Süddeutsche Zeitung

Kastration von Ferkeln:Unbegreiflicher Rückschlag für den Tierschutz - und die Koalition

Es ist kaum zu fassen, dass massenhaft Tiere wegen weniger Kosten weiter leiden sollen.

Kommentar von Markus Balser

Eigentlich soll das deutsche Tierschutzgesetz Tiere vor unnötigen Qualen schützen. Für 20 Millionen männliche Ferkel pro Jahr gilt das bislang jedoch nicht. Erst wenige Tage alt, werden sie in deutschen Ställen unter schlimmen Schmerzen betäubungslos kastriert. Trotz eines Verbots soll das nun erst mal auch so bleiben. Darauf haben sich Fachleute von Union und SPD an diesem Wochenende gegen den Protest von Umwelt-, Tier- und Verbraucherschützern geeinigt.

Kaum zu fassen ist, dass massenhaft Tiere wegen zwei bis fünf Euro Kosten pro Ferkel weiter leiden sollen. Denn Alternativen wie eine einfache Betäubung sind längst vorhanden. Sie sind für die Landwirte nur zu teuer. Im harten Konkurrenzkampf um das billigste Fleisch würden sie den Kürzeren ziehen. Die Landwirte fürchten, dass Konkurrenz aus dem Ausland zum Zug kommt. Einmal mehr zeigt sich, dass ein Landwirtschaftssystem, das allein auf die billigste Produktion setzt, ein Irrweg ist.

Union und SPD verspielen das Vertrauen der Wähler

Dass die große Koalition dabei mitmacht, ihre eigenen Prinzipien über Bord wirft und das bereits vor fünf Jahren für Anfang 2019 erlassene Verbot der Ferkel-Kastration ohne Betäubung nun noch mal um zwei Jahre verschiebt, ist allerdings nicht nur ein unbegreiflicher Rückschlag für den Tierschutz. Es ist auch einer für die große Koalition selbst. Denn Union und SPD verspielen jenes Vertrauen der Wähler in hohem Tempo weiter, das sie doch eigentlich zurückgewinnen wollen.

Die neue Übergangsfrist wird keine neuen Fakten schaffen. Sie erlaubt den Haltern lediglich, zwei weitere Jahre billig zu produzieren. Dabei zeigen Länder wie Schweden, dass ein Verbot möglich ist. Wie schon in der Dieselkrise verfolgen Union und SPD in Deutschland jedoch erneut die Strategie, Gesetze zum Schutz von Umwelt, Tieren oder Menschen einfach zu ändern, wenn sie absehbar nicht eingehalten werden. Politik mit Haltung geht einen anderen Weg.

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Quelle:
SZ vom 05.11.2018/hgn
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