Finanzbranche:Die verlorene Ehre der Investmentbanker

Finanzbranche: Szene aus "Wolf of Wall Street": Leonardo DiCaprio spielt darin zwar keinen Investmenbanker, sondern einen Anlagebetrüger, aber die Stereotype über beide sind die selben.

Szene aus "Wolf of Wall Street": Leonardo DiCaprio spielt darin zwar keinen Investmenbanker, sondern einen Anlagebetrüger, aber die Stereotype über beide sind die selben.

(Foto: Mary Cybulski/Universal/dpa)

Vom Olymp in die Gosse: Kein Beruf hat seit der Finanzkrise so sehr an Ansehen verloren wie der des Investmentbankers. In der Realität treffen längst nicht auf alle die Stereotypen vom geldgierigen Zocker zu. Ein Besuch in der Branche.

Von Alexander Hagelüken

Wie Philipp Reimnitz da in den Raum tritt, sieht er aus, wie sich die Leute einen Banker vorstellen. Dunkler Anzug, kariertes Hemd, die Haare schnittig rübergelegt, besser kriegt es Leonardo DiCaprio in Martin Scorseses neuem Film über die Finanzwelt auch nicht hin. Den Dank des Reporters für den Termin erwidert Reimnitz mit einem sarkastischen Dank dafür, dass der Besucher verspätet auftaucht. Zeit ist Geld für einen Investmentbanker, in dieser Turbobranche wartet schon der nächste Millionen-Deal, so kennt man das aus all den Filmen.

Dann platziert der 51-Jährige eine große Plastikflasche auf dem Tisch im Hauptquartier der Hypovereinsbank. Er möchte betonen, dass er sein eigenes Wasser mitbringt. Selbst gekauftes Wasser, hallo? Kein Champagner aufs Spesenkonto? Offenbar gerät da einiges in Bewegung in dieser Finanzwelt.

Investmentbanker als Schimpfwort

Wohl selten stürzte ein Beruf so schnell vom Olymp in die Gosse wie jetzt der des Bankers, speziell: Die Investmentbanker. Seit den Achtziger Jahren galten sie als "Masters of the Universe", wie sie Tom Wolfe in seinem Roman "Bonfire of Vanities" tauft. Rasante Dealmaker, die im Zweifel noch ein paar Millionen mehr verdienen als der Chef der eigenen Bank. Bis ein paar zu rasante Deals die Welt vor fünf Jahren in die Finanzkrise drängten, die Steuerzahler zahlen mussten - und Investmentbanker zum Schimpfwort wurde. Vom noblen Bankier zum Bankster, der nicht nur klingt wie der Gangster. So sind sie, die Banker. Sind sie so?

Philipp Reimnitz erwähnt Tom Wolfes Roman selbst, als er über Charakterisierungen seiner Branche redet. Dann fragt er unerwartet: "Kennen Sie die Vorlage dafür?" William Thackeray, Vanity Fair. "Lesen Sie das mal. Das ist viel böser und viel besser". Ein Dealmaker, der Literatur aus dem 19. Jahrhundert zitiert? Na gut, Intelligenz sprach den Karrieristen der Branche nie jemand ab. Die Wall Street warb ja ganze Jahrgänge von Naturwissenschaftlern der amerikanischen Eliteunis ab, die all die Wertpapiere konstruierten, die die Allgemeinheit später so teuer kamen. Aber wer sich eine gute Stunde mit Reimnitz unterhält (danach wartet natürlich der nächste Termin), der merkt bald, dass sich die Finanzwelt vielleicht doch nicht nur mit Stereotypen erfassen lässt.

Klar, Reimnitz ist Investmentbanker, und nicht irgendeiner. Als Bereichsvorstand der Großbank HVB verantwortet er das Geschäft mit 250 weltweit agierenden Firmen. Vergabe von Krediten, Börsengänge oder Platzierung einer Anleihe, wenn sich ein Konzern Geld von Anlegern holen will. Reimnitz sagt, dass er sich nicht als Teil all des Negativen sieht, das über seine Branche gesagt wird. Dass sein Job der Volkswirtschaft nütze, weil er und seine Leute Konzerne wie Siemens bei der Expansion in die Welt begleiten. Dass er 19 Jahre in der Projektfinanzierung von Flughäfen, Kupferminen oder Pipelines arbeitete, die etwa so stark unter Zockverdacht steht wie ein Sparbuch. Projektfinanzierung? Wenn er das hören könnte, würde Anlagebetrüger Leonardo DiCaprio im Wolf of Wall Street verächtlich auf den Boden spucken.

Große Unterschiede zwischen einzelnen Geldhäusern und Bankern

Die Wahrheit ist, dass es in der Branche große Unterschiede gibt, nicht nur zwischen internationalen Geldhäusern und Sparkassen. Schon der Habitus von Wall-Street-Machern hebt sich von vielen Bankern aus Kontinentaleuropa ab. "Materieller Wohlstand gilt hierzulande schon lange nicht mehr als Statussymbol", sagt Reimnitz. Er kommt jeden Morgen mit dem Fahrrad zur Arbeit.

Wer näher ran will an die Wahnsinnigkeiten der Branche, der muss Reimnitz' Besprechungsraum verlassen. Und zum Beispiel in den Schweizer Bergen anrufen, in Klosters. Bei Rudolf Wötzel, jahrelang bei der Deutschen Bank, anschließend bei Lehman Brothers, deren Pleite die Finanzkrise auslöste. Wötzel war ein Investmentbanker, der nicht mit dem Fahrrad kam. Er saß in Bars und ließ die Schlüssel seines Porsche durch die Finger gleiten, um Frauen zu beeindrucken.

"Ihr seid Dreck"

Im Sommer 2001 empfahl Wötzel einer deutschen Konzernchefin, für ein paar hundert Millionen Euro einen Rivalen zu übernehmen. Übers Wochenende, wenn der Vorstandschef den Opernball besucht, machtlos gegen die Attacke. Am 11. September fliegen Terroristen in die New Yorker Türme, die Börse kippt, der Rivale lässt sich noch billiger schlucken. Ein Wirtschaftsmagazin feiert den Coup als "Deal des Jahres".

Wötzel arbeitet Nächte und Wochenenden durch. "Ihr seid Dreck", brüllt der Lehman-Chef seine Manager an. Gleichzeitig verspricht er Ihnen, sie würden "filthy rich", stinkend reich. Wasser oder Champagner, das war hier keine Frage. Wötzel verdient in manchen Monaten 80.000 Euro.

Von Lehman Brothers in die Berghütte

Wenn er die Summe heute hört, muss er lachen. 80.000 sind immer noch sein Ziel. Aber jetzt im ganzen Jahr. Er ist ausgestiegen, betreibt bei Klosters eine Berghütte, berät andere Manager, die auch ihr Leben ändern wollen. Den 50-Jährigen zu fragen, wie es ihm inzwischen geht, ist keine Floskel. Denn als Investmentbanker ging es ihm am Ende schlecht. Er wurde so krank, wie manche Geschäfte seiner Branche waren. Immunschwäche, Bandscheibe, ständig Viren. Heute fühlt er sich ausgezeichnet, sagt er. "Ich bin für die Krankenkassen keinerlei Belastung mehr. Ich zahle nur noch ein." Das Treiben vieler Banker früher erinnert ihn an Roulette in extremer Form, um maximalen Gewinn. "Ob es langfristig funktioniert, war egal."

Die beunruhigendste Frage für die Gesellschaft ist, wie viel Roulette heute noch in der Branche steckt. Politiker in den USA und Europa unterwerfen die Banken neuen Gesetzen. Die halten manche in den Banken für viel zu streng. Kritiker aber halten sie für viel zu lax, um den nächsten Finanzcrash zu verhindern.

Fragt man Philipp Reimnitz in seinem Besprechungsraum, nennt er die neuen Gesetze einen Reflex auf das, was die Banken angestellt hätten. "Maßlose Sachen, wie beispielsweise riskanter eigener Handel mit Wertpapieren. Man ist da Dingen hinterhergerannt." Und er wundert sich im Nachhinein, wie wenige die Vorgabe des damaligen Deutsche-Bank-Chefs Josef Ackermann kritisiert haben, der einen Gewinn von 25 Prozent des Eigenkapitals forderte.

Negatives Image greift auf Privatleben über

Das inzwischen verheerende Image sei im Privatbereich nicht lustig. Die Geldhäuser müssten erklären, was sie anders machen als früher, sagt er. Neulich traf er einen Chemiemanager. Der erzählte ihm, wie katastrophal die Branche vor einiger Zeit dastand, nach fahrlässigen Unfällen wie im indischen Bhopal. "Haben Sie in den vergangenen Jahren was Negatives über die Chemiebranche gehört?", fragt er und antwortet gleich selbst: "Nein. Die haben sich zusammengetan und gemeinsam was verändert". Auf so eine Weise könne es auch den Banken gelingen, sich bei der Gesellschaft zu rehabilitieren. Dazu gehört für ihn auch, die Boni einzuschränken, die viele Bürger ärgern. "Sie dürfen die Leute nicht zu gierig werden lassen."

Die Banken haben seit der Finanzkrise zehntausende Mitarbeiter entlassen, gerade Investmentbanker. Teilweise lässt sich einfach nicht mehr so viel verdienen wie in den Hochrisiko-Zeiten. Manche Geldhäuser ziehen sich aus fernen Ländern zurück, eine Regionalisierung, die für Reimnitz auch die Gefahren reduziert: "Unsere Mitarbeiter kennen ihren Markt. Dass sie bei der Einschätzung fundamentaler Risiken daneben liegen, ist sehr unwahrscheinlich."

Zweifel am "Kulturwandel"

Ist also alles auf dem Weg zur Besserung in der Finanzbranche? Oder wenigstens das meiste? Rudolf Wötzel in den Schweizer Bergen ist da etwas skeptischer. Fragt man ihn etwa nach dem "Kulturwandel", den die neuen Chefs der Deutschen Bank ausgerufen haben, äußert er seine Bedenken. Sowas könne man nicht von oben herab verkünden. "So etwas lässt sich verdammt schwer durchsetzen gegen die Art von Geschäften, die vorher in den Banken passiert sind." Letztlich, sagt er, muss auch Geld verdient werden. "Und die Konkurrenz bleibt."

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