Süddeutsche Zeitung

Meeresgrund:Fehmarnbelt: Neu entdeckte Riffe könnten Tunnelbau verzögern

  • Taucher im Auftrag des Naturschutzbundes Nabu haben genau dort Riffe entdeckt, wo der Fehmarnbelttunnel gebaut werden soll.
  • Sie sind nach deutschen und europäischen Richtlinien streng geschützt.
  • Der Fund könnte dazu beitragen, dass das umstrittene Projekt in der Ostsee verschoben wird - oder gar verhindert.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Ein Tunnel durch die Ostsee, von Deutschland nach Dänemark. Den Plan halten die einen seit geraumer Zeit für wunderbar, die anderen für sinnlos und schädlich. 18 Kilometer lange Röhren für Autos und Züge am Meeresgrund sollen die Inseln Fehmarn und Lolland verbinden, so haben es beide Länder vereinbart. Bisher pendeln Fähren von Ufer zu Ufer - die sogenannte Vogelfluglinie. Mehr als sieben Milliarden Euro soll das unterirdische Bauwerk kosten, es ist eines der größten Infrastrukturprojekte Europas. Nun haben Umweltschützer allerdings ein weiteres Hindernis entdeckt, das den Bau noch weiter verzögern könnte: Riffe.

Fotos im Auftrag des Naturschutzbundes Nabu aus dem grünlich trüben Wasser zeigen bewachsene Erhebungen vor Puttgarden, dem deutschen Startpunkt für den Fehmarnbelt-Tunnel nach Rødbyjhavn. Findlinge und Geröllfelder, dicht bewachsen. Man sieht Schwämme, Tang, Moostierchen, Seesterne. Man muss sich solche Riffe in der Ostsee nicht vorstellen wie das Great Barrier Reef vor Australien, aber sie sind nach deutschen und europäischen Richtlinien streng geschützt. Und sie sind Teil der Klage des Nabu.

Seit Juli klagt der Nabu neben sieben weiteren Klägern beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, nachdem Schleswig-Holstein Anfang 2019 den Planfeststellungsbeschluss für die deutsche Seite der umstrittenen Trasse vorgelegt hatte, also die Baugenehmigung. Auf 162 Seiten erläutert der Verein seinen Vorstoß, es geht darin unter anderem um überholte Verkehrsprognosen und um Gefahren für Tiere wie den Schweinswal. Und es geht um diese artenreichen Riffe. Jetzt macht die Organisation ihren Fund der gefährdeten Biotope mit Bildern und Karten öffentlich.

Die Naturfreunde misstrauten den Gutachten des Bauherrn, der staatlichen dänischen Gesellschaft Femern. Nur Sand und Schlick am Meeresboden? Der Nabu schickte Taucher des Kieler Unternehmens Submaris in zwei küstennahe Bereiche des Fehmarnbelts, in denen der Tunnel als sogenannter Absenktunnel eingegraben werden soll. Im Frühjahr 2019 stießen die Forscher mit ihren Kameras dann auf jene Riffe, die Schutzgebiete sein müssten, in den Unterlagen der Betreiber aber offenbar nicht vorkommen.

Dem Nabu ist "völlig unklar, wie Riffe so nah am Tunnel übersehen werden konnten". Die EU-Kommission hatte Deutschland bereits ganz unabhängig von der Debatte über den Fehmarnbelttunnel längst dazu aufgefordert, seine besonderen Schutzgebiete auszuweisen. Der Planfeststellungsbeschluss gründe auf falschen Angaben, schließt der klagende Nabu. Dies sei ein einzigartiger Lebensraum, sagt Kim Detloff, beim Nabu zuständig für den Meeresschutz. "Der ökologische Schaden im Fall eines Tunnelbaus muss neu bewertet werden." Der Tunnel, meint der Nabu, "hat jetzt ein weiteres großes Problem."

Könnten nun bisher unbekannte Riffe dazu beitragen, dass sich die Sache mit dem Tunnel in der Ostsee mindestens verschiebt?

Der Streit erinnert an den um die Elbvertiefung, die nach 15 Jahren Zwist kürzlich begann. Symbol für den Widerstand am Fluss war der Schierlingswasserfenchel, eine zarte Pflanze. Die Richter in Leipzig nahmen solche Details ernster als manche Politiker, mehrfach mussten die Pläne nachgebessert werden, ehe in der Elbe gesaugt und gebaggert werden durfte. Könnten nun bisher unbekannte Riffe dazu beitragen, dass sich die Sache mit dem Tunnel in der Ostsee mindestens verschiebt?

Das Wirtschaftsministerium in Kiel kann über die Riffe noch nicht viel sagen. Man sei mit dem Verfahren um den Tunnel weiterhin im Plan, sagt der Wirtschafts- und Verkehrsminister der Kieler Jamaika-Regierung, Bernd Buchholz von der FDP. Es gehe um eines der wichtigsten europäischen Infrastrukturprojekte, das nicht nur zwei Inseln und Länder zusammenführe, sondern auch zwei Wirtschaftsräume: Skandinavien und Mitteleuropa. Die Gegend von Kopenhagen und Malmö bis hinunter nach Hamburg soll sich ja eines Tages zur erweiterten Metropolregion auswachsen, so die Idee.

Mit dem Fehmarnbelttunnel entstünden neue Möglichkeiten für Pendler, Unternehmen und Touristen, wirbt das eigens gegründete Unternehmen Femern. In den Röhren sollen eine vierspurige Autobahn und eine zweigleisige Bahnstrecke verlaufen, der Tunnel aus 79 Elementen von je 217 Metern Länge bestehen, jedes davon 73 000 Tonnen schwer. Das entspricht laut Femern dem Gewicht von je 14 000 Elefanten. 3000 Menschen würden Arbeit finden, die Vorbereitungen auf Lolland sind im Gange. Am Ende soll man mit dem Auto in zehn Minuten und mit der Bahn in sieben Minuten die Seiten wechseln können, die Schiffe brauchen ungefähr 45 Minuten. Erst sollte 2021 alles fertig sein, inzwischen gilt 2028 als frühester Termin für die Fertigstellung, doch Klagen und Proteste kommen aus mehreren Richtungen.

Kritiker fürchten um die Lebensräume, die Strömung und den Tourismus

In Dänemark hält sich die Gegenwehr in Grenzen, in Deutschland aber gingen insgesamt 12 600 Einwände gegen den Planfeststellungsbeschluss ein - und acht Klagen beim Bundesverwaltungsgericht, von Umweltschützern, Städten, Reedereien. Sie argumentieren unter anderem, Lebensräume von Tieren und Pflanzen würden zerstört, Strömungsverhältnisse verändert, der Tourismus gestört. Der Fehmarnbelt gilt als eine entscheidende Verbindung für den Austausch von Meerwasser aus Nord- und Ostsee. Auch meinen Kritiker, dass es diesen Tunnel angesichts von Verkehrslage und erhoffter Verkehrswende gar nicht braucht. "Komplett überdimensioniert", findet der Nabu, "völlig unverantwortlich". Außerdem prüft die EU die Finanzierung des Tunnels, der Europäische Gerichtshof hatte die Genehmigung Ende 2018 für nichtig erklärt.

Jetzt also Riffe. "Die Ausführungen des Nabu sind uns aus ihrer Klagebegründung bekannt und nicht geeignet, die Planfeststellung anzuzweifeln", schreibt Femern auf Anfrage. Der Nabu sieht die Entdeckung der Riffe vor Puttgarden anders. "Wegwischen", sagt Meeresschützer Detloff, "kann man das nicht."

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SZ vom 05.09.2019/vit
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