Fernstrecken haben Vorrang:Ausbau von S-Bahnen und Regionallinien gefährdet

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Die Bundesregierung will dem öffentlichen Nahverkehr bis zu eine Milliarde Euro pro Jahr entziehen. Von den Mitteln soll stattdessen das Schienennetz der Bahn profitieren. Bayerns Verkehrsminister Wiesheu ist entsetzt.

Von Klaus Ott

In der Bundesregierung gibt es seit Monaten geheime Sparpläne für den Nahverkehr. Das Finanz- und das Verkehrsministerium wollen die Mittel für U- und S-Bahnen, Busse und Straßenbahnen deutlich kürzen. Laut einem Vermerk des Verkehrsministeriums haben die beiden Ressortchefs Hans Eichel und Manfred Stolpe schon am 26. Oktober 2004 solche "Anpassungen vereinbart".

S-Bahn in München; Der Bund will weniger zuschustern. (Foto: Foto: ddp)

Die Notiz, die jetzt angefertigt wurde, nennt auch den Grund für die bisherige Geheimhaltung: "Hier ist mit erheblichem Widerstand der Länder zu rechnen." Immerhin soll bis zu eine Milliarde Euro pro Jahr zur Deutschen Bahn umgeschichtet werden, die das Geld für ihr Schienennetz braucht. Das Verkehrsministerium erklärte, zu internen Papieren nehme man nicht Stellung.

"Das ist ein Hammer"

Der bayerische Verkehrsminister Otto Wiesheu (CSU) äußerte sich entsetzt über das Vorhaben der Bundesregierung: "Das ist ein Hammer." Falls in diesem Umfang gekürzt werde, seien in Deutschland keine großen Nahverkehrs-Projekte mehr finanzierbar.

"Der Ausbau des Nahverkehrs in den Ballungsräumen kommt zum Stillstand", sagte Wiesheu der Süddeutschen Zeitung. Als Beispiel nannte er den geplanten zweiten Tunnel für die S-Bahn in München.

Die 16 Bundesländer bekommen aus Berlin derzeit rund 8,5 Milliarden Euro im Jahr für den Nahverkehr. Bund und Länder haben vereinbart, über den größten Teil dieser Mittel im Jahr 2007 neu zu verhandeln. Der Bund soll Vorschläge vorlegen, für die dann allerdings das Einverständnis der Länder nötig ist.

Rätsel

"Wie die Regierung in Berlin für solche Streichpläne unsere Zustimmung bekommen will, ist mir ein Rätsel", sagte Wiesheu. Sparmaßnahmen in diesem Umfang könnten sogar dazu führen, dass die Fahrpläne ausgedünnt und Regionalstrecken stillgelegt werden müssten.

Die Hälfte der 8,5 Milliarden Euro geben die Länder für die S-Bahnen und Regionalzüge aus (die Erlöse aus dem Verkauf der Nahverkehrs-Tickets genügen nicht, um den Zugbetrieb zu finanzieren).

Die andere Hälfte des Geldes wird vor allem in den Ausbau der Nahverkehrsnetze mit neuen Linien sowie zusätzlichen Haltestellen und Parkplätzen investiert. Auf diese Weise sollen mehr Gelegenheiten für Pendler geschaffen werden, die von der Straße auf die Schiene umsteigen.

Überall kräftig sparen

Außerdem erhalten die Deutsche Bahn (DB), kommunale und private Verkehrsunternehmen Fördermittel für den Kauf moderner Fahrzeuge. Die Bundesregierung will hier offenbar überall kräftig sparen, weil ihr ansonsten schon bald viel Geld für das Schienennetz des Staatsunternehmens (DB) fehlt.

Die DB bekommt vom Bund etwas mehr als drei Milliarden Euro pro Jahr. 2,5 Milliarden Euro braucht die Bahn, um das vorhandene Netz zu erhalten und zu sanieren. Die übrigen Mittel fließen in den Aus- und Neubau von Fernlinien, derzeit gibt es hier 66 Projekte.

2007 läuft jedoch ein Programm zur Sanierung der Strecken in der früheren DDR aus, das mit einer Milliarde Euro pro Jahr dotiert ist. Von 2008 an könnte das Verkehrsministerium laut seiner neuesten Berechnung, die zehn Tage alt ist, der DB nur noch 2,1 Milliarden Euro geben.

Die Schienen- und Finanzexperten von Stolpes Ressort warnen intern in diesem Vermerk vor "gravierenden Einschnitten" in das 35.000 Kilometer lange Streckennetz der Bahn.

Substanzerhaltung

Die "Substanzerhaltung im bestehenden Netz wäre nicht mehr möglich", falls es nicht gelinge, auch nach 2007 genügend Mittel für die DB bereitzustellen. Außerdem könnten sämtliche Ausbauvorhaben "nicht mehr dotiert werden".

Im ICE-Netz der Bahn gibt es noch große Lücken. Um Einschnitte bei der Bahn abzuwenden, war Stolpe frühzeitig bei Eichel vorstellig geworden, der es aber ablehnte, die ab 2008 entstehende Lücke zu schließen.

Daraufhin kamen die beiden Minister laut Vermerk aus dem Verkehrsressort am 26. Oktober 2004 überein, beim Nahverkehr zu sparen. Einen Tag später teilte Stolpe im Verkehrsausschuss des Bundestages mit, die DB bekomme auch nach 2007 genug Geld für die Schiene, darauf habe er sich mit Eichel verständigt.

Woher kommen die Mittel?

Woher die beiden Minister die dafür notwendige eine Milliarde Euro pro Jahr nehmen wollten, sagte Stolpe dem Parlament allerdings nicht.

Das Problem wäre erst gar nicht entstanden, rügt der CDU-Bundestagsabgeordnete Dirk Fischer, "wenn die Bundesregierung die Erlöse aus der LKW-Maut korrekt verwenden würde".

Im Mautgesetz sei festgeschrieben, dass diese Mittel zusätzlich für Verkehrsinvestitionen eingesetzt werden sollten. Stattdessen nutze die Regierung diese Einnahmen "zum Stopfen von Haushaltslöchern".

© SZ vom 21.01.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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