Süddeutsche Zeitung

Fernbusse:Für Kunden günstig - für die Bahn ein Debakel

Fernbusse boomen. Immer mehr Menschen fahren mit. Das ist nur auf den ersten Blick erstaunlich. Die Bahn ist zu teuer geworden. Sie reagiert auf die neue Konkurrenz mehr tricky als originell.

Kommentar von Michael Kuntz

Seit gut anderthalb Jahren rollen die Fernbusse in Deutschland. War bis dahin der Überlandverkehr zugunsten der Bahn reguliert und im Wesentlichen auf Strecken nach Berlin beschränkt, darf seitdem nun jeder Busunternehmer Linienverbindungen anbieten, wenn diese nur länger als 50 Kilometer sind. Deutschland hat offenbar auf das gewartet, was seine vielreisenden Einwohner aus Mexiko, den USA, aber auch Spanien kannten: Die Betreiber der Fernbusse begrüßten bereits im ersten Jahr drei Millionen Fahrgäste bei sich an Bord.

Es ist nur auf den ersten Blick erstaunlich, wie viele Menschen sich die Tour im Reisebus antun, die Fahrt mit einem schon aus der Zeit geratenen Verkehrsträger, der vor der Liberalisierung überwiegend für Kegelvereine, Schulklassen und Seniorengruppen zum Einsatz kam. Bei genauer Betrachtung sind es zu fast 90 Prozent Menschen, die privat unterwegs sind. Die Verwandte besuchen, Freunde, ein Konzert, eine fremde Stadt, vielleicht um dort shoppen zu gehen. Für sie spielt Zeit keine so große Rolle, dafür ist ein günstiger Preis entscheidend. Nur etwas mehr als jeder Zehnte reist im Fernbus zu dienstlichen Terminen, zum Arbeitsplatz oder zu einer Hochschule.

Zwar gibt es Buslinien als direkte Verbindungen auf Strecken, wo die Bahn sozusagen um die Ecke fährt und die Fahrgäste umsteigen müssen. Dann lässt sich ein Ziel gelegentlich sogar schneller als mit Zügen erreichen. Doch die Masse der Bus-Fahrgäste bewegt sich auf den Rennstrecken zwischen Großstädten und Ballungsräumen, auf denen die Bahn deutlich schneller unterwegs ist. Von Berlin nach Hamburg, nach Frankfurt, nach Nürnberg oder vom Ruhrgebiet ins Rhein-Main-Gebiet, das sind die Strecken, auf denen die Busse zumindest rund ums Wochenende gut besetzt sind.

Neun Cent pro Kilometer

Da stellt sich schon die Frage, warum es so viele Menschen offenbar attraktiv finden, durch die Landschaft zu zuckeln und durchs Fenster zu beobachten, wie ihr Bus von den Hochgeschwindigkeitszügen überholt wird? Offenbar zeigen die Kampfpreise der Busanbieter ihre Wirkung. Deren durchschnittlicher Fahrpreis liegt bereits bei mageren neun Cent pro Kilometer, und sie locken mit Sonderangeboten für fünf Cent. Damit hängen sie die Bahn locker ab, bei der kostet der Kilometer deutlich mehr als 20 Cent.

Allerdings werden auch die Preise für Fernbusse steigen müssen, spätestens wenn die ersten Anbieter den Preiskampf nicht länger durchhalten. Dann droht auch den Busunternehmern, das Klientel wieder zu verlieren, das sich die regelmäßig steigenden Preise der Bahn nicht mehr leisten kann. Die Bahn als Massenverkehrsmittel scheint für einen Teil der Bevölkerung nicht mehr erschwinglich zu sein.

Die zwar privatisierte, aber immer noch vom Staat beherrschte Deutsche Bahn reagiert auf die neue Konkurrenz mehr tricky als originell. Clevere Manager kündigen an, die Bahn wolle nun in der Nähe ihrer Stationen Busbahnhöfe betreiben. Und am Busgeschäft mitverdienen, ohne unternehmerisch viel zu wagen. Geeignete Grundstücke besitze man. Für die bahngestählte Kundschaft klingt das mehr wie eine Drohung. Für die Bahn AG mag so ein Geschäftsfeld ja vorteilhaft sein, was der bisherige Bahn-Kunde davon hat, erschließt sich nicht auf Anhieb.

Die Bahn wurde partiell betriebsunfähig gespart

Ansonsten fällt den Bahn-Managern zum Thema Fernbus nicht viel mehr ein, als ein paar Sonderangebote ins Internet zu stellen, zielgenau auf die Seiten der Suchmaschinen für Fernbusse. Vielleicht zeugt ja die Ankündigung, man wolle wieder Filme zeigen in den Zügen, von einem zaghaften Schritt in eine neue Richtung. Die Bahn könnte ja ganz einfach ihren Service verbessern und so die Fernbusse zumindest dort alt aussehen lassen, wo sie parallel zu den Schienen rollen.

Diese neue Richtung könnte die richtige sein. Jetzt, da der jahrelang politisch propagierte Börsengang der Bahn nicht sonderlich akut ist, könnten sich die Verkehrspolitiker in den Aufsichtsgremien ohne Hast auf die neue Welt einstellen. Und noch einmal überdenken, ob es so eine gute Strategie war, die Bahn zumindest partiell betriebsunfähig zu sparen, viele Strecken ganz zu schließen sowie immer mehr Güter- und nun auch Personenverkehr auf die bereits ausgelasteten Straßen zu verlagern. Die Fernbusse sind eine Bereicherung, sie bieten Reisenden zusätzliche Alternativen. Sie sind aber auch ein Debakel für die Bahn, die 1,5 Prozent an Umsatz einbüßt.

Und sie zeigen das Versagen von Verkehrspolitikern, die erst jahrelang den Wunsch ihrer Wähler nach Fernbus-Linien nicht erkannt haben und die jetzt weiterhin die Bahn im Stich lassen - auch gegen die neue Konkurrenz.

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Quelle:
SZ vom 11.08.2014/mikö
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