Süddeutsche Zeitung

Femme digitale:Unbekannte Heldinnen

Die Namen vieler Erfinderinnen und bedeutender Programmiererinnen kennt niemand. Wir müssen mehr tun, um an sie zu erinnern. Und sie als Vorbilder herauszustellen.

Von Kathrin Werner

Ada Lovelace, den Namen der Entwicklerin des ersten Computerprogramms der Welt, kennt man wahrscheinlich noch. Aber Hedy Lamarr? Grace Hopper? Shirley Ann Jackson? Karen Spärck Jones? Die meisten Menschen haben diese Namen nie gehört, obwohl die Digitalisierung ohne sie nicht so wäre, wie sie ist. Lamarr hat das Frequenzspreizungsverfahren erfunden, ohne das moderner Mobilfunk nicht möglich wäre. Hopper (Spitzname: Amazing Grace) hat die ersten Computer mitentwickelt und die benutzerfreundliche Programmiersprache Cobol. Und ohne Jackson gäbe es vielleicht keine Anrufererkennung auf dem Handy. Spärck Jones forschte zur automatischen Verarbeitung natürlicher Sprachen, ihre Arbeit ist noch heute Grundlage vieler Suchmaschinen.

Trotzdem sind diese Frauen aus den Geschichtsbüchern weitgehend verschwunden. In den Geschichtsbüchern geht es um Alexander Graham Bell, Steve Jobs und Bill Gates, um Alan Turing, Konrad Zuse und Larry Page. Es geht um Männer. Frauen werden vergessen. Das liegt nicht an ihren Leistungen, sondern an unserem System des Erinnerns. Daran, wer entscheidet, wem eine Leistung zugeschrieben wird. "Frauen sind für den Fortschritt unserer Gesellschaft unersetzlich. Sie haben sich in der Zeitgeschichte als bahnbrechende Erfinderinnen herausgestellt", schrieb der Siemens-Energy-Manager Thomas Dettling vor Kurzem bei Twitter. "Meistens werden ihre Erfindungen aber nicht mit ihren Schöpferinnen in Verbindung gebracht."

"Programmieren ist wie Abendessen vorbereiten"

Von den Anfängen des Computers bis in die späten 1980er-Jahre galt das Programmieren als Frauenberuf, vor allem auch zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Noch 1987 lag der Frauenanteil in der Software-Entwicklung in den USA bei 42 Prozent. 1967 schrieb das amerikanische Frauenmagazin Cosmopolitan einen Artikel über "die Zeit der Computer-Mädels" und zitierte Grace Hopper: "Programmieren ist wie Abendessen vorbereiten. Man muss vorausplanen und alles so terminieren, dass es fertig ist, wenn man es braucht. Das geht nur mit Geduld und dem Blick für Details. Frauen sind Naturtalente im Programmieren." Programmiererinnen galten lange als eine Art moderne Sekretärin und wurden nicht besonders gut bezahlt. Erst nachdem der PC in die Wohnhäuser einzog und Computerspiele als Zeitvertreib für Jungen beworben wurden, kamen die Männer in die Branche und mit ihnen das Geld und der Ruhm.

Dass heute Frauen in der Informatik so sehr in der Minderheit sind, hat viele Gründe. Einer davon ist: Es fehlt an Vorbildern. Das allgemeine Bild der Programmierer hat sich in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahrzehnten gewandelt und verharrt seither im Klischee: Ein Programmierer ist ein junger Mann, der zu selten die Sonne sieht und vor seinem Rechner zockt, statt sich mit Freunden zu treffen - und erst recht nicht mit Freundinnen. Der stereotype Programmierer ist ein Nerd. Und definitiv keine Frau. Umso wichtiger wäre es, Programmiererinnen sichtbar zu machen. Sowohl die weiblichen Vorbilder aus der Geschichte als auch aus der Gegenwart. Denn sie existieren.

Ein Film wie "Hidden Figures - Unerkannte Heldinnen" hilft dabei, er erzählt die Geschichte der drei afroamerikanischen Nasa-Mathematikerinnen Katherine Johnson, Dorothy Vaughan und Mary Jackson. Ausstellungen und Berichte etwa zum 200. Geburtstag von Ada Lovelace im Jahr 2012 helfen. Und es hilft, wenn Männer wie der Siemens-Energy-Manager Dettling ohne jeden Anlass über die Wichtigkeit von weiblichen Erfindungen twittern.

Und was die IT-Expertinnen der Gegenwart angeht, gab es vor ein paar Jahren eine Aktion im Internet: #ILookLikeAnEngineer. Unter dem Motto haben Programmiererinnen ihr Foto in sozialen Medien geteilt, um zu zeigen, dass nicht alle Menschen in ihrem Beruf männlich sind und dem alten Nerd-Klischee entsprechen. Frauen tun sich zunehmend zusammen, um für mehr Sichtbarkeit zu sorgen, etwa in der Organisation Coding Black Females oder Women in AI oder den Global Digital Women in Deutschland. Doch es muss sich noch mehr tun, um gegen die Stereotype zu kämpfen. Das hat auch mit Geschichte und Geschichtsbüchern zu tun, die neu geschrieben werden müssen. Hedy Lamarr wurde 2014 posthum in die National Inventors Hall of Fame aufgenommen, eine Organisation, die Erfinderinnen und Erfinder vor allem aus den USA ehrt. Und in Lübeck gibt es inzwischen eine Grace-Hopper-Straße. Mehr davon!

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