Ferdinand Piëch bei der Staatsanwaltschaft:Die Abrechnung des Alten

Ferdinand Piech

82 Minuten sprach der Zeuge Ferdinand Piëch mit den Strafverfolgern.

(Foto: Boris Roessler/AP)
  • Ferdinand Piëch, der einstige Patriarch bei Volkswagen, hat 2016 bei der Staatsanwaltschaft ausgesagt und seinen früheren Ziehsohn Martin Winterkorn schwer belastet.
  • Jetzt liegt das Protokoll der Aussage zur Gänze vor und erlaubt einen faszinierenden Einblick in Piëchs Welt.
  • Es gibt zwei Möglichkeiten, Piëchs Worte zu interpretieren: Entweder er sagt die Wahrheit - oder er will sich nur rächen.

Von Hans Leyendecker, Georg Mascolo, Klaus Ott und Nicolas Richter

Auf manche Zeugen freuen sich Strafverfolger besonders: auf große, unterhaltsame Persönlichkeiten. Die Braunschweiger Strafverfolger, die den VW-Skandal um manipulierte Abgaswerte aufklären, haben etliche Manager und Ingenieure befragt, aber es gab eben nur einen, der als Il Padrone bekannt war, als schillerndes Genie, das persönlich den legendären Rennwagen Porsche 917 gebaut hatte: Professor Dr. Ferdinand Karl Piëch.

Als Piëch Ende 2016 in Begleitung seiner Frau aus Salzburg zur Zeugenvernehmung anreiste, interessierten sich die Ermittler für zwei Fragen. Was hielt der Alte, der einst Audi-Chef, dann VW-Chef und zuletzt Chef des VW-Aufsichtsrats gewesen war, von der Abgasaffäre? Und warum hatte sich Piëch mit seinem Vertrauten und Ziehsohn, dem langjährigen VW-Chef Martin Winterkorn überworfen?

Piëch lieferte den Ermittlern eine schonungslose Abrechnung mit Winterkorn und dem Aufsichtsrat. Über manche Einzelheiten der Aussage haben mehrere Medien bereits berichtet; jetzt liegt das Protokoll zur Gänze vor und erlaubt einen faszinierenden Einblick in Piëchs Welt. Das Gespräch mit den Strafverfolgern dauerte damals nur 82 Minuten, aber Piëch spannte einen Bogen vom Wolfsburger Karpfenteich bis zum israelischen Geheimdienst. Im Kern schien es ihm dabei vor allem um eins zu gehen: Piëch wollte es seinen Feinden heimzahlen, was für ihn so typisch ist wie die Liebe zu starken Motoren.

Die offizielle Darstellung von VW, wonach ein paar kleine Ingenieure die Abgasmanipulationen an Dieselautos für den US-Markt zu verantworten hätten, erklärte Piëch für völlig unglaubwürdig. Er habe das Gefühl, sagte er, dass der Konzern alles auf die untere Ebene schiebe. Er sei aber überzeugt, es gehe "in die erste Garnitur". Er könne sich nicht vorstellen, wenn jemand bis zur Radschraube alles über ein Auto wisse, dass er dann von millionenfachem "Beschiss" nichts mitbekomme.

Das kann man als Angriff auf Winterkorn verstehen, denn Piëch und Winterkorn haben gemeinsam, dass sie außer Managern stets auch leidenschaftliche Techniker waren. Winterkorn galt als detailversessener Kenner der Autos, die er bauen ließ. Dass er, wie er oft beteuert, bis zum Herbst 2015 nichts vom Abgasbetrug gewusst haben will, kann sich sein langjähriger Förderer Piëch nicht vorstellen.

Aber Piëch begnügte sich bei seiner Aussage nicht mit Mutmaßungen, sondern erzählte den Ermittlern folgende, nahezu unglaubliche Geschichte darüber, wie er früh vom Abgasschwindel erfahren und sich bei VW um Aufklärung bemüht habe und dafür auch noch rausgeworfen worden sei.

Demnach traf sich Piëch im Februar 2015, ein halbes Jahr vor Beginn der Abgasaffäre, am Rande des Genfer Autosalons mit einem "Informanten". Das war Avi Primor, der frühere israelische Botschafter in Deutschland, den Piëch bei seiner Aussage nicht namentlich nannte. Primor war mit Sicherheitsexperten unterwegs, unter ihnen ein Ex-Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes. Die Israelis wollten Geschäfte machen und VW in der Abwehr von Cyberangriffen beraten. Primor, der Piëch lange kennt, sollte vermitteln.

Ein angeblicher Zettel aus Israel

Piëch erzählte den Staatsanwälten, Primor habe ihn damals gewarnt: VW habe ein "millionenfaches" Problem auf der ganzen Welt mit der Software in manchen Autos und bescheiße damit bei den Abgaswerten. Primor soll zum Beweis von einem Zettel abgelesen haben, angeblich handelte es sich um einen Brief, den die US-Behörden im Frühjahr 2014, also ein Jahr zuvor, an Winterkorn geschrieben hatten mit der Aufforderung, den Schwindel zu beenden. Als Piëch das Papier lesen wollte, soll Primor gesagt haben, er könne ihm den Zettel nicht geben, denn er habe ihn nicht auf legalem Weg bekommen. Denkbar ist, dass die Israelis durch Spionage an die Korrespondenz gelangt wären und Piëch damit beeindrucken wollten.

Piëch, der oberste Aufseher im VW-Konzern, will Winterkorn, den obersten Manager, alsbald zur Rede gestellt haben. Aber Winterkorn habe geantwortet, so erzählt es Piëch, dass eine solche Notiz "nicht existiert". Piëch fand diese Formulierung verdächtig, denn sie könnte ja bedeuten, dass Winterkorn den Zettel gelesen und dann vernichtet hat. Piëch will daraufhin erst recht nachgeforscht und schließlich herausgefunden haben, dass der Assistent Winterkorns den angeblichen Brief aus Amerika in Winterkorns "Wochenendpost" gelegt habe; das war ein Aktenkoffer mit Unterlagen, den der Vorstandschef am Samstag und Sonntag durcharbeitete.

Der Chef soll 50 000 Euro ausgegeben haben für japanische Koi-Karpfen

Piëch war ein langjähriger Weggefährte Winterkorns gewesen. Überspitzt könnte man sagen, dass Piëch nicht nur Audi und VW in ihrer heutigen Form erfunden hat, sondern dass er auch Winterkorn erfunden hat. Doch Anfang 2015 hatten sich beide Männer entfremdet. Offenbar fand Piëch seinen Ziehsohn zu selbstherrlich. Den Ermittlern sagte Piëch, erstens habe Winterkorn ihm nur noch Erfolge gemeldet und keine Probleme. So habe Piëch zwar die guten Konzernzahlen zu lesen bekommen, aber nichts darüber, dass die Automarke VW Verluste machte. Zweitens störte sich Piëch an Winterkorns angeblichen Extravaganzen. So soll Winterkorn - laut Piëchs Aussage - für 50 000 Euro japanische Koi-Karpfen in einen Wolfsburger Teich geholt haben, und zwar auf Firmenkosten. Piëch will ihm das Geld von der Tantieme abgezogen haben. Das Urteil des Alten: VW brauche keine Karpfen.

Piëch sagt, all dies habe ihn so irritiert, dass er dem Spiegel, veröffentlicht am 10. April 2015, sagte, er sei "auf Distanz" zu Winterkorn. Es ist sehr ungewöhnlich, dass der oberste Aufsichtsrat so über seinen Vorstandschef spricht. Piëch hat sich das gut überlegt, aber den Ausschlag für diese scharfe Formulierung, so sagte er es den Ermittlern, gab offenbar das Gespräch in Genf. Piëch will die Geschichte mit der US-Notiz an Winterkorn auch im Aufsichtsratspräsidium angesprochen haben. Er will in dem Gremium, dem Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil angehört, verlangt haben, die Sache zu klären. Die vier Aufsichtsratskollegen hätten aber ihm, Piëch, das Misstrauen ausgesprochen. An der Sache mit Winterkorn sei nichts dran, also müsse er, Piëch, gehen. So erzählte es Piëch den Staatsanwälten, und er fügte hinzu: Er sei damals gegangen, weil er schon 78 Jahre alt war, aber er habe sich geschworen, es den Vieren heimzuzahlen. Die vier widersprechen ebenso wie Winterkorn Piëchs Darstellung.

Weil nannte Piëchs Geschichte "Fake News"

Es gibt nun zwei Möglichkeiten, diese Geschichte zu interpretieren. Die erste: Piëch tut genau das, was er in der Vernehmung gesagt hat - er zahlt es den Beteiligten heim. Zum einen den Aufsichtsratskollegen, die ihn verjagt hätten, zum anderen seinem Ziehsohn Winterkorn. Der einstige Vorstandschef hätte demnach eine sehr frühe Warnung erhalten und die Gelegenheit versäumt, die Affäre zu einem glimpflichen Ende zu führen. Und Piëch stünde nun als der Einzige da, der gewarnt hat, aber von allen ignoriert wurde. Es wäre gewiss ein Ausgang nach dem Geschmack Piëchs. Das Problem: Es gibt keine Beweise und niemand bestätigt Piëchs Erzählung. Primor hat dementiert, Weil nannte Piëchs Geschichte "Fake News". Und VW hat zwei der Genfer Gesprächspartner von Piëch sogar in Israel besucht, nur um zu erfahren, dass sie nie mit Piëch über das Abgasthema gesprochen haben wollen.

Zweite Interpretation: An der Geschichte ist etwas dran. Schließlich hat die private Organisation ICCT Anfang 2014 eine Studie darüber veröffentlicht, wie Abgaswerte auf der Straße massiv von denen auf dem Prüfstand abweichen. Die ICCT nannte zwar öffentlich keine Marken, informierte aber diskret VW, dass deren Autos betroffen waren. Diese Information ist laut Ermittlern bei VW weitergeleitet worden und könnte in Winterkorns Wochenendpost eingeflossen sein. In einem Vermerk von Anfang 2017 heißt es, es spreche einiges dafür, dass Winterkorn die Notiz gekannt habe. Piëch dürfte das gefallen.

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