Süddeutsche Zeitung

Fiat übernimmt Chrysler:Autowunderland Italien

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Investitionen. Wachstum. Jobs. Die Italiener jubeln ob der Übernahme Chryslers durch Fiat. Die Frage ist nur: Ist der Erfolg Fiats wirklich ein Erfolg Italiens?

Ein Kommentar von Stefan Ulrich

Italien ist nicht nur ein Krisenstaat, sondern auch ein Land der Heiligen und Wunder. Das darf die Nation gerade wieder erleben. Der Heilige heißt diesmal Sergio Marchionne, das Wunder wird Fiat genannt. Vor zehn Jahren, als Marchionne Chef des Turiner Autokonzerns wurde, stand das Unternehmen am Abgrund. Vor fünf Jahren fühlte sich Fiat dann bereits fähig, den US-Autoriesen Chrysler zu retten. Jetzt übernimmt Fiat seine Tochter Chrysler komplett. Die Unternehmen verschmelzen, und der Heilige Sergio macht sich daran, einen globalen Großkonzern zu schaffen, der auf allen Kontinenten vorfährt.

Fiat lux? In Italien wird nun jedenfalls gejubelt. Politiker, Unternehmer und Gewerkschaftsbosse preisen die Strategie Marchionnes und träumen von den Vorteilen, die das Land daraus ziehen werde. Investitionen. Wachstum. Jobs. Die Italiener scheinen sich wieder einmal zu beweisen, dass ihnen in großer Not Geniestreiche gelingen und sie stets in der Lage sind, sich aus dem Sumpf zu ziehen.

Die Frage ist nur: Ist der Erfolg Fiats auch ein Erfolg Italiens? Früher hätte sich dies von selbst verstanden. Die Fabbrica Italiana Automobili Torino, 1899 von Giovanni Agnelli senior gegründet, symbolisierte den Aufstieg Italiens vom armen Agrarland zur Industrienation. Fiat schuf Fabriken und Arbeitsplätze und machte die Italiener mobil - mit flotten Käfern wie dem 500. Die Politik unterstützte Fiat, und Fiat half der Politik, etwa durch Fabrikgründungen im Mezzogiorno. Zugleich prägte der Konzern die Marke Italia mit, das Bild eines clever-charmanten Aufsteigers mit Stilgefühl und Lebenslust.

Italien und Fiat, das war Schicksalsgemeinschaft und Entwicklungsmodell. Davon ist wenig übrig. Zwar hat Marchionne versprochen, die Standorte im Land zu erhalten. Er hat aber auch schon gesagt, ohne Italien stünde Fiat besser da. Zudem drohte er, Fiat werde Investitionen stoppen, falls Italien den Euro-Raum verlasse.

Wenn Fiat heute verhältnismäßig gut läuft, dann wegen Chrysler, das seit einigen Jahren reüssiert. Der Turiner Mutterkonzern selbst kämpft dagegen mit dem schwachen Verkauf seiner Autos und der geringen Auslastung seiner Werke in Italien. Der ineffiziente, überbürokratisierte Staat, hohe Steuern, ein veraltetes Bildungssystem und zum Teil kompromisslose Gewerkschafter machen den Standort Italien unattraktiv. Immer wieder wird spekuliert, Marchionne könnte den Hauptsitz des Unternehmens bald aus Turin weg ins Ausland verlegen, womöglich in die USA; und wenn der neue Großkonzern nun an die Börse geht, dann wohl eher nicht in Mailand, sondern in New York.

Die Verschmelzung mit Chrysler beschleunigt die Loslösung Fiats von seinem Heimatland. Der neue Konzern wird sich dorthin wenden, wo er Gewinne macht, und das ist zurzeit Amerika. Wenn die Italiener nicht aufpassen und endlich ihren Staat modernisieren, werden sie bald einer weiteren Verwandlung beiwohnen: Aus Fiat wird dann Faad - die Fabbrica Americana Automobili Detroit.

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Quelle:
SZ vom 03.01.2014
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