwar sind die großen Geldhäuser der Welt heute mit viel mehr Kapital ausgestattet als 2008, allerdings um den Preis, dass Teile ihres Geschäfts - und zwar die gefährlicheren - in die unregulierte Welt der Schattenbanken abwanderten. Man kann fast darauf wetten, dass die nächste Krise hier ihren Ursprung haben wird. Auch fehlen bis heute eine Finanztransaktionssteuer, ein Verbot des Hochfrequenzhandels und eine effiziente Begrenzung von Managergehältern.

Vor allem aber mangelt es weiter an Offenheit: Warum etwa gibt es immer noch keine einfache Webseite, auf der die Krisenkosten aufgeschlüsselt und begründet werden? Stattdessen bedurfte es einmal mehr der offiziellen Anfrage eines Bundestagsabgeordneten, um die Regierung zur Herausgabe von Zahlen zu bewegen. Wer so agiert, darf sich nicht wundern, wenn Verschwörungstheorien fröhliche Urstände feiern - etwa jene, wonach die Banken das Geld nur so nachgeworfen bekamen, das jetzt angeblich für den Osten, die Rentner und die Rettung der Meere fehlt.

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SZ vom 14.09.2018/vd
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