Fernsehmarkt:Das warme Lagerfeuer

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Retro-Show mit Erfolg: Michelle Hunziker und Thomas Gottschalk präsentierten im ZDF noch mal "Wetten, dass..?". (Foto: Andreas Rentz/Getty Images)

Die Sehgewohnheiten der Fernsehzuschauer wandeln sich stark - es wird viel gestreamt, feste Programmschemata verlieren. Doch es gibt noch Ausnahmen.

Von Caspar Busse

Thomas Gottschalk und Michelle Hunziker haben es noch einmal geschafft. Die Neuauflage von "Wetten, dass..?" hat dem ZDF eine Rekordquote gebracht: 13,8 Millionen Zuschauer waren dabei, was einem Marktanteil von rund 45 Prozent entsprach. Die Dreieinhalb-Stunden-Retroshow mit dem bewährten Konzept aus den 80er-Jahren, ausgestrahlt fast genau zehn Jahre nach dem Abschied Gottschalks von der Show, geriet zum Ausflug in die Vergangenheit - gleich in mehrfacher Hinsicht.

Dass sich die Menschen am Abend vor dem Fernseher wie vor einem Lagerfeuer versammeln, um dasselbe Programm zu schauen, ist selten geworden. Große Fußballspiele, eine Ansprache von Kanzlerin Angela Merkel, mit Abstrichen der "Tatort" am Sonntagabend und jetzt einmalig "Wetten, dass..?" - viel mehr ist an Event-Fernsehen nicht mehr übrig geblieben. Dafür haben sich die Sehgewohnheiten in den Zeiten der Digitalisierung und der Pandemie zu stark geändert. Die Zuschauer, vor allem die jüngeren, wollen nicht mehr an feste Sendeschemata gebunden sein, sie wenden sich zunehmend vom sogenannten linearen Fernsehen ab und den Streamingdiensten zu.

Wie aus einer gerade veröffentlichten ARD/ZDF-Onlinestudie hervorgeht, nutzen bereits 42 Prozent der über 14-Jährigen regelmäßig Streamingdienste. 2020 waren es erst 36 Prozent. Dabei führt Netflix die Liste an, dahinter liegen Amazon Prime, Disney+, Sky, Magenta-TV, RTL+ (bislang: TV Now) und Joyn. Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF werden von jedem Fünften mindestens einmal die Woche genutzt. Dazu kommen Sportdienste wie Dazn. Der Streamingdienst, der erst seit fünf Jahren auf Sendung ist und dem Milliardär und Unternehmer Leo Blavatnik aus New York gehört, kauft zielstrebig Sportrechte, in Deutschland etwa an der Fußball-Champions-League und an der Bundesliga, die Freitags- und Sonntagspartien laufen inzwischen auf Dazn und nicht mehr wie seit Jahrzehnten bei Sky.

Immer mehr Sender setzen auf Retro und beleben alte Sendungen

Gerade hat auch RTL in Köln angekündigt, sein Streamingangebot massiv auszubauen. Die Plattform TV Now wurde in RTL+ umbenannt. Bald soll es dort nicht mehr nur Bewegtbildangebote mit Livestream der Fernsehsender, Streaming-Serien und die Mediathek geben. Im ersten Halbjahr 2022 kommen weitere Gattungen hinzu: Musik, Hörbücher, Podcasts. "Mit einem Abo erhalten unsere Kunden Zugang zu einer in ihrer Vielfalt einzigartigen Entertainmentwelt", kündigen Matthias Dang und Stephan Schäfer an, die Chefs von RTL Deutschland. Und dabei wollen sie auch von ihrem Mutterkonzern Bertelsmann profitieren. Das Angebot werde "einzigartig im deutschsprachigen Markt" sein, warb Thomas Rabe, in Personalunion Chef von Bertelsmann und RTL. Derzeit gehen große Teile des Hamburger Zeitschriftenhauses Gruner + Jahr in RTL auf. Auch mit der Bertelsmann-Buchsparte Random House soll es künftig eine engere Zusammenarbeit geben. Bis Ende 2026 strebt die RTL Group, die in mehreren Ländern TV-Sender betreibt, insgesamt zehn Millionen zahlende Abonnenten für die beiden Streamingplattformen RTL+ in Deutschland und Videoland in den Niederlanden an.

Auch beim Konkurrenten in München, Pro Sieben Sat 1, setzt man auf die neue digitale Welt, schon vor Längerem wurde zusammen mit dem US-Medienkonzern Discovery die Streamingplattform Joyn aufgebaut. Gleichzeitig haben die Münchner, anders als RTL, schon vor Jahren ein Portfolio von weiteren Internetaktivitäten aufgebaut - mit Vergleichsportalen wie Verivox oder Dating-Plattformen wie Parship und Elitepartner. Sowohl RTL als auch Pro Sieben Sat 1 haben zuletzt gleichzeitig auch von höheren Werbeeinnahmen profitiert, davon profitiert das "alte" Kerngeschäft. Mit mehr Nachrichtensendungen wollen sie sich zudem vom Einerlei der Streamingkonkurrenz absetzen - und investieren kräftig. Bekannte ARD-Gesichter wie Linda Zervakis und Matthias Opdenhövel (beide Pro Sieben Sat 1) oder Pinar Atalay und Jan Hofer (beide RTL) wurden abgeworben und sollen bei den Privaten für mehr Seriosität sorgen. Aber auch bei den öffentlich-rechtlichen Sendern setzt man mittlerweile auch auf Streaming. Die ARD richtet ihr Programm künftig deutlich mehr auf die Mediatheken aus, auch das ZDF folgt.

Und dann gibt es auch noch diesen Retro-Trend, diese Rückkehr in die gute alte Zeit, an das wärmende Lagerfeuer, in der Hoffnung, an alte Erfolge anknüpfen zu können. Nicht nur "Wetten, dass..?" ist zurück (und eine Fortsetzung nicht ausgeschlossen). Pro Sieben reanimiert die Stefan-Raab-Show "TV Total", RTL holt Hape Kerkeling zurück. Beim Blick in die Archive wird der eine oder andere Verantwortliche sicher noch auf andere Gedanken kommen. Es ist ein letztes Aufbäumen - der große Trend im Fernsehgeschäft wird sich damit sicherlich nicht aufhalten lassen.

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