Steuerermittlungen:"Es geht hier um den deutschen Film"

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Zwei Frauen und ein Mann, der Friedrich Schiller heißt: Szene aus dem Film "Die geliebten Schwestern", der von Bavaria Film mitproduziert wurde. (Foto: WDR/Senator Film/oh)

Die Branche ist in Aufregung, weil die bisherige steuerliche Behandlung von Koproduktionen infrage gestellt ist. Ein Gutachten soll jetzt für Klarheit sorgen und das Bundesfinanzministerium zum Einlenken bewegen.

Von Caspar Busse, München

Ein heißer Sommer im Jahr 1788 und zwei adelige, aber mittellose Schwestern: Die schöne Caroline und die eher schüchterne Charlotte lieben denselben Mann, den berühmten Dichter Friedrich Schiller. Diese 230 Jahre alte Dreier-Liebesgeschichte hatte "Tatort"-Regisseur Dominik Graf derart begeistert, dass er daraus den Kinofilm "Die geliebten Schwestern" machte. 2014 kam die aufwendig inszenierte Dreiecksbeziehung in die Kinos, lief auf der Berlinale und wurde von den Kritikern gelobt. Doch beim Publikum fiel der Film durch, wirtschaftlich war die Produktion in Überlänge (die Kinoversion ist fast zweieinhalb Stunden lang) - man muss es so sagen - ein Flop. Das Budget sei überzogen worden, am Ende standen hohe Verluste, sagt heute Christian Franckenstein, Chef von Bavaria Film, die das Ganze damals mit mehreren Partnern produzierte.

Doch jetzt sind "Die geliebten Schwestern" wieder ein Thema für Franckenstein - und damit auch für die gesamte Branche. Denn der Film ist Teil einer grundsätzlichen Auseinandersetzung zwischen Filmproduzenten und Finanzbehörden. Im Detail geht es um die Besteuerung von sogenannten Koproduktionen, bei denen sich mehrere Produzenten und Geldgeber zusammentun, um gemeinsam einen Film oder auch eine teure Fernsehserie zu produzieren - so wie bei "Die geliebten Schwestern"; der Film wurde von fünf Produktionsfirmen und mithilfe der Filmförderung realisiert. Die zentrale Frage: Wie sollen solche Projekte besteuert werden?

Die Produktion von Filmen ist ein Milliardengeschäft, an dem in Deutschland sehr viele Jobs hängen - in einer Branche, die noch dazu ganz besonders unter der Corona-Epidemie leidet. Die Nachfrage nach guter und damit teurer Ware ist zuletzt gestiegen, seit immer mehr Streamingdienste und TV-Sender gute Inhalte suchen, um damit attraktiv für Zuschauer zu sein.

"Das Problem geht alle an, es betrifft die gesamte Branche, vor allem den Kinobereich, aber auch Fernsehproduktionen", sagt Martin Moszkowicz, Vorstandsvorsitzender von Constantin Film, dem erfolgreichsten Filmproduzenten in Deutschland. Die Branche ist in heller Aufregung. "Es geht hier um die Rahmenbedingungen für den deutschen Film", meint Christoph Palmer, Geschäftsführer der Produzentenallianz, in der sich rund 280 Produktionsfirmen zusammengeschlossen haben.

"Die Streamingdienste bedienen sich einer Struktur, die wir über zig Jahre aufgebaut haben": Martin Moszkowicz, Vorstandsvorsitzender der Constantin Film AG. (Foto: Catherina Hess)

Im Mittelpunkt des Streits steht - einfach gesagt - die Frage, wo und wie mögliche Gewinne versteuert werden müssen. Bei den Partnern der Koproduktion und zwar quotal, also je nach ihrer Beteiligung, so wie es seit langer Zeit üblich ist? Oder bei der für die Koproduktion eigens gegründeten Gesellschaft, wie offenbar einzelne Finanzbehörden zuletzt forderten?

Das würde einen erheblichen Unterschied machen, denn die Produzenten können bislang Gewinne aus gut laufenden Filmen mit Verlusten durch Fehlschläge verrechnen. Dazu kommt, dass am Anfang der Produktion hohe Kosten anfallen, die Erträge aber erst deutlich später in der Auswertung erwirtschaftet werden: im Kino, bei Streaming- und Fernsehanbietern, bei Verleih und Verkauf; oft zieht sich das über Jahre oder Jahrzehnte hin. "Unser Geschäftsmodell basiert genau darauf, dass wir erfolgreiche und nicht so erfolgreiche Filme haben. Wir subventionieren mit wenigen sehr erfolgreichen Filmen viele andere Filme", sagt Moszkowicz. Denn die Realität ist: 2019 kamen etwa 250 Filme, die mit deutscher Beteiligung produziert wurden, ins Kino, aber kaum einer davon wird wirklich auch ein Blockbuster, der hohe Gewinne bringt, wie die Filmkomödie "Das perfekte Geheimnis" oder Hape Kerkelings Autobiografie "Der Junge muss an die frische Luft". Die meisten sind defizitär, wie "Die geliebten Schwestern".

Der Fall ist heikel. Gegen Bavaria Film, mehrheitlich in Besitz der öffentlich-rechtlichen Sender BR, WDR, SWR und MDR, gibt es nach SZ-Informationen seit Februar Ermittlungen der Bußgeldstelle des Finanzamts, gegen Firmenchef Franckenstein und vier weitere aktuelle und ehemalige Mitarbeiter. "Unerwartet wurde die langjährige Veranlagungspraxis der Länderfinanzämter für die ganze Branche infrage gestellt", berichtet Franckenstein. Geprüft wird nun, ob Steuern hinterzogen wurden, also zu wenig gezahlt wurde. Bavaria kooperiere, alles werde durchleuchtet, darunter auch "Die geliebten Schwestern", heißt es. An diesem Beispiel rechneten die Steuerexperten exemplarisch durch, welche Folgen eine andere steuerliche Behandlung hätte. Man befinde sich "im inhaltlichen Austausch mit den Finanzbehörden", sagt Franckenstein.

Sollten sich die Steuerregeln für Koproduktionen ändern, wäre das "wesens- und lebensfremd und würde auch der Filmförderung nicht gerecht", sagt Chef-Lobbyist Palmer. Eine gemeinsame Filmproduktion sei eben "eine Ad-hoc-Partnerschaft" und keine eigenständig steuerpflichtige Gesellschaft. "Es hat in der Vergangenheit - so weit ersichtlich und der Produzentenallianz bekannt - kein Missbrauch dieser Steuerregelungen stattgefunden", betont der ehemalige CDU-Politiker.

Nach Schätzungen der Produzentenallianz gibt es in Deutschland rund 1000 Koproduktionen im Jahr, darunter viele kleine, aber auch große Filme oder Fernsehserien wie "Babylon Berlin".

Die erfolgreiche Serie "Babylon Berlin" ist auch eine deutsche Koproduktion mit mehreren Partnern. (Foto: Sky Deutschland/obs)

Der Vorteil: Mehrere, auch ausländische Partner können das Risiko der Produktion gemeinsam übernehmen, so ein größeres Volumen ermöglichen und auch für den internationalen Markt produzieren. "Die Koproduktion gilt ja schon lange als das kulturpolitische Allheilmittel gegen die Übermacht von Hollywood", sagt Constantin-Chef Moszkowicz, seine Firma realisiert pro Jahr zwischen zwölf und 15 Kinofilme, meist als Koproduktion. Hits, die viel Geld einspielen, etwa die drei Filme der "Fack ju Göhte"-Reihe, werden dabei mit Flops verrechnet. "Der Markt für große Kinofilme würde zum Erliegen kommen, weil dann keine Mischkalkulation mehr möglich wäre", sagt Palmer. "Film gehört zum kulturellen Schaffen", meint Bavaria-Manager Franckenstein.

Das Problem ist so brisant, dass die Produzentenallianz zusammen mit dem kleineren Produzentenverband beim Bundesfinanzministerium interveniert hat. Jura-Professor Wolfgang Schön, Direktor beim Max-Planck-Institut für Steuerrecht und öffentliche Finanzen in München, hat in ihrem Auftrag ein 95-seitiges Rechtsgutachten verfasst. Darin kommt er zu dem Schluss, dass "den betriebswirtschaftlichen Besonderheiten der Filmwirtschaft" Rechnung getragen werden müsse. Koproduktionen seien nur "unselbständige Elemente der Gewerbebetriebe der involvierten Koproduzenten", Gewinne und Verluste müssen damit bei den Partnern verrechnet werden können, also auch weiterhin diese Art von Steuerprivileg erhalten.

Ende Oktober hat Rolf Bösinger, Staatssekretär bei Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), ein einseitiges Schreiben an die Produzentenallianz verschickt. Die Besteuerung von Filmfirmen sei derzeit "kein Arbeitsschwerpunkt", heißt es darin schwammig, die zuständigen Länder seien mit den Einzelfällen betraut; betroffen sind die fünf wichtigen "Film"-Bundesländer Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Berlin und Brandenburg. "Über die Besteuerung von Filmproduktionen wird auf der Grundlage der innerhalb der Finanzverwaltung abgestimmten Besteuerungsgrundsätze entschieden", teilte ein Ministeriumssprecher mit. Änderungen seien aktuell nicht geplant.

Was das bedeutet, prüfen die Beteiligten. Die Formulierungen seien "wachsweich", klagen manche. Das bedeute keine grundsätzliche Ausnahme für die Branche, immerhin könnte aber womöglich die frühere Praxis der Besteuerung weitergeführt werden. Für Bavaria Film und "Die ungeliebten Schwestern" würde das bedeuten: Die Verluste aus dem Prestigeobjekt wurden zu Recht mit anderen Gewinnen verrechnet. Weitere Gespräche sollen geführt werden. Noch sind die Beteiligten vorsichtig, wie sie verfahren können. Schon Friedrich Schiller sagte: "Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben."

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