Süddeutsche Zeitung

Finanzkriminalität:"Versagen in allen Bereichen"

Die internationale Überprüfung Deutschlands zur Güte der Geldwäschebekämpfung wurde verschoben. Experten rechnen schon jetzt mit dem Schlimmsten.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) ruft immer wieder auf zum energischen Kampf gegen die Finanzkriminalität. "Geldwäsche und Steuerbetrug sind illegal. Wir schaden uns allen und werden uns niemals damit abfinden", sagt der Kanzlerkandidat und unterstreicht, dass dafür die deutschen Behörden stark und die Gesetze scharf genug sein müssten. Sind sie das? Im März sollte dazu eigentlich eine Überprüfung beginnen, ausgeführt vom Team des obersten internationalen Anti-Geldwäsche-Gremiums Financial Action Task Force (FATF). Doch wegen der Pandemie hat das Gremium seine Vorort-Besuche in Deutschland um unbestimmte Zeit verschoben.

Scholz könnte dadurch in diesem Bundestagswahljahr einer Blamage entgehen, denn auch die FATF-Experten dürften die beiden aktuellen Berichte des Bundesrechnungshofs zur Qualität der deutschen Geldwäschebekämpfung gelesen haben. Die Rechnungsprüfer untersuchten zunächst die Arbeit der Zoll-Behörde Financial Intelligence Unit (FIU). Dort laufen alle Geldwäscheverdachtsmeldungen zur Prüfung ein. Der Bundesrechnungshof stellte unverblümt fest: "Die FIU kann die in sie gesetzten Erwartungen nur unzureichend erfüllen." Der Behörde fehle der vollständige elektronische Zugriff auf die relevanten Polizei- und Steuerdaten der Behörden. "Daher kann die FIU Verdachtsmeldungen und sonstige Informationen qualitativ nicht zuverlässig bewerten." Der Bundesrechnungshof untermauert damit die seit Jahren anhaltend scharfe Kritik an der FIU. Inzwischen ermittelt dort sogar die Staatsanwaltschaft Osnabrück wegen Strafvereitelung im Amt.

Die Gefahr von Geldwäsche wird oft unterschätzt. Doch die illegalen Geldströme sind eine ernsthafte Bedrohung für die globale Sicherheit, stellte die Münchner Sicherheitskonferenz 2019 fest. Das gilt nicht nur wegen der Terrorismusfinanzierung. Der Internationale Währungsfonds schätzt das jährliche Geldwäschevolumen weltweit auf vier Billionen Dollar. Nur ein Prozent dieses Betrags können die Behörden sicherstellen. Die illegalen Einkünfte aus dem internationalen Drogen-, Waffen- und Menschenhandel werden in die legale Wirtschaft geschleust. Die kriminellen Banden unterwandern mit dem Geld aus dunklen Quellen die Gesellschaft, denn sie erwerben Firmen, Häuser und damit auch politischen Einfluss. Italienische Staatsanwälte warnen seit Jahren, dass die Mafia ihre Vermögen in Deutschland wäscht.

In Deutschland taxiert man das Schwarzgeld auf jährlich 100 Milliarden Euro, rund 30 Milliarden davon fließen laut Schätzung in den Immobilienmarkt. Die Nachfrage der Kriminellen erhöht die Häuserpreise weiter. Die Berliner Ermittlungsbehörden beschlagnahmten 2018 insgesamt 77 Immobilien einer arabischen Großfamilie, mit dem Verdacht, die Immobilien seien mit Geld aus Straftaten bezahlt worden. Zwei der Häuser gehören nun dem Land Berlin. Doch solche Beschlagnahmungen sind aufgrund der juristischen Hürden immer noch die Ausnahme.

Die Behörden müssen Maklern und Autohändlern genauer auf die Finger schauen

Die Immobilienbranche, Casinos, Juweliere, Auto- und Edelmetallhändler sowie Rechtsanwälte und Notare gehören zu den sogenannten Verpflichteten im Nichtfinanzsektor. Diese Berufsgruppen müssen, wie die Banken auch, bei der FIU Meldung erstatten, wenn ihnen bei einem Geschäft etwas verdächtig vorkommt. Während Banken häufig melden, kommt aus dem Nichtfinanzsektor kaum etwas. Die Aufsichtsbehörden müssten den meldepflichtigen Maklern und Autohändlern deshalb viel genauer auf die Finger schauen. Doch der Bundesrechnungshof konstatiert in seinem zweiten Bericht, dass es viel zu wenig Personal gebe. Die Aufsicht im Nichtfinanzsektor entspreche "nicht den gesetzlichen Anforderungen". Im Jahr 2019 hätten die bei den Aufsichtsbehörden der Länder beschäftigten 216 Mitarbeiter exakt 3071 Kontrollen vor Ort bei den Betrieben durchgeführt. Bei einer Gesamtzahl der möglichen Verpflichteten von mehr als 1,1 Millionen "müsste ein Verpflichteter durchschnittlich nur höchstens alle 200 Jahre mit einer Vor-Ort-Prüfung rechnen".

"Die Berichte des Bundesrechnungshofes sind deshalb so bemerkenswert, weil sie das Versagen der verantwortlichen staatlichen Organe in allen Bereichen des Geldwäschegesetzes seit dessen Inkrafttreten im Jahr 1993 bestätigen", sagt Andreas Frank. Der Experte für die Bekämpfung der Geldwäsche und Terrorfinanzierung hat als Sachverständiger für den Bundestag in vielen Gutachten immer wieder auf die bestehenden Defizite hingewiesen. Bei der Europäischen Kommission hat Frank seit 2004 insgesamt fünf Beschwerden gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Nichtumsetzung der Europäischen Anti-Geldwäscherichtlinie eingereicht. Zwei Mal kam es zu einem Vertragsverletzungsverfahren, in deren Verlauf die Bundesregierung Versäumnisse, gerade bei der Beaufsichtigung des Nichtfinanzsektors, einräumen musste. Doch verbessert wurde, wie die Berichte des Bundesrechnungshofs nun belegen, wenig. Das zeigte auch der Fall Wirecard: Das Hin und Her zwischen der Regierung Niederbayern und der Finanzaufsicht Bafin, wer für die geldwäscherechtliche Beaufsichtigung der inzwischen insolventen Betrugsfirma zuständig war, machte die Defizite bei der Kontrolle deutlich. "Die Bundesregierungen der letzten 27 Jahre haben Geldwäsche und damit die Organisierte Kriminalität und die Finanzierung des Terrors toleriert", sagt Frank.

Der Bundesrechnungshof empfiehlt der Bundesregierung nun die Einführung einer gesetzlichen Bargeldhöchstgrenze im Handel, um Geldwäscheaktivitäten zu verringern. In vielen europäischen Nachbarländern ist das bereits Usus. Doch Bundesfinanzminister Scholz hält davon nichts. Deshalb dürfen in Deutschland bis zum heutigen Tag Immobilien im Wert von Hunderttausenden oder Millionen Euro mit einem Koffer voller Bargeld bezahlt werden.

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